Als Sie vor zehn Jahren mit Zalando loslegten, gab es einen Knall.
Robert Gentz: Absolut, damals brach die globale Finanzkrise aus.

Und Sie dachten: Wenn wir diese Finanzkrise überleben, überleben wir alles?
David und ich hatten vor Zalando in Südamerika ein Startup drei Monate lang aufgebaut und anschliessend fünf Monate abgebaut. So kamen wir mit riesigen Verlusten zurück nach Europa. Als wir kurz darauf mit Zalando starteten und die Finanzkrise losging, war das für uns weniger bedrohlich als das vorher.

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Die Finanzkrise war gar nicht so schlimm?
Für uns jedenfalls nicht. Unsere Erfahrung lehrte uns schon zuvor, ganz, ganz vorsichtig mit Geld umzugehen und keine Extravaganzen auszuleben. Das heisst, wir hatten schon damals die Mentalität: Wir können es uns nicht leisten, auch nur 1 Euro zu verschwenden. Die Finanzkrise hat dieses Denken verstärkt – bis heute. Ohnehin achteten wir von Beginn an sehr darauf, dass unsere Entscheidungen datengetrieben waren. Wir überlegten uns fast bis hinters Komma, was uns welcher Kanal, welcher Kunde, welcher Partner bringt. Dann rechneten wir möglichst genau aus, wie wir unsere Investitionen optimal allozieren. Als wir 2009 rund 6 Millionen Euro Nettoumsatz schafften, rechneten wir aus: Wenn wir eine neue Finanzierungsrunde durchführen, können wir im nächsten Jahr 150 Millionen schaffen.

Von 6 auf 150 Millionen in einem Jahr. Die Investoren haben es geglaubt?
Die meinten: Schön, dass ihr Ambitionen habt, aber versucht es doch mit 30 Prozent, das wäre auch schon ganz gut.

Ende 2010 waren es wie viele Millionen?
154. Die Investoren waren zufrieden und wir sahen uns bestätigt, dass unser datengetriebener Ansatz funktioniert.

Ihr Geschäftsmodell lautet Wachstum, Wachstum. Allein dieses Jahr wollen Sie dafür 350 Millionen Euro in die Hand nehmen. Ihre Investoren wurden derweil nicht mit Dividenden verwöhnt.
Ich würde eher sagen: Je mehr Kunden wir haben, desto mehr Skaleneffekte und desto mehr Geld für die Technologie und für den Ausbau des Sortiments. Und weil damit die Datenmenge wächst, können wir das Angebot präziser auf die Kundschaft zuschneiden. Im Technologiebereich ist es nun mal so, dass die Grösse eine enorm wichtige Rolle spielt.

Wachstum ohne Grenzen?
Der Modemarkt in Europa ist 422 Milliarden Euro gross, wir halten davon bislang 1,3 Prozent. Es gibt also noch ganz viel Potenzial.

Die Angst vor Amazon treibt Sie an – mit 180 Milliarden Umsatz haben die Amerikaner viel grössere Skaleneffekte.
Klar ist Amazon ein starker Player, aber im Modemarkt in Europa brauchen wir uns nicht zu verstecken. Und je mehr wir das Kundenerlebnis erhöhen, desto besser sind wir unterwegs.

Was kann man vom Retail-Champion Amazon lernen?
Wir haben viele Mitarbeiter, die früher bei Amazon waren. Ich habe Respekt für die Firma. Ich finde es toll, dass Amazon – so wie wir – einen starken Kundenfokus hat. Dann ist es beeindruckend, dass die Leute selbst bei dieser Firmengrösse täglich hungrig sind und etwas reissen wollen. Wenn es Amazon mit 100 000 Mitarbeitenden kann, können wir es erst recht mit 15 000.

Robert Gentz Zalando

Zalando-Co-Chef: «Wir denken als Tech-Plattform, nicht als Retailer.

