Lugano im September. Keine Wolke am Himmel, der See ein Spiegel zwischen Bergen. Nicht weit entfernt von diesem Hermann-Hesse-Idyll hat Philipp Plein vor vier Jahren seinen Firmensitz errichtet. Sicher, Lugano ist nicht Paris, nicht London. Aber es ist steuergünstig, und auch die Nähe zur Modemetropole Mailand spielte eine Rolle.
Die Philipp Plein International Group ist in einem Bürohaus untergebracht, das an der Via Pietro Capelli 18 steht, 400 Meter vom See entfernt. Es ist ein Gebäude, von dem Architekten wohl sagen, es sei nicht ganz misslungen, und das, anders als die Waren, die von hier aus verkauft werden, ganz vernünftig aussieht: vier Stockwerke, Sichtbeton, Glas, rechte Winkel und Türgriffe an den richtigen Stellen.
Oben am First klemmt ein grossbuchstabiges «PHILIP PPLEIN», über dem Eingang prangt erneut: «PHILIPP PLEIN». Das Foyer ist mit schwarz meliertem Marmor verfeinert, von der Decke hängen vier schier unglaubliche Kronleuchter: Sonderanfertigungen aus venezianischem Glas, verziert mit Pleins Namen und seinem in aller Welt bekannten Markenzeichen, dem Totenkopf.
Tag der Wahrheit
Treppenhaus und Liftschacht bilden den Gebäudekern, die Büros sind ringförmig darum herum angeordnet, sodass man in jedem Stockwerk die Gebäudeachse umrunden und dabei immer an der Fensterfront bleiben kann. In der Chefetage ganz oben herrschen heute Regsamkeit und Grossbetrieb: Anprobetag für die kommende Philipp-Plein-Kollektion. Lieferanten sind aus Italien angereist, um ihre Muster vorzulegen, die sie nach den Vorgaben des Meisters gefertigt haben.
Ein Mannequin steht in Unterwäsche gleich neben der Tür zum Treppenhaus, langt nach einem Teil von der Kleiderstange, hinter der sie sich halb zu verbergen sucht. Im Nu hat sie das Kleid übergestreift: ein grünes, sommerbunt gepunktetes Fähnchen. Sie betritt ein Glasbüro, und ein «Bellissimo!» schallt ihr entgegen. Philipp Plein scheint zufrieden, steht aber dennoch hinter seinem Holzschreibtisch auf, geht an Bergen von Stoffproben, nietenbesetzten Handtaschen und Stapeln von Modemagazinen vorbei und beäugt das Werk noch aus nächster Nähe, sagt noch einmal: «Bellissimo.» Das Model tänzelt davon.
Plein ist 40 Jahre alt, gross, trainiert und etwas zu braun. Er trägt einen Anzug in Glanzblau, ein weisses Hemd, dessen drei oberste Knöpfe geöffnet sind, weisse Turnschuhe – alles Stücke aus seiner Kollektion.
Versace oder King of Bling
Als er das Besprechungszimmer betritt, ist er sichtlich angespannt, holt sich eine Koffeinbrause aus dem Kühlschrank («Red Bull Orange Edition Mandarine»), setzt sich hin, schnellt wieder hoch, sagt, «die Dose ist schmutzig, das kann ich gar nicht leiden», holt sich eine neue, setzt sich wieder. Seine Augen tasten den Raum ab, als wäre er von der Spurensicherung, er wippt mit den Füssen: Stress pur im vierten Stock an der Via Pietro Capelli 18.
Unter diesem Dach hat er mehrere Firmen angesiedelt: Philipp Plein, Plein Sport und Billionaire Couture. Letztere ist eine Luxusherrenmarke, die Plein 2016 vom Ex-Formel-1-Manager Flavio Briatore übernommen und auf Vordermann gebracht hat. Ins Handelsregister hat er zudem alle Landes- und Handelsgesellschaften eintragen lassen sowie eine Immobilienfirma. Philipp Plein ist Alleineigentümer.
Die Umsätze seiner Firmengruppe sind im letzten Jahr um 25 Prozent auf 250 Millionen Euro eskaliert. Plein hatte auf 270 bis 300 gehofft. Nun ja. Egal. Vielleicht dieses Jahr. Bestimmt sogar dieses Jahr. Der Gewinn vor Steuern beträgt bei PP in der Regel ein Fünftel, meist gar ein Viertel vom Umsatz. Das ist branchenweit überdurchschnittlich gut. Geschätzter Firmenwert: 500 Millionen Euro.
Wer ist dieser Mann, der unter seinem Namen Turnschuhe («Skull Brown») für 1998 Euro und Lederjacken für 85'000 Euro verkauft und zum erfolgreichsten deutschen Modeschöpfer mit eigener Marke aufgestiegen ist?
Sicher ist: Keiner polarisiert so sehr wie er, der als «King of Bling» («New York Times») verspottet, als «deutscher Versace» («FAZ») verherrlicht oder als «kleiner Gatsby» («Süddeutsche Zeitung») irgendwo in der Unschlüssigkeit abgestellt wird.
Während sich andere Luxusmarken an der New Yorker Modewoche in Vornehmheit und Raffinement übten, in Feinheit und Subtilität, bleibt Philipp Plein («Ich kann machen, was ich will, und kann nicht gefeuert werden») den Pauken und Posaunen treu, dem flimmernden, funkelnden Chic der Emporkömmlinge aller Klassen.
Verrückt, aber wahr
PP macht Klamotten für Leute, die jede Menge Kies und Knete haben. Seine Mode nennt er «Luxury Street Couture»: Er sagt, sie sei verrückt, jung, glaubwürdig und wahr. Ihr wohnt der Zauber der Ironie inne: Pleins Mode ist so frevelhaft peinlich, von einer solchen Hinterletztheit und Vogelscheuchigkeit, dass sie auf gerissene Weise und hintenrum schon wieder schön und dabei doch so billig erscheinen mag, dass er Höchstpreise für sie verlangen kann.
Seine Modeschauen sind Aufruhr und Spektakel: Achterbahnen und Sportstudios hat er aufbauen, Monstertrucks über Autos rollen, Ufos auf dem Laufsteg landen, Modelle von «Terminator»-Robotern aufmarschieren und das ganz grosse internationale Starpersonal antanzen lassen. Es bongt und gongt im Reich des Philipp Plein.
Madonna, Kim Kardashian, Cristiano Ronaldo und der Rapper 50 Cent gehören zu seinen Fans und mit ihnen die Parvenus aus aller Damen und Herren Ländern. Besonders unter Russen und Chinesen ist sein Zeug beliebt. Nebenher bemüht sich der Designer um Lokalkolorit: «Als Schweizer Marke mit Sitz in Lugano» kleidet er die dortige Eishockeymannschaft ein.
Der in München geborene Arztsohn hatte eigentlich Medizin studieren sollen, studierte aber sechs Semester Jura, gestaltete dann Hundesofas mit Krokodilleder-Bezug, verkaufte sie an Messen, und die Leute lachten. Er lachte mit und verliess die Universität, machte mit 24 seine erste Million, bestickte Militärjacken mit Totenköpfen aus Swarovski-Steinen, verhökerte sie für 700 Euro, begriff, dass er mit Klamotten noch viel mehr Geld als mit Möbeln machen konnte, und tätowierte sich vor Stolz den eigenen Namen auf den Arm. Er wollte reich sein. Aber nicht nur so reich wie nötig.
Wenige Wochen später stellte er seine erste Kollektion vor – teure Strassenkleidung für Männer, genäht in Italien. «Irre schwierig» sei das damals gewesen, sagt Plein. Denn im Luxusmarkt geht es nicht eben vornehm zu. Er habe sich nur durchsetzen können, weil er «mit Glitzer, Swarovski-Steinen und Totenköpfen» ein Nischenpublikum bediente.
Vier Jahre nach ihrem Bau ist seine Kommandozentrale in Lugano schon wieder zu klein für die 140 Leute, die hier arbeiten. Eben hat er nebenan weitere 1200 Quadratmeter bezogen.
Eine grosse Stärke von PP sei sein Leistungswille, sagt Markus Wyss (55) von der Unternehmensberatung KPMG Schweiz, der für den Modemann arbeitet. «Er ist ein Perfektionist und ein Macher, der nicht ruht, bis er sein Ziel erreicht hat.» Er sei «ein typischer Besessener».
Insgesamt beschäftigt die Plein-Gruppe 700 Leute, sie verfügt über Büros in Mailand, New York, Moskau und Hongkong. Die PP-Kreationen mit dem Totenkopf werden an 600 Verkaufsstellen im Handel, natürlich unter Plein.com und verstärkt in eigenen Geschäften angeboten.
2009 hatte er seinen ersten Laden in Monte Carlo eröffnet, ein Jahr später folgten Wien, Moskau, Saint-Tropez, Cannes und Kitzbühel. Heute umfasst sein Netz 120, zur Hälfte von Franchisenehmern betriebene Filialen. «Wenn wir über Retail reden, sprechen wir über die Champions League der Mode», sagt Plein und nimmt einen Schluck seiner Hochleistungslimo. Denn «das ganze Marktumfeld Wholesale ist schwierig». In der Tat sollen grosse Luxusmarken dem Handel schon gedroht haben, nicht mehr zu liefern, wenn man den lärmenden PP nicht aus den Regalen würfe. Sein Kommentar: «Das ist schon wie eine kleine Mafia.»
In den eigenen Filialen kann er schalten, wie er will – es ist freilich eine Strategie, die auch die Milliardenkonzerne verfolgen: «Alle Marken versuchen, die komplette Nahrungskette auszuschöpfen und den Zwischenhandel auszuschalten.»
Nichts auf Pump
Das Vorgehen ist teuer, die Startkosten sind hoch: Miete, Umbauten, dazu Waren auf Vorrat für vielleicht 400'000 Euro sowie neue Mitarbeiter – unter vier oder fünf Millionen Euro pro Filiale ist nichts zu wollen. Und dann sollte es auch zügig anlaufen, denn Mode ist ein flüchtiges Geschäft: «Wir verkaufen frisch geschnittene Rosen. Wenn der Rosenverkäufer die Blumen nicht verkauft, muss er sie am Tag danach wegwerfen.»
Kurzum, die Strategie ist für Plein («Wir sind immer noch ein kleiner Fisch») riskant, doch in seinem Gewerbe alternativlos: «Was wir verkaufen, sind ja nicht nur Klamotten, wir verkaufen Emotionen!», ruft er. «Was macht denn den Unterschied aus zwischen einem Zehn-Euro-Zara-T-Shirt, das 100 Prozent Cotton ist, und einem 220-Euro-Armani-T-Shirt, das auch 100 Prozent Cotton ist und vielleicht noch aus der gleichen Fabrik kommt?» Es ist die Marke, der Traum. Und weil es schwierig ist, den Traum übers Internet zu transportieren, brauchen Marken das Geschäft auf der Strasse: «Für viele ist Einkaufen auf der Luxusmeile immer noch ein soziales Ereignis», sagt Plein, «da ist es eine Celebration, mit der Tüte aus dem Geschäft zu gehen.»
In Anbetracht der Tatsache, dass sich Plein gern an teuersten Lagen etabliert, vom Corso Venezia in Mailand bis zum Rodeo Drive in Beverly Hills, und stets versichert, die interkontinentale Verbreitung und Streuung seiner Geschäfte ohne fremde Hilfe, ja ohne einen Cent Kredit bewerkstelligt zu haben, melden Konkurrenten schon aus Gewohnheit regelmässig Zweifel an seinen Geschäftspraktiken an. Vom «Manager Magazin» aufs «Geldwäsche»-Geraune angesprochen, antwortete Plein: «Solche Gerüchte kommen immer auf, wenn Menschen neidisch sind.»
Aufhalten lässt er sich durch das Gerede keinesfalls. Er denkt daran, sich an einer Schuhfabrik zu beteiligen und 2019 ein PP-Parfum einzuführen: «Hier gibt es ein Riesenwachstumspotenzial für das Unternehmen, sich mit Lizenzen weiterzuentwickeln», sagt er, «bisher hatte die Marke noch nicht die Strahlkraft. Aber jetzt sind wir mit über 100 Geschäften auf der ganzen Welt präsent.» Die Anpassung der Organisation an die neue Firmengrösse ist eine Herausforderung. Plein hat deshalb bereits einen Teil des Tagesgeschäfts seinem ersten Mitarbeiter und wichtigsten Vertrauten Ennio Fontana (39) übertragen. «Wir arbeiten gern mit Philipp zusammen», sagt der, «weil er uns das Gefühl gibt, die Firma würde auch unsere sein.»
Man for sale
Jetzt kommt Pleins Freundin, die 29-jährige Amerikanerin Morgan Britt, mit Mannequin und Designerin ins Besprechungszimmer: Ein Muster muss noch vom Chef abgenommen werden. Philipp Plein fragt nach Farbe und Details: «Weisse Seide? Dann muss es eine doppelte Lage Stoff sein.» Die Damen nicken, verlassen den Raum. «Sorry», entschuldigt sich Plein für die kurze Unterbrechung und springt zurück ins Gespräch. Was ihn von allen anderen Akteuren in der Szene unterscheidet? «Ich habe kein Geheimnis. Das ist ja das Witzige in der Mode: Alle machen genau dasselbe. Wenn Sie Gucci mit Dolce & Gabbana vergleichen, werden Sie nichts finden, was es bei Gucci gibt, aber bei Dolce & Gabbana nicht. Die verkaufen genau dieselben Produkte.» Und nicht nur das: «Viele haben die gleichen Hersteller, bewegen sich im gleichen Preissegment, eröffnen ihre Geschäfte in denselben Strassen, nehmen dieselben Models für ihre Modeschauen und machen Werbung in denselben Magazinen.»
Interessant, aber für die Ergründung des Phänomens Philipp Plein nicht weiter hilfreich. Der Selfmademan sagt: «Wir haben bei PP den grossen Vorteil, dass es die Person Philipp Plein noch gibt. Modemarken brauchen den emotionalen Bezug zum Namensgeber.» Also kaufen die Leute eigentlich Sie? «Natürlich.»