Der britische UNO-Botschafter kam gleich mit einer Granate aus der Deckung. Er fragte die bulgarische Bewerberin, UNESCO-Generalsekretärin Irina Bokova, «welche Teile der UNO abgeschafft werden sollten, um sie effektiver zu machen». Sie lehnte eine Antwort ab.
Später hatte es der vormalige portugiesische Ministerpräsident Antonio Guterres nicht leichter. Jemand fragte ihn in einer Videoschaltung aus dem fernen Ouagadougou - der Hauptstadt des westafrikanischen Burkina Faso - nach seinen Vorschlägen als potenzieller UNO-Chef zur Sicherstellung einer Beteiligung der Jugend im Kampf gegen Hasspredigten. Guterres liess sich zumindest darauf ein, dass es sich um ein «wichtiges Problem» handele.
Fragerunden in einem halben Dutzend Sprachen
Der Bewerbungsprozess findet mit Fragerunden in einem halben Dutzend Sprachen und mit vielen verschiedenen Partnern aus den UNO-Mitgliedern statt, kann somit als ungewöhnlich gelten. Aber es handelt sich bei der Position des UN-Generalsekretärs schliesslich auch nicht um einen normalen Job. Erstmals seit 70 Jahren stellen sich die Bewerber in aller Öffentlichkeit den Fragen aus 193 Mitgliedsländern der Generalversammlung. Es sind neun Kandidaten, fünf Männer und vier Frauen, und die Runden lassen sich weltweit in Echtzeit über das Internet verfolgen.
Die Stellenbeschreibung ist seit vielen Jahrzehnten praktisch unverändert. Der ideale Kandidat muss zu vielen hunderttausend Kilometern Reisen bereit sein - sowohl zu Treffen mit Bankern in der Schweiz bis in die staubige Provinz südasiatischer Entwicklungsländer. Verantwortlich wäre der UN-Oberste überdies für die 105'000 Blauhelmsoldaten auf Friedensmission in aller Welt und für ein Haushaltsbudget von 13 Milliarden Dollar.
Diplomatische Kenntnis und Fingerspitzengefühl
Diplomatische Kenntnis samt Fingerspitzengefühl ist unabdingbar angesichts delikater Fragen von der marokkanischen Handhabung der Lage in der Westsahara über das fragile Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern bis zum staatlichen Umgang mit Randgruppen in Myanmar. Das weltpolitische Parkett ist schliesslich ein Minenfeld.
Die Gespräche könnten sich bei der Einschätzung der Bewerber als hilfreich erweisen, sagt Jim Della-Giacoma der Vizedirektor des Center on International Cooperation an der New York University: «Nur ein falscher Satz kann die gesamte Kandidatur in ein schlechtes Licht rücken», schätzte er ein, «diese Runden können potenziell nicht den Kriterien genügende Kandidaten mit Leichtigkeit aussondern».
Osteuropa an der Reihe
Einer nach dem anderen tritt zu den rund zweistündigen Sitzungen an. Den Anfang machte der montenegrinische Aussenminister Igor Luksic im historischen UNO-Gebäude am New Yorker East River. Geleitet werden die Bewerbungsgespräche vom Präsidenten der Generalversammlung Morgens Lykketoft. Historisch rotiert das Amt des Generalsekretärs unter den verschiedenen Weltregionen. Dieses Mal wäre danach Osteuropa an der Reihe, womit die spannende Frage bleibt, ob Kandidaten aus anderen Gegenden ebenfalls Chancen haben.
Ausgesprochene «Anti-Establishment»-Kandidaten gibt es diesmal eigentlich nicht, aber die vormalige neuseeländische Ministerpräsidentin Helen Clark und der Portugiese Guterres gelten als Favoriten, falls osteuropäische Bewerber unter den Erwartungen bleiben sollten. Rückenwind erhalten die weiblichen Kandidaten - neben Clark und Bulkova ist das die Kroatin Vesna Pusic und Natalia Gherman aus Moldawien - von der Tatsache, dass bislang noch keine Frau auf dem UNO-Spitzenposten Platz nahm.
Über den Umgang mit weltweiten Krisenlagen hinaus attestieren Beobachter der UNO mit ihren 44'000 Mitarbeitern einen gewissen Fokussierungsbedarf. «Die UN muss sich auf wichtige Schlüsselbereiche wie Sicherheit und Menschenrechte konzentrieren und andere Ebenen wie die Entwicklungspolitik etwa der Weltbank überlassen», sagt Brett Schaeffer von der Heritage Foundation in Washington. «Zu viele Prioritäten und die Kernmission wird verwässert».
Ban Ki-Moon hatte viele Krisen zu meistern
Der derzeitige Amtsinhaber Ban Ki-Moon aus Südkorea wird seine fünfjährige Amtszeit zum Jahresende abschliessen. In seine Zeit als Generalsekretär fällt ein Klimaabkommen, die Reaktion auf ein veheerendes Erdbeben in Haiti, das diplomatische Ringen um einen Waffenstillstand in Syrien und nicht zuletzt die Vorwürfe um sexuellen Missbrauch durch UNO-Blauhelmsoldaten in Afrika.
Trotz der internetöffentlichen Gesprächsrunden mit den neun Kandidaten bleibt die eigentliche Entscheidung über den Nachfolger von Ki-Moon als UNO-Generalsekretär den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitrates vorbehalten, also den USA, Grossbritannien, Russland, China und Frankreich. Entscheiden werden diese fünf im Oktober, und zwar nach Überzeugung des Experten Della-Giacoma nach «vielen Fragerunden hinter verschlossenen Türen».
(bloomberg/ccr)