Quelle: Stephan Floss

Sie haben viele Daten-Profis eingestellt. Was sollen die konkret bringen?
Mit unseren Daten wollen wir die Erfahrung für die Kunden verbessern. Wir möchten, dass sie möglichst schnell einen neuen Modeartikel entdecken, der ihnen passt und gefällt. Stichwort: Empfehlung. Dann wollen wir, dass jeder der über 24 Millionen aktiven Zalando-Kunden auf unserer Website sein eigenes Zalando entdeckt. Stichwort: Personalisierung. Ausserdem geht es um das Sizing: Grössen und Passformen sind ein sehr komplexes Thema, sowohl technisch als auch emotional. Bei Zalando arbeitet ein interdisziplinäres Team daran, die Grössenempfehlung für Kunden durch Machine Learning zu optimieren

Eine riesige Herausforderung. Passgrössen variieren je nach Marke und Schnitt.
Das wollen wir ändern. Wenn ein Kunde von zehn Modeartikeln drei retourniert, können wir durch künstliche Intelligenz und im Vergleich mit Retouren anderer Kunden herausfinden, was ihm passt. Dieses System können wir verfeinern und so die Retouren, die wegen falscher Grössen getätigt wurden, reduzieren.

Das bedeutet: Sie investieren ohne Ende in die IT.
Es ist unser Kerngeschäft, technische Lösungen zu bauen, damit der Kunde ein immer besseres Einkaufserlebnis vorfindet.

Ziel: von 50 Prozent Retouren auf null?
Wir wollen das Betriebssystem für die Modewelt Europas bauen, das alle Friktionen eliminiert. Wenn ein Schuh oder eine Bluse nicht passt, ist das eine unnötige Friktion, die Kosten verursacht. Auswahlretouren gehören weiterhin zu unserem Geschäftsmodell.

Zara lanciert das Konzept Ship from Store und will aus seinen 2000 Läden die Online-Kundschaft rasch bedienen. Ist es kein Nachteil, dass Sie keine Läden haben?
Wenn ein Kunde in Zürich ein Hemd von Tommy Hilfiger bestellt, macht es in der Tat mehr Sinn, wenn der Store vor Ort das Teil ausliefert. Dann gewinnt der Kunde, wir haben weniger Kosten und der Laden macht mehr Umsatz. Um das zu erreichen, muss man die gesamte Modeindustrie auf eine Plattform bekommen.

Funktioniert das?
An Connected Retail arbeiten wir seit etwa vier Jahren. Dieser Geschäftsbereich entwickelt sich sehr gut: Bis Ende des Jahres werden 600 physische Stores an Zalando angebunden sein, darunter Esprit, Tommy Hilfiger, Seidensticker oder Drykorn.

Das ist Ihre Antwort auf Zara?
Für uns geht es nicht primär um Stores, sondern um die Frage: Was ist das Beste für den Kunden? Dieser möchte die bestellte Ware möglichst zügig haben. Ob sie aus dem Laden kommt oder aus dem Logistikzentrum, ist ihm egal.

Der Co-CEO

Name: Robert Gentz

Funktion: Co-Gründer und Co-CEO Zalando

Alter: Jahrgang 1983

Ausbildung: Studium an der Wirtschaftshochschule Düsseldorf, Auslandsemester in Hawaii und Monterrey, Mexiko

Karriere:

2006 bis 2007: Praktika bei Boston Consulting und Morgan Stanley

2007 bis 2008: Geschäftsführer beim Startup Unibicate, Monterrey

2008 bis heute Co-CEO Zalando

Ihnen ist Wachstum wichtig. Aber wenn auch die Grossmutter Zalando-Kundin ist, findet das der Enkel vielleicht nicht mehr so cool. Keine Gefahr?
Wenn man als Retailer denkt, mag das gefährlich sein. Wir denken als Tech-Plattform. Nehmen Sie Spotify: Eltern wie Kinder hören über Spotify Musik, aber beide unterschiedliche. Die Eltern hören Jazz, die Kids House.

Wie mühsam ist es eigentlich für Sie, nur mit Kleidern aus dem Zalando-Universum rumzulaufen?
Bei über 2000 Marken im Sortiment und mehr als 300 000 Artikeln stellt sich mir diese Frage nicht.

Und wenn Sie einen grauen Paul-Smith-Anzug suchen?
Paul Smith haben wir auch im Sortiment. Alles, was sie oder er im Modebereich sucht, soll in der Zalando-Welt auffindbar sein. Wir wollen, dass jeder Europäer Zalando-Kunde ist.

