Mitunter nutzt Martin Scholl gerne die Gelegenheit für einen Fernblick: Für demnächst hat er sich auf 2513 Metern über Meer, in der Hörnlihütte in Arosa, mit seinem Pressechef Urs Ackermann auf einen Teller Älplermagronen verabredet. Mit der Neueröffnung der Schwebebahn zwischen Lenzerheide und Arosa Mitte Januar werden die bevorzugten Skiorte der beiden ZKB-Männer künftig miteinander verbunden sein.

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Zu besprechen haben die beiden einiges: Intern wie extern steigt die Kritik am Chef der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Zuletzt sorgte eine Kaskade von Abgängen in der obersten Führungsetage für Aufsehen. Bekümmert wirkt Scholl nicht. Im Gegenteil: Ende Jahr markierte er, fast provokativ, nochmals machtvoll sein Revier – und nutzte die Pensionierung des bisherigen Vize-CEO für die Besetzung der Schlüsselposition in seinem Sinne. Mit Private-Banking-Spartenleiter Christoph Weber beförderte er einen engen Freund zu seiner Nummer zwei.

Kriterien erfüllt

Ihm wirft die Presse schon seit längerem Günstlingswirtschaft vor – angesichts einer Entourage persönlicher Vertrauter in der Führungsetage, intern «Stifti-Gang» genannt, weil manche wie Scholl schon ihre Lehrzeit bei der ZKB verbrachten. Ihm war offensichtlich egal, dass er damit erneut Negativschlagzeilen bewirkte. «Christoph Weber geniesst sowohl bei den Bankbehörden wie auch in der Geschäftsleitung vollstes Vertrauen und ist als langjähriges Geschäftsleitungsmitglied für eine Stellvertreterfunktion bestens geeignet», begründet Scholl den Schritt.

Mit seinen Presseleuten besprochen hatte Scholl die Wahl vorab nicht. Auch sonst war ausser einem kleinen Kreis von Eingeweihten niemand involviert. Den Vorschlag eingebracht hatte Scholl für die am 19. Dezember stattfindende letzte Sitzung des Bankrates im vergangenen Jahr. Es gab nur diesen einen Kandidaten. Das Aufsichtsgremium stimmte Scholls Vorschlag einhellig zu. Laut Bankratspräsident Jörg Müller-Ganz liess sich der Bankrat von folgenden Kriterien leiten: Akzeptanz bei Bankrat, Geschäftsleitung und Mitarbeitenden, Leistungsausweis, Persönlichkeit sowie Verweildauer in der bisherigen Funktion. «Christoph Weber erfüllt diese Kriterien in der Summe am besten», so Müller-Ganz.

Kein Grund zur Sorge

Allergisch auf Kritik. Wer gleich tickt, kann es gut mit Scholl – er schätzt eine wattierte Entourage. Auf Kritik reagiere er geradezu allergisch, sagen Leute, die eng mit ihm zusammenarbeiten. Dabei geht ihm zuweilen jegliche Souveränität ab: Mitarbeiter, die sich vergangenen Sommer im Branchenblog «Inside Paradeplatz» kritisch geäussert hatten, liess er ausspionieren und auf die Strasse stellen, was weitherum für Empörung sorgte. Er selber sieht sich im Gespräch mit der BILANZ indes als sehr zugänglichen Menschen und weist mit klarer Geste auf seinen Büroeingang: «Durch diese Türe kann jeder reinkommen und mit mir über alles diskutieren.»

Viele Mitarbeiter sehen ihren Chef anders. Die Mitarbeiterbefragung vom Sommer 2013 zeigt nicht nur, dass die Gesamtzufriedenheit bei der ZKB in den letzten beiden Jahren deutlich zurückgegangen ist, besonders schlechte Noten gab es insbesondere auch fürs Management und die Kommunikationskultur: «Vertrauen in GL und Klarheit der Strategie gesunken», heisst es in der Studie. Die Ergebnisse würden intensiv diskutiert und wo nötig Massnahmen ergriffen, so Scholl. Das Ergebnis ist für Scholl kein Grund zur Sorge. Der Wert sei zwar gegenüber 2011 gesunken, befinde sich aber immer noch auf hohem Niveau. Auch wenn die Bindung der Mitarbeiter an die Bank kleiner geworden sei, liege sie dennoch im Zielkorridor. Die Mitarbeiterzufriedenheit spiegle vor allem die generell schlechtere Lage in der Bankenbranche und die Unsicherheit angesichts laufender interner Effizienzsteigerungsprogramme.

Aussitzen statt handeln ist die bevorzugte Haltung des ZKB-Chefs. Reflexartig reagiert Scholl auf Veränderungsdruck mit dem Hinweis, alles sei in bester Ordnung. Als die ZKB Mitte November von der Nationalbank neu als systemrelevant eingestuft wurde, war Scholl vor allem darum bemüht, die Konsequenzen als irrelevant darzustellen, wie seine Äusserungen in der Presse zeigten. Wird sich der Geschäftsmix verändern? «Das Gesicht der Bank wird sich in keiner Weise ändern.» Werden die Handelsaktivitäten zurückgestutzt? «Eine Änderung der Strategie drängt sich nicht auf.» Werden Hypotheken restriktiver vergeben? «Das wird nicht den geringsten Einfluss haben.»

Gnadenfrist läuft ab

Für den Mann, der die Bank seit 2007 mit immer härterer Hand führt, ist diese Haltung bis jetzt aufgegangen. Doch die grösste Herausforderung steht ihm noch bevor: die Klärung seiner Verantwortlichkeit für den Steuerstreit mit den USA. Bisher hat Scholl wegen der langsam mahlenden US-Mühlen eine Gnadenfrist erhalten. Aussitzen dürfte in diesem Fall wenig bringen: Kantonspolitiker jeder Couleur haben angekündigt, die Frage der bankinternen Verantwortlichkeit genau prüfen zu wollen, sobald die US-Frage abgeschlossen und die Bussenhöhe bekannt sei. Die Bank geht davon aus, dass sich die Verhandlungen mit den US-Behörden «bis weit ins Jahr 2014» hinziehen.

«Der Kantonsrat wird als Vertreter der Eigentümerschaft darauf beharren, dass die Verantwortlichkeiten abgeklärt werden», so Bankenspezialist Hans-Peter Portmann von der FDP. Auch SP-Fraktionschef Raphael Golta will wissen, wie sich die ZKB in der US-Frage verhalten hat: «Dabei sollen selbstverständlich auch die personellen Konstellationen und die Rolle von Herrn Scholl genau angeschaut werden», so Golta. Es könnten unangenehme Fragen auf Scholl zukommen. Viele davon werden die Zusammenarbeit mit einer Bank betreffen, die einen anderen ZKB-CEO den Kopf gekostet hat: die Verbindung mit der inzwischen liquidierten Neuen Zürcher Bank (NZB). Scholl-Vorgänger Hans Vögeli musste 2007 den Hut nehmen, weil die ZKB zusammen mit der NZB das Industrieunternehmen Sulzer dem Übernahmecoup einer Gruppe von Investoren um den russischen Financier Viktor Vekselberg ausgesetzt hatte.

Paukenschlag der UBS

Scholl kannte die NZB gut, als er Hals über Kopf die Nachfolge von Vögeli antrat. Nach einer Banklehre bei der ZKB war er über mehrere Stufen bis in die Generaldirektion gelangt, der er seit 2002 angehört. Er war damit von der ersten Stunde über das Geschäftsgebaren der NZB bestens im Bilde. Im Juni 2007 zum CEO gekürt, startete Scholl mit einer gehörigen Portion Ehrgeiz – und trieb die Bank im Vorfeld der sich bald abzeichnenden Finanzkrise auf einen forcierten Wachstumskurs. Damit handelte sich die Bank Ungemach ein, denn nicht wenige der neuen Kunden stammten aus den USA.

Vorausgegangen war ein Paukenschlag aus dem Hause UBS: Nach Untersuchungen der US-Behörden über die Machenschaften der Grossbank in Sachen US-Steuerflüchtlinge suchten 2007 und 2008 haufenweise US-Kunden eine neue Bleibe – und fanden diese unter anderem bei der NZB, einer Bankboutique, die eine Businesschance witterte. Damit kam auch die ZKB ins Spiel, denn Scholls Bank agierte als Depotbank für die kleine NZB. Zuständig für das Depotbusiness bei der ZKB war die Abteilung Externe Vermögensverwalter (EVV) unter Reto Siegrist. Auch er ist ein Mitglied der «Stifti-Gang»: Siegrist und Scholl kennen sich aus gemeinsamen Lehrzeiten und waren später lange gemeinsam im Firmenkundengeschäft tätig.

