Der Mann wirkt so gar 
nicht furchteinflössend: Das schüttere Haar ist gepflegt nach hinten gekämmt, aus der Tasche des Sakkos lugt ein lila Seidentuch hervor, auf der Nase thront eine Designerbrille. Gestatten: Walter Oberhänsli, CEO und Mitbegründer der Schweizer Online-Apotheke Zur Rose. Doch für den deutschen Gesundheitsminister Hermann Gröhe ist der Schweizer Apothekenunternehmer eine Gefahr für die Volksgesundheit. Daher will der Minister den Schweizern und ihrer Tochter DocMorris mittels Sondergesetz die Geschäftsgrundlage entziehen.

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Gröhe weibelt dafür, dass Deutschland den Versandhandel von verschreibungspflichtigen Medikamenten wieder gesetzlich verbietet – nachdem dieses Geschäft 2004 erst erlaubt worden war. «Mit der zunehmenden Verschiebung der Marktanteile hin zu den ausländischen Versandapotheken geht eine Ausdünnung des bestehenden Netzes der öffentlichen Apotheken einher», schreiben Gröhes Beamte zur Begründung in die Vernehmlassungsvorlage des Gesetzes.

Unliebsame Konkurrenz per Gesetz ausschalten

Sprich: Oberhänsli und seine Online-Apotheke DocMorris sind die Totengräber der stationären Pharmazien. «Das Ministerium behauptet einfach, die Medikamentenversorgung in Deutschland sei gefährdet, ohne das jemals belegt zu haben», entgegnet Walter Oberhänsli. Hermann Gröhe müsste nur einmal in die Schweiz schauen, um zu sehen, dass er falsch liegt: Hier gibt es den Medikamenten-Versandhandel seit Jahren, und die Zahl der stationären Apotheken steigt.

Doch Gröhe bleibt stur. Und will mit seinem Gesetz ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Herbst zurückdrehen: Die Richter in Luxemburg urteilten, dass die in Deutschland geltende Festpreisregel im Apothekenmarkt nicht für ausländische Versandapotheken gelte, dies widerspreche dem freien Warenverkehr. Damit dürfen Zur Rose und DocMorris deutschen Kunden weiterhin einen Rabatt auf Medikamente gewähren. Doch statt auch stationären Apotheken mehr Preisfreiheit zu erlauben, will Gröhe die unliebsame Konkurrenz einfach per Gesetz ausschalten. Sollte er damit durchkommen, wäre rund ein Viertel des Zur-Rose-Umsatzes von zuletzt 880 Millionen Franken in Gefahr.

Gründer Oberhänsli bleibt dennoch entspannt. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches Verbot kommen wird.» Denn selbst innerhalb der deutschen Bundesregierung ist Hermann Gröhes Projekt umstritten. Sollte Deutschland den Medikamentenversand nach 13 Jahren wieder verbieten, drohe gar eine Staatshaftung, schrieb Finanzminister Wolfgang Schäuble seinem Ministerkollegen in einer Stellungnahme. Es erscheint daher mehr als fraglich, ob das Gesetz in dieser Legislaturperiode, die im Sommer endet, überhaupt noch das Parlament erreicht. Gröhe läuft die Zeit davon.

Direkte Kooperation mit Krankenkassen

Oberhänsli denkt schon längst weiter und plant die nächsten Wachstumsinitiativen. Sollte das Verbot wie erwartet scheitern, will er in Deutschland nach Schweizer Vorbild direkt mit Krankenkassen kooperieren. Die Idee: Die Kassen werben für den günstigeren Medikamentenbezug bei DocMorris und bekommen im Gegenzug von der Versandapotheke einen Rabatt. Krankenkassen wie die AOK in Baden-Württemberg melden bereits ihr Interesse an. «Das könnte unserem Geschäft einen Schub geben», meint Oberhänsli. Derzeit haben Versandapotheken im Geschäft mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in Deutschland einen Marktanteil von gerade mal einem Prozent. In der Schweiz sind es rund neun Prozent. Hier will Oberhänsli hin.

Auch eine weitere Expansion ins Ausland kann er sich vorstellen. Heute beliefert das Unternehmen Patienten in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Die Schweiz wird vom Lager in Frauenfeld aus bedient, für den deutschen Markt hat DocMorris 2015 ein modernes Logistikzentrum im niederländischen Heerlen bei Aachen in Betrieb genommen. «Aufgrund der räumlichen Nähe wäre der grosse französische Markt für nicht verschreibungspflichtige Medikamente eine Option», sagt Walter Oberhänsli, fügt allerdings gleich an: «Noch haben wir für Frankreich keine konkreten Eintrittspläne.»

Börsengang denkbar

Dafür bräuchte Zur Rose auch frisches Geld. Erst im vergangenen Herbst stieg die Schweizer Unternehmerfamilie Frey mit ihrer Beteiligungsgesellschaft Corisol in einer zweistufigen Kapitalerhöhung mit 
22 Prozent bei der Versandapotheke ein. Damals wurde Zur Rose mit rund 200 Millionen Franken bewertet. In der Zwischenzeit ging in Frankfurt der Wettbewerber Shop-Apotheke an die Börse, der mit einem Umsatz von 177 Millionen Euro viel kleiner ist, aber mittlerweile einen Marktwert von rund 250 Millionen Euro hat. Und in der Schweiz hat jüngst der Marktführer im Apothekengeschäft, die Galenica Santé, ein glänzendes Börsendébut hingelegt. Die Aktie hat sich klar vom Ausgabekurs von 39 Franken abgesetzt, insgesamt kommt Galenica Santé auf einen Marktwert von über zwei Milliarden Franken.

Das weckt Begehrlichkeiten. «Ein Börsengang wäre eine der Möglichkeiten, um die weiteren Wachstumsinitiativen zu finanzieren», sagt Oberhänsli. Bisher werden die Zur-Rose-Aktien nur im ausserbörslichen Handel über die Plattform OTC-X der Berner und Zürcher Kantonalbank gehandelt und sind wenig liquid.

Shop-in-Shop-Apotheke im Migros-Markt

Grosse Pläne hat der Apothekenunternehmer auch für den Schweizer Markt. Und plant nichts weniger als eine Strategiewende: Die Online-Apotheke Zur Rose geht offline. Dazu hat sie sich mit dem orangen Handelsriesen Migros verbündet. Im Juni will sie in Bern ihre erste Shop-in-Shop-Apotheke in einem Migros-Markt eröffnen. Ursprünglich war von bis zu 50 solcher Kleinapotheken die Rede. Mittlerweile ist Oberhänsli vorsichtiger. «Das Expansionstempo hängt davon ab, wie der Markt uns aufnimmt», meint er. Die Preise sollen sich auf Online-Niveau bewegen, also im Schnitt rund zwölf Prozent günstiger sein als in anderen Apotheken.

Oberhänsli weiss: Der Schweizer Markt ist ein hartes Pflaster. Denn die Wachstumsaussichten sind unsicher; so hat das Bundesamt für Gesundheit für die kommenden Jahre bereits Preissenkungen bei verschreibungspflichtigen Medikamenten von insgesamt 240 Millionen Franken verordnet. «Und der Markt für frei verkäufliche Arzneimittel leidet unter der Frankenstärke, sodass diese Produkte vermehrt im Ausland eingekauft werden», sagt Fabian Vaucher, Präsident des Apothekenverbandes PharmaSuisse. Daher erwirtschafte jede fünfte Apotheke einen Vorsteuergewinn von weniger als 50'000 Franken im Jahr und sei bedroht.

Absatz-Anteil von knapp neun Prozent

1792 Apotheken gibt es in der Schweiz. Unangefochtener Platzhirsch ist Galenica Santé mit 329 Apotheken. Sollte nicht eine grosse Grippewelle das Land erfassen, rechnet der Marktführer bis 2020 für den Gesamtmarkt nur mit einem Umsatzplus von 1,7 Prozent im Jahr.

Laut dem Industrieverband Interpharma gingen 2015 Medikamente im Wert von 5,4 Milliarden Franken über die Ladentheken, berechnet auf Basis der Fabrikpreise. Rund die Hälfte davon wurde über Apotheken verkauft. Am Absatz der Apotheken von rund 2,8 Milliarden Franken hatten Versandhäuser wie Zur Rose einen Anteil von knapp neun Prozent.

Migros-Deal soll zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen

Wie schwierig das stationäre Apothekengeschäft sein kann, hat Zur Rose bereits selbst erfahren. Im August eröffnete das Unternehmen unter grossem Medienrummel seinen ersten Flagshipstore in Bern. Die Designapotheke mit 200 Quadratmeter Fläche liegt im Einkaufszentrum Welle 7 – allerdings hat sich die Lage laut Oberhänsli als suboptimal herausgestellt, die Absatzzahlen enttäuschten. «Wir mussten mit Marketingmassnahmen gegensteuern», erklärt er.

Daher setzt er für die weitere Expansion ins stationäre Apothekengeschäft auf die Migros-Kooperation. Denn die Shop-
in-Shop-Apotheken sind billiger als neue Flagshipstores. Und mit dem Migros-Deal will Oberhänsli gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erfolgreiche Marken wie Nespresso zeigen, dass eine erfolgreiche Online-Marke auch eine physische Präsenz braucht. Die Kunden wollen alle Vertriebskanäle zur Verfügung haben, Online only reicht nicht.

Ausserdem kann Zur Rose dank den Migros-Apotheken elegant auf ein Gerichtsurteil reagieren, das Zur Rose 2015 aus 
dem Schweizer Markt für frei verkäufliche Medikamente (genannt OTC für «over the counter») kegelte: Damals entschied das Schweizer Bundesgericht, dass die Vertriebspraxis von Zur Rose im OTC-Markt rechtswidrig sei.

«Fachgerechte Beratung» notwendig

Das Gesetz schreibt vor, dass auch beim Bezug von OTC-Mitteln wie Aspirin eine «fachgerechte Beratung» zu erfolgen habe. Der Jurist Oberhänsli hatte das Problem so gelöst, dass Patienten bei der Bestellung einen Fragebogen ausfüllten. Diesen prüften externe Ärzte und stellten ein Rezept aus. Auf dessen Basis lieferte Zur Rose dann das Mittel dem Kunden. Für die Richter stellt aber das Ausfüllen eines Fragebogens keine echte Beratung dar. Das Urteil hatte die Apothekenlobby PharmaSuisse erstritten, der die Zur-Rose-Geschäftspraxis gegen den Strich ging.

Der Rechtsstreit zog sich über Jahre hin. Apothekenvertreter monieren, dass Oberhänsli in der Zwischenzeit weiter Kasse machte. Sein Geschäftsmodell sei darauf ausgelegt, Gesetze geschickt zu umgehen. Der Markt mit Medizin ist streng reglementiert und daher ein juristisches Minenfeld. Zur Rose ist Widerstand gewohnt.

Coup mit Hilfe von Celesio

Als Oberhänsli 1993 mit 21 Ärztinnen und Ärzten Zur Rose in Steckborn TG gründete, war es zunächst nur Ziel, für die beteiligten Ärzte eine alternative Medikamenten-Bezugsquelle aufzubauen. Immer mehr Ärzte stiegen ein, 2001 fing Zur Rose dann an, Patienten zu beliefern. Zunächst arbeitete Oberhänsli parallel weiter als Anwalt, seit 2004 konzentriert er sich auf die Entwicklung der schnell wachsenden Online-Apotheke.

Ein grosser Wachstumsschritt gelang 2012, als die Schweizer vom deutschen Pharmagrosshändler Celesio die Versandapotheke DocMorris für nur 25 Millionen Euro übernehmen konnten. Celesio reagierte mit dem Verkauf auf Druck seiner Kunden, der Apotheken. Denen passte die neue Konkurrenz gar nicht.

«Click and Collect»

Die Schweizer Apothekenlobby ist zwar kein Fan von Online-Apotheken. Doch die Branche hat sich mit dem Wettbewerb abgefunden. «Der Versand folgt einem Kundenwunsch, das Konzept wird von uns nicht bekämpft», sagt Fabian Vaucher, Präsident von PharmaSuisse. Dennoch wird jeder Schritt von Zur Rose argwöhnisch verfolgt.

Kaum war die Kooperation mit der Migros bekannt geworden, mahnte PharmaSuisse: «Medikamente sind keine normalen Konsumgüter.» Mit Hilfe der Migros will Zur Rose nun in der Schweiz zurück ins lukrative OTC-Geschäft. Der Kunde soll seine Arzneimittel online bestellen und dann in der Migros-Filiale abholen. Wenn der Kunde es wünscht, kann er sich beim Apotheker in der Migros beraten lassen – wie vom Gesetz vorgesehen. «Click and Collect» heisst das Geschäftsmodell und wird dank Migros für Zur Rose möglich. «Diese Kooperation ist ein Glücksfall», freut sich Oberhänsli.