Bislang sind Sie erst in 17 Ländern Europas, es gibt noch 30 andere.
Richtig, aber in den wichtigsten sind wir.

Wohin geht es als Nächstes?
Schauen wir mal. Jedes Land bringt neue Komplexitäten, neue Sprachen, neue Werbebotschaften, neues Kaufverhalten, neue Regulierungen, neue Logistik. Wenn man erst 1,3 Prozent vom Gesamtmarkt hat, muss man Prioritäten setzen. Aber unser Ziel bleibt: Wir wollen, dass jeder Europäer bei Mode an Zalando denkt.

Wie bekommen Sie neue Ideen ins Unternehmen? Zalando ist längst ein internationaler Grosskonzern.
Wir sind über 15 000 Mitarbeitende aus über 100 Nationen. Was hilft: Viele unserer Leute sprudeln vor Ideen. Wir können uns nicht beklagen. Für uns ist eher das Thema, wie wir die richtigen Ideen aussieben und auf die Strasse bringen und wie wir Tech-Talente gewinnen können

Mit dem Wachstum und dem Betriebsalter des Personals wird es immer schwieriger.
Klar ist das eine Herausforderung. Aber wir pflegen eine starke Innovationskultur, die auch das Bestehende immer wieder hinterfragt. Grösse hat in meinen Augen vor allem etwas mit Struktur zu tun, aber nicht unbedingt mit Kultur. Im Herzen sind wir immer noch ein Startup und sprechen jene Leute an, die nicht mit dem Status quo zufrieden sind, sondern die Modeindustrie verändern wollen. Unter anderem halten wir zum Beispiel sogenannte Hack Weeks ab. Damit schaffen wir Freiräume, die Mitarbeitende nutzen können, um kreative Projekte und innovative Ideen zu entwickeln.

Beteiligungen an Startups sind kein Thema, um neue Ideen reinzubringen?
Doch, wir gehen Partnerschaften ein oder beteiligen uns an Startups. Zum Beispiel an Fashwell in der Schweiz oder etwa Magazino in Deutschland.

Welche Neuerung haben Sie sonst noch auf der Liste?
Wir zeigen Kundinnen, die bei Zalando einkaufen, wie sie ihren Kleiderschrank entrümpeln können. Wir machen ihnen Vorschläge, zu welchem Preis wir die Stücke wieder zurückkaufen. Auf Basis der zugeschickten Fotos erkennen wir die Marke und können einen Kaufpreis vorschlagen. Das Projekt ist eben in Deutschland angelaufen und nennt sich Zalando Wardrobe. Es gibt auf der anderen Seite viele Kundinnen, die gerne Secondhand nachfragen. Nun testen wir dieses Projekt.

Kommt ein Deal zustande, fliesst das Geld zurück an die Kundin?
Nein, es wird ihr gutgeschrieben auf ihrem Zalando-Konto.

Zalando Wardrobe soll auf die anderen 16 Zalando-Länder ausgerollt werden?
Wir sind am Testen. Das Beispiel zeigt, wie Datenverknüpfung und Innovation echten Mehrwert schaffen. Wenn es funktioniert, werden wir dieses Modell in anderen Märkten ausrollen. Für die Kundin und für die Käuferin lösen wir ein Problem – und wir profitieren davon, wenn die Kundin wieder bei uns ordert.

Andere Retailer bieten das Mieten eines Kleidungstücks an. Ist das auch etwas für Zalando?
Das schauen wir uns bei hochpreisigen Produkten genauer an. Aber Kleidermiete ist juristisch und technisch sehr komplex. Zudem sind die Margen tief. Derzeit liegt der Fokus auf dem Modezyklus, den ich bei Zalando Wardrobe beschrieben habe. Man kauft bei uns ein und verkauft wieder an uns.

Die Firma

Flop: Robert Gentz ist bei Zalando zuständig für Personal, Strategie und Technologie-Infrastruktur. Er gründete mit Studienkollege David Schneider das Startup Unibicate, ein soziales Netzwerk für Hochschulen in Mexiko, Argentinien und Chile. Das Projekt scheiterte, zurück blieben Schulden. Monate später starteten die beiden den Online-Versandhändler Zalando, Geldgeber war unter anderem der Kölner Investor Alexander Samwer, dessen Bruder Oliver die beiden Unternehmer aus dem Studium in Düsseldorf kannte.

