Richterin Christine Arguello entschied schnell. So schnell, dass sogar die Anwälte überrascht waren, die im Namen von Salt vor dem Gericht in Denver geklagt hatten. Ihr Ziel: Im Umfeld von UPC-Konzernmutter Liberty Global an Unterlagen zu kommen, die zeigen, wie Vertreter von Sunrise im Vorfeld des Übernahmeangebots mit den Amerikanern verhandelten. Denn das, so Salt, wäre eine Verletzung von Verträgen, die zwischen Salt und Sunrise für das gemeinsame Festnetz-Joint-Venture geschlossen wurden.
Die Belege, welche Salt dem Gericht präsentierte, überzeugen. Dokumente, die auch der «Handelszeitung» vorliegen, zeigen, wie Liberty mit beiden Schweizer Firmen verhandeln wollte. Und wie Salt offenbar auf eine Finte von Sunrise hereinfiel. Und so brauchte Richterin Arguello keine zwei Tage, um Salts Antrag zu stützen. Liberty und seine Topmanager müssen nun ihre Akten öffnen.
Geschichte beginnt 2019
Die von Salt dokumentierte Geschichte beginnt nach der gescheiterten Fusion von UPC und Sunrise im Jahr 2019. Im Anschluss daran, so legt Salt erstmals offen, versucht es UPC-Mutter Liberty bei Salt. Es habe Gespräche zwischen Liberty und Salt-Eigentümerin NJJ über einen Einstieg bei Salt gegeben. «Aber letztlich wurde kein Abkommen abgeschlossen.»
Kurz darauf beschliessen Sunrise und Salt ein Joint Venture für ein gemeinsames Glasfaser-Festnetz unter der Bezeichnung Swiss Open Fiber (SOF). Das Milliardenprojekt geht weit und kommt beinahe einer Fusion gleich. Ende Februar 2020 unterzeichnen Sunrise und NJJ ein Non Disclosure Agreement, am 3. März ein Memorandum of Understanding.
Exklusivität mit Folgen
Am 9. April folgt ein Vertrag, über den noch viel gestritten werden dürfte: Ein Exclusivity Agreement. Dieses verbietet den Parteien «weitgehend, sich an Aktivitäten zu beteiligen, die die Einrichtung der SOF beeinträchtigen könnten, einschliesslich der Teilnahme an M&A-Gesprächen und Verhandlungen mit anderen Einheiten», so die Gerichtsdokumente. Die beiden Partner binden sich aneinander. Ende Mai wird die Partnerschaft angekündigt.
Die verschmähte Liberty lässt sich davon nicht beeindrucken. Kurz nach der Ankündigung kontaktiert sie erneut die Salt-Eigentümer. Doch diese blocken mit Verweis auf die Exklusivitätsvereinbarung ab. Und sie fühlen sich in vermeintlich guter Gesellschaft mit Partnerin Sunrise.
Abkommen erweitert
Im Juni schreibt Sunrise-Konzernjurist Marcel Huber an Salt-Verwaltungsrat Olivier Rosenfeld. Das Exklusivitätsabkommen, das ab Juli beiden Seiten auf dreissig Tage hinaus gekündigt werden könnte, solle erweitert werden auf eine Mindestlaufzeit von drei Monaten. Dies, «um sicherzustellen, dass das Projekt unter Verhandlungsexklusivität weitergeführt werden kann und dass die beteiligten Parteien während der Dauer der Verhandlungsexklusivität keine M&A-Gespräche mit anderen Netzwerkeigentümern in der Schweiz (einschliesslich UPC) führen können», wie Salt aus dem Mail zitiert. Am 15. Juni einigen sich die Parteien auf die Erweiterung.
Keine zwei Monate nach dieser Verlängerung präsentieren sich Sunrise und Liberty als neue beste Freunde. Ein Übernahmeangebot liegt vor, das vom Sunrise-Verwaltungsrat zur Annahme empfohlen wird. Die Ankündigung geschieht noch während der Laufzeit der ausgeweiteten Exklusivitätsvereinbarung. Für Salt ist klar: Sunrise hat das Abkommen gebrochen. War es je ernst gemeint? Oder am Ende nur ein Druckmittel, um Salt stillzuhalten und mit Liberty besser verhandeln zu können?
Die von der Richterin in Denver zugestandenen Offenlegungen im Umfeld von Liberty haben nur einen Zweck: eine Klage gegen Sunrise am Zürcher Handelsgericht. Diese dürfte schon bald erfolgen und hohe Forderungen beinhalten, wie aus den US-Unterlagen abzuleiten ist. Denn Salt macht zwei Schadenkomplexe geltend: einen kleineren und einen grösseren.
Verhinderte Verkaufsverhandlungen
Den kleineren Schaden, für den Sunrise aufkommen soll, begründet Salt über die derzeit auf Eis liegende, aber wohl gescheiterte SOF-Kooperation zwischen den beiden Mobilfunkern. Hier geht um Kosten im dreistelligen Millionenbereich, die bei einem Scheitern von SOF anfallen.
Weit drastischer wird der zweite Vorwurf. Mit der von Sunrise erwirkten, aber dann gebrochenen Exklusivitätsvereinbarung habe Sunrise verhindert, dass die Salt-Eigentümer selbst Gespräche über einen Verkauf ihres Geschäfts führen könnten. Gespräche, die von Liberty aktenkundig gesucht wurden. Salt sind dadurch mutmasslich Milliardengewinne entgangen, welche nun die Sunrise-Aktionäre mit dem Verkauf an Liberty einstreichen können.
Sunrise bestreitet Vorwürfe
Salt will zeigen, dass dieser Verkauf nur deshalb zustande kam, weil Management oder Verwaltungsräte von Sunrise die Vertraulichkeitsvereinbarung brachen. Und offenbar gibt es dafür Belege. Bereits die öffentlichen Dokumente vor dem Gericht in Denver sprechen eine klare Sprache. Und dann gibt es noch einen Stapel von Dokumenten, die versiegelt eingereicht wurden, weil sie offenbar vertrauliche Korrespondenz zwischen Salt und Sunrise enthalten. Und die die Richterin überzeugten.
Sunrise bestreitet die Vorwürfe. Kommunikationschefin Therese Wenger schreibt: «Sunrise weist den Vorwurf von Salt zurück, wonach die Transaktion mit Liberty die vertraglichen Rechte von Salt verletzen würde.» Das Übernahmeangebot von Liberty verlaufe wie geplant, der Abschluss werde bis Ende des Jahres erwartet.