Ziehen der Reissleine

Die Bank pushte das Geschäft mit externen Vermögensverwaltern und Depotkunden gezielt. So interessiert soll die ZKB an diesen Geldern gewesen sein, dass sie andere Depotbanken mit hohen Vermittlungskommissionen ausstechen wollte, berichtet ein NZB-Insider: «Die ZKB versuchte das Geschäft über höhere Finder Fees zu steuern.» An der Pressekonferenz vom Februar 2012 erläuterte Scholl, dass die Bank im Jahr 2008 – bis zum Erlass von Moratorien – einen Vermögenszuwachs von US-Personen hatte, darunter auch Kunden von externen Vermögensverwaltern. Dabei sollen laut Scholl aber die marktüblichen Incentivierungsmodelle und -ansätze zum Einsatz gekommen sein.

Das Business mit den Depotkunden der ZKB schwoll auf mehrere hundert Millionen Franken an, wie ein mit dem damaligen Geschehen vertrautes Mitglied des ZKB-Bankrates bestätigt – eine enorme Summe, welche die ZKB bis zum Ziehen der Reissleine aufgebaut hatte. Noch bis weit ins Jahr 2008 trieb die ZKB dieses Business voran. Doch es wurde auch der ZKB langsam mulmig. Der Hinweis, das Business mit US-Kunden sei mehr als nur heikel, kam aus der Linie, wo ein aufmerksamer Mitarbeiter mit engen Beziehungen zu den USA ein besonderes Gespür für die Problematik besass – und dies die Bank wissen liess.

Nun wurde die Geschäftsleitung aktiv und erliess im Juni 2008 ein erstes Moratorium. Es umfasste laut Scholl zunächst ehemalige UBS-Kunden mit Wertschriften ohne W9-Formular, mit welchem Kunden ihre Identität offenlegen müssen. Später wurde es sukzessive erweitert. «Konti wurden von den Aufnahmestopps leider nicht erfasst – mit dem Wissen von 2008 konnten wir einfach nicht erkennen, dass die Konti derart sensibel sind», räumt Scholl ein. Selbst die Bankenaufsicht habe noch im Februar 2009 in Bezug auf die Führung von Konten für US-Kunden keine Bedenken geäussert.

Zäher Exit

Der Exit aus dem Business erwies sich dann als zähflüssig. Intern waren einige Widerstände zu überwinden, wie mehrere mit der damaligen Sachlage vertraute Bankräte unabhängig voneinander berichten. Im Bereich der externen Vermögensverwalter waren es der Spartenchef Reto Siegrist und sein Team, die aus operativen Gründen wenig Interesse an einer Zurückstutzung des Geschäfts hatten und als Bremser agiert haben sollen, wie ein Bankrat berichtet. Martin Scholl soll aber nicht bereit gewesen sein, den getroffenen Grundsatzentscheid in Frage zu stellen.

Verzögerungen gab es dann aufgrund der schwierigen regulatorischen Lage.Denn der Bankrat unter dem damaligen Präsidenten Urs Oberholzer sah sich mit der heiklen Frage betraut, wie der Ausstieg aus dem Business ohne Totalschaden für die NZB zu bewerkstelligen sei, ging es doch um den Rückzug Hunderter Millionen innert kurzer Zeit. Weil dies dem Bankrat bewusst war, wurde die Bankenaufsicht informiert, die fortan den Ausstieg eng begleitete. Die Finma hatte die NZB ohnehin auf dem Radar. Der NZB-Verantwortliche für das US-Geschäft wurde 2009 freigestellt, 2011 machte die NZB endgültig dicht. Laut einem Finma-Insider war der Rückzug der ZKB-Gelder in diesem Prozess «ein erschwerendes Moment».

Keine Stellungsnahme

Mit dem Wegfall der NZB nahmen die US-Behörden die ZKB stärker in den Fokus. Für die ZKB ungemütlich, denn nicht nur auf der Schiene NZB hatte die Bank das Geschäft gepusht, auch im direkten Kundenkontakt waren US-Kunden im Netz gelandet. So zumindest lautete der Vorwurf der US-Behörden, die US-Kunden der ZKB befragt hatten. Ende 2012 veröffentlichte der US District Court in New York die Anklage gegen drei Kundenberater der Bank: Sie sollen US-Bürgern beim Verstecken von Steuergeldern in Höhe von 420 Millionen Dollar geholfen haben. Und dies noch bis weit ins Jahr 2008. So soll etwa ein Kunde im November 2008 in die Schweiz gereist sein und die ZKB besucht haben, wo ihm der zuständige Kundenberater seine Bank ans Herz legte, unter anderem mit dem Argument, die ZKB habe im Gegensatz zur UBS keine Niederlassung in den USA und sei daher weniger verletzlich.