Wachstum: Zalando erzielte 2017 einen Gesamtumsatz von 5 Milliarden Franken, ein Plus von 23 Prozent zum Vorjahr. Seit 2011 lieferte man auch in die Schweiz, wo der Umsatz mittlerweile 500 Millionen erreicht. Heute ist der Online-Händler in 17 europäischen Ländern aktiv. Auch dieses Jahr wurde keine Dividende ausgeschüttet, dafür sollen 400 Millionen in Logistikzentren, Vertrieb und Software investiert werden. Zalando begann 2008 mit Schuhhandel und nahm 2009 Mode ins Sortiment. 2014 ging die Startup-Firma an die Börse, seither schreibt man schwarze Zahlen. 2015 bezog die Firma den Zalando-Campus in Berlin-Friedrichshain.

Reibach: Der Firmenwert beläuft sich auf rund 9 Milliarden Franken. Grösste Aktionäre sind die schwedische Beteiligungsgesellschaft Kinnevik (31 Prozent) und der dänische Modeunternehmer Anders Holch Povlsen (10 Prozent). Die beiden Gründer halten zusammen 3,7 Prozent. Bislang bezogen die Co-CEO ein Fixgehalt von 200 000 Euro. Künftig erhalten sie ein Grundgehalt von 65 000 Euro und partizipieren an einem fünfjährigen Optionsprogramm. Wenn Aktie und Umsatz jedes Jahr massiv steigen, winken ihnen am Ende des Programms maximal je 180 Millionen Euro.

Auch in den Kosmetikmarkt sind Sie kürzlich eingestiegen. Läuft es?
Wir sind vor ein paar Monaten gestartet. Die meisten unserer über 24 Millionen aktiven Kunden sind weiblich, sie kaufen regelmässig auch Beauty-Produkte ein. Unsere Erfahrung bis jetzt zeigt, dass die Kundinnen dieses Angebot annehmen.

Und die Männer?
Mit Beauty für Männer haben wir ebenfalls gestartet. Nun lancieren wir das komplette Beauty-Angebot noch vor Weihnachten in Österreich und Polen.

Und wann geht es in der Schweiz los mit Lippenstift und Nagellack?
Wir wollen mit Kosmetik nach und nach in alle unsere Märkte expandieren. Und da spielt natürlich auch die Schweiz eine grosse Rolle. Wann genau es so weit sein wird? Es noch zu früh, eine Aussage zu treffen.

Wann kommen die Push-Vorschläge für Kleiderkäuferinnen, sie sollen noch das passende Make-up kaufen?
Abwegig ist das nicht, schliesslich bietet das Beauty-Sortiment Kunden die Möglichkeit, ihren Look mit den richtigen Beauty-Produkten zu vervollständigen und sich von Kopf bis Fuss inspirieren zu lassen. Aber zuerst wollen wir das Beauty-Sortiment massiv ausbauen, damit wir mit den relevantesten Marken vertreten sind. Erst dann unternehmen wir weitere Schritte.

Sie wollen das Geschäft bis 2020 verdoppeln, wie Sie mal gesagt haben. Ihr Ernst?
Ja. Aber dahinter stehen natürlich unsere Kunden. Und wir wollen – wie gesagt –, dass jeder einzelne Europäer Zalando-Kunde ist, dass wir im Mode- und Lifestyle-Bereich massgebend sind und dass wir die Kunden einfach bedienen können.

Keine Angst, dass Ihnen ein Chinese einen Strich durch die Rechnung macht?
Da reden wir von einem ganz anderen Kundenerlebnis. Wir bieten Markenprodukte an, nicht Billigware.

Es gibt auch chinesische Modehändler, etwa Taobao.
Bei uns werden Markenprodukte aus einem riesigen Sortiment innerhalb eines Tages ausgeliefert. Die Lieferung aus Asien dauert vier Wochen, ohne Retouren und Nachlieferung. Dieses Modell ist nicht nachhaltig. Hinzu kommen Datenschutzfragen.