Landauf, landab wird in und um Agglomerationsgemeinden gebaut. Ob der anonyme Wohnblock dann vor den Toren Genf, Berns, Zürichs oder Basels steht; er sieht genau gleich aus. Die Folge: eine hohe Fluktuation bei den Mietern, die aufzeigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Siedlungen eigentlich mit dieser Wohnform nicht glücklich sind. Immer wieder gibt es Leerwohnungen, die Rendite stimmt damