Am Sitz der WIR-Bank in Basel kreist ein Baukran. Eigentlich sollte die Baustelle Aufbruch symbolisieren. Doch stattdessen fragen sich die Mitarbeiter, ob das renovierte Gebäude überhaupt gebraucht wird. Sorgen macht das Kerngeschäft der Bank: der Handel mit der eigenen Währung WIR-Franken. Deren Umsätze sind zuletzt stark eingebrochen, wie Zahlen aus dem Halbjahresbericht zeigen (siehe Grafik unten).
Die Einnahmen der Bank aus dem WIR-Handel sanken 2018 im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr um 30 Prozent auf 8 Millionen Franken. Im gleichen Ausmass ging auch der WIR-Handel zurück, wie Pressesprecher Volker Strohm bestätigt. Es war der grösste Einbruch seit Jahren. Und er ist hausgemacht.
WIR ist eine Währung, die viele Schweizer kaum kennen. Das Alternativgeld, lanciert vor mehr als achtzig Jahren, kursiert vor allem in Gewerbekreisen. Herausgegeben wird sie nicht von einer staatlichen Notenbank, sondern von der WIR-Bank. 30 000 meist kleine Firmen und Einzelpersonen sind Teilnehmer. Sie feilschen bei jedem Geschäft darum, welchen Teil der Rechnung sie in WIR abwickeln können.
Von seinen Spitzenzeiten ist der WIR-Umsatz weit entfernt. Anfang der 1990er Jahre wurden pro Jahr 2,5 Milliarden WIR-Franken umgesetzt. Doch seither sank die Nachfrage. Dieses Jahr dürfte der Umsatz erstmals seit 1984 unter 1 Milliarde Franken fallen. Das Geld der 1934 als «Wirtschaftsring» gegründeten Genossenschaft zirkuliert nicht mehr. Die Inhaber bleiben darauf sitzen.
Einige wenden sich dann an Händler wie Erich Meier, um das Geld loszuwerden. Meier nimmt ihnen die WIR-Franken ab und sucht jemanden, der sie brauchen kann. Er bewegt sich im Halbschatten. Denn Handel mit WIR wird von der Bank nicht toleriert. Ihren Mitgliedern verbietet sie, Finanzgeschäfte abzuschliessen.
Früher sei er das KMU-Geld innert weniger Tage losgeworden, sagt Meier. Heute sei das schwieriger. «Der Kreis schliesst sich nicht mehr.» Entsprechend tief ist der Marktwert von WIR. Die Bank spricht von einer Parität zum Schweizer Franken, doch der Strassenkurs ist tiefer: «Zwischen 60 und 63 Franken pro 100 WIR-Franken werden derzeit bezahlt», sagt Meier.
Das kann Auswirkungen auf die Bilanzen haben, denn Revisoren glauben nicht blind an den offiziellen Kurs. Der Wert hänge von der Verwertbarkeit ab, sagt Eva Oberholzer von der Wirtschaftsprüferin PwC. Um WIR eins zu eins verbuchen zu können, müsse ein Unternehmen mit Verträgen oder einem Track Record belegen können, dass ihm der Einsatz zum vollen Wert gelingen könne. «Falls dies nicht glaubhaft dargelegt werden kann, muss ein Abschlag bilanziert werden.» WIR gelten zudem nicht als flüssige Mittel, sondern als Forderungen.
Währungsexperiment aus den 1930ern
Was für die einen ein Problem darstellt, ist für die anderen die Kernidee der Währung. In den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der WIR geschaffen, um die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. WIR sollten nicht gehortet werden, daher wurde darauf kein Zins bezahlt. Und sie sollten möglichst schnell bei anderen Mitgliedern für Beschaffungen ausgegeben werden. Der Schweizer WIR war nur eines von vielen solchen Währungsexperimenten. Doch als Einziger überlebte er.
Sein Hoch hatte der WIR in den neunziger Jahren – Bauboom und steigende Zinsen prägten die Wirtschaft und beides stützte die Nachfrage nach WIR. Weil die WIR-Bank ihre eigene Währung zu Sätzen verleihen konnte, die tief unter den offiziellen Zinsen lagen, fuhr günstig, wer Geschäfte über WIR finanzierte. Doch dann begannen die Zinsen zu sinken – und mit ihnen der WIR-Umsatz. Spätestens seit es Hypotheken für wenige Prozente gibt, hat der WIR-Kredit seinen Vorteil verspielt.
Was einst weit verbreitet war, gibt es heute praktisch nur noch bei der WIR-Bank: Das Basler Institut ist zwar eine Genossenschaft, ihre Anteilsscheine können jedoch auch gehandelt werden. Unter anderem über die OTCX-Plattform der Berner Kantonalbank. 386 Franken kostete der Stammanteil zuletzt. Der Kurs fällt seit längerem. Seit dem Allzeithoch im Sommer 2016 hat er um 17 Prozent nachgelassen und notiert derzeit auf einem langjährigen Tiefststand. Dass der Kurs nicht noch stärker eingebrochen ist, könnte damit zu tun haben, dass die Bank in den vergangenen Jahren viele Stammanteile aufgekauft hat. Das zeigt der Blick in den Geschäftsbericht. Noch 2014 hielt die Bank bloss 8000 eigene Titel im Wert von 3 Millionen Franken. Bis Ende 2016 stiegt der Bestand auf 67'000 Stammanteile an und alleine im vergangenen Jahr verdoppelte die WIR-Bank den Eigenbestand noch einmal auf rund 123'000 Anteile im Wert von 49 Millionen Franken. Das entspricht einem Eigenbestand von 13 Prozent. Eine Erklärung dafür wollte die Bank nicht abgeben.
Die Lieferanten kehren den Rücken
Immer mehr Händler stiegen aus und mit ihnen schwanden die Netzwerkeffekte. Wenn der Schreiner mit WIR kein Holz kaufen kann, verkauft er auch keine Möbel gegen WIR. Und das passierte. In den letzten Jahren kündigten grosse Unternehmen wie Sanitas Trösch, Amag oder Feldschlösschen ihren Vertrag. Nicht selten enden WIR-Teilnehmer dann an eigens für sie organisierten Märkten, an denen mit WIR bezahlt werden kann.
Dann pokerte die Bank unter CEO German Wiggli. War es einst möglich, stilles Mitglied zu sein und nur gelegentlich WIR zu akzeptieren, wurde 2017 ein Zwang eingeführt. Jeder Teilnehmer wurde publiziert und musste sich verpflichten, einen Teil jeder Zahlung in WIR zu akzeptieren. Die Aktion war ein Rohrkrepierer. Viele stiegen ganz aus, was den Umsatzrückgang im ersten Halbjahr erklären dürfte. Inzwischen habe sich das Geschäft stabilisiert, sagt Sprecher Strohm.
Ein Hoffnungsschimmer bleibt. Während das WIR-Geschäft darbt, konnte die Basler Genossenschaft als normale Geschäftsbank zulegen. Mit Sparkonten und Hypotheken in echten Franken. Oder Vorsorge-Angeboten. Mit ihnen verzeichnet sie steigende Umsätze – und letztlich auch wachsende Gewinne. Und so warb die Bank während ihres Umbaus in Basel an der Fassade auch nicht für ihre WIR-Plattformen, sondern für ihre Vorsorge-App Viac. Diese scheint gar nicht schlecht zu funktionieren. WIR-Geld kennt sie nicht.