Mit ihrem Vorstoss auf den physischen Apothekenmarkt stossen Migros und Zur Rose in der Branche auf erhebliche Skepsis. «Hier haben sich zwei Verlierer der Revision des Heilmittelgesetzes zusammengetan», meint Apothekenlobbyist Vaucher. Denn die Migros habe darauf gedrängt, dass OTC-Arzneien auch in Supermärkten verkauft werden dürften – und sei damit gescheitert. Zur Rose wiederum wollte OTC in den Versandhandel aufnehmen und scheiterte. «Wir schauen uns das genau an und pochen darauf, dass alle Gesetze eingehalten werden», sagt Vaucher daher mit Blick auf das neue Duo.

Regulierter Markt

Bei der Regulierung der Apotheken kommt den Kantonen eine grosse Rolle zu, einige schreiben zum Beispiel vor, dass eine Apotheke zwingend über ein eigenes Labor verfügen müsse. Zudem zählen Apotheker zur Spezies der gesuchten Fachkräfte. Ein Selbstläufer wird das Migros-Modell daher wohl nicht.

Mit der Expansion in stationäre Apotheken gerät Zur Rose zudem in den Clinch mit dem Platzhirsch im Schweizer Apothekenmarkt: Galenica. Dieser hat soeben das Pharmageschäft Vifor Pharma abgespalten, übrig bleibt eine hochprofitable Einheit, die Apotheken über ihr Logistikzentrum in Niederbipp beliefert, eigene Gesundheitsprodukte herstellt, mit Amavita und Coop Vitality mit ungefähr 330 eigenen Apotheken mehr als 20 Prozent des Marktes beherrscht und mit MediService die zweite grosse Versandapotheke der Schweiz betreibt.

Anderes Konzept bei Galenica Santé und Coop Vitality

Chef von Galenica Santé ist Jean-Claude Clémençon. Der kahlköpfige Westschweizer arbeitet seit 22 Jahren beim Berner Apothekenriesen und kennt den Markt wie kaum ein Zweiter. Galenica betreibt bereits seit 17 Jahren eine Kooperation mit einem Schweizer Detailhändler: Coop Vitality. Diese Joint-Venture-Apotheken befinden sich allerdings nicht direkt im Supermarkt selbst, sondern daneben.

«Wir halten das für das kundenfreundlichere Konzept, denn der Kunde will nicht für eine Kopfwehtablette durch einen ganzen Supermarkt laufen», sagt Clémençon. Und auch bei einem Shop-in-Shop-Konzept brauche die Apotheke eine eigene Kasse – damit halte sich die Zeitersparnis in Grenzen. 
An einen schnellen Roll-out der Migros-Apotheken glaubt der Galenica-Mann nicht. «Wir haben 17 Jahre gebraucht, um 70 Standorte aufzubauen.»

Bei der Vernetzung von Online mit stationären Apotheken will aber auch Clémençon mitmischen. «Im April können Kunden ihre bestellten Medikamente in den Coop-Vitality-Apotheken abholen, im zweiten Halbjahr wollen wir das Konzept Click and Collect in allen Galenica-Apotheken anbieten», kündigt er an.

Abgesehen davon geht der Berner Gesundheitsriese strategisch komplett einen anderen Weg als die Thurgauer Internetapotheke Zur Rose. «Bei chronisch Kranken macht der Medikamentenversand Sinn, als strategisches Wachstumsinstrument sehe ich den Versandhandel nicht», so Clémençon. Die Tochter MediService wachse nicht als Versandgeschäft, sondern nur dank dem Angebot der Betreuung von Patienten zu Hause.

Galenica sieht ihre Zukunft daher konsequent im Ausbau des stationären Geschäfts – und will dafür weitere Apotheken dazukaufen. «Rund 5 bis 15 Verkaufsstellen im Jahr sollen dazukommen», nennt Clémençon als Zielgrösse.

Millionenbeträge für Werbung

Walter Oberhänsli ist dagegen überzeugt: «Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist nicht aufzuhalten.» Daher pumpt er in Deutschland Millionenbeträge in die Fernsehwerbung, damit Kunden automatisch an DocMorris denken, wenn es um Medikamente geht – so wie sie sofort an Amazon denken, wenn sie ein Buch kaufen.

Die teure Werbekampagne drückte die Versandapotheke Zur Rose im vergangenen Jahr mit 14 Millionen Franken tief in die roten Zahlen. Das schreckt Oberhänsli aber ebenso wenig wie Verbotsdrohungen eines deutschen Gesundheitsministers aus dem fernen Berlin.

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