Scholl will zur Anklage mit dem Hinweis aufs laufende Verfahren keine Stellung nehmen. Er weist jedoch darauf hin, dass die Anklagen mehrheitlich Fälle betreffen, die zum Teil bis in die neunziger Jahre zurückgehen und deren Eröffnungen und Geldzuflüsse weit vor 2008 erfolgten. Dadurch werde offensichtlich, wie ein Sachverhalt im Zeitablauf anders beurteilt wird. Zu beurteilen sei zudem die generell schwierige Lage in den Monaten der Finanzkrise 2008. Viele Kunden verliessen die Grossbanken und grasten die Schweizer Bankenlandschaft nach einer neuen Bankverbindung ab. Man habe 2008 16,4 Milliarden Neugeldzufluss gehabt und über 100 000 neue Konti eröffnet – «es ist nicht so einfach, jeden zu erkennen», sagt Scholl.

Richtiger Entscheid

Die ZKB als Bank mit Staatsgarantie galt in jenen Tagen als Fels in der Brandung. Der Entscheid, das Momentum zu nutzen, war ein bewusster strategischer Schritt von Scholl, wie die im Juni 2008 angekündigte Wachstumsinitiative «Avanti» zeigt. Für Scholls Wachstumsplan bewilligte die Bank eigens 250 neue Stellen in der Kundenbetreuung. Gefördert wurde auch der neu geschaffene Bereich Private Banking, der im August 2008 mit dem nun zum Vize-CEO ernannten Scholl-Vertrauten Christoph Weber einen neuen Chef erhielt. Weber hatte nach der Lehre bei der ZKB unter anderem bei der Banca del Gottardo Karriere gemacht.

Bei der ZKB steht Weber heute vor allem für den teuren Aufbruch der Zürcher Staatsbank ins europäische Private Banking und den Kauf der kriselnden österreichischen Privatinvest Bank (PIAG) von 2009, deren Sanierung die ZKB bis heute kumuliert über 18 Millionen Franken gekostet hat. Der Entscheid sei nach wie vor richtig, die strategischen Annahmen hätten sich bestätigt und die Investitionssummen seien immer noch im Rahmen des Businessplanes, verteidigt Scholl seine Strategie und seinen Spartenchef. 2015 oder 2016 sollte laut Scholl die Gewinnschwelle erreicht sein.

300 Millionen Franken

Die US-Frage betrifft Weber weniger als Scholl, trat die ZKB doch ab Sommer 2008 verstärkt auf die Bremse. Präsident Müller-Ganz betont, dass der neue CEO-Stellvertreter «keine US-Vergangenheit» besitze: «Zum Zeitpunkt seines Eintritts bei der ZKB 2008 befasste sich die Bank bereits mit Szenarien des Ausstiegs aus dem US-Geschäft und erliess bezüglich Neuzugängen von Kunden erste Restriktionen.» Im September 2008 erweiterte die Bank das Moratorium, aber es dauerte noch bis Ende 2011, bis der Exit aus dem US-Geschäft bewerkstelligt war.

«Rückwirkend betrachtet wäre ein schnellerer Ausstieg aus dem US-Geschäft besser gewesen», gab Scholl zu. Auf die Frage seiner persönlichen Verantwortung für den Kurs der ZKB und die damit zusammenhängenden Probleme in der US-Frage erwähnt er, dass die Verantwortlichkeiten bereits 2011 im Auftrag der Bank durch unabhängige Dritte im Detail aufgearbeitet wurden. Er verweist auf Verlautbarungen der Finma, die Untersuchungen bei Banken im Zusammenhang mit dem US-Geschäft durchgeführt und teilweise Korrekturmassnahmen angeordnet habe – nicht aber bei der ZKB. «Die Bank hat sich fach- und sachgerecht verhalten – vor dem Hintergrund des Wissens, das der Bank zum damaligen Zeitpunkt zur Verfügung gestanden hat.»

Ob sich die Politik mit der legalistischen Argumentation abspeisen lässt, hängt auch von der Höhe der Busse ab, die laut Schätzungen 300 Millionen Franken betragen könnte. Eine hohe Busse bedeutet weniger Geld für den Kanton. «Wenn keine juristischen Verfehlungen stattgefunden haben, bleibt die Frage, warum die ZKB überhaupt eine Busse zahlt», so FDP-Kantonsrat Hans-Peter Portmann. Die Jungsozialisten schrieben den Job von Scholl scherzhaft im letzten Herbst auf ihrer Website aus: «Die ZKB braucht Sie als CEO.» Scholl reagierte auch hier mit wenig Humor – die ZKB erzwang vor Gericht umgehend die Abschaltung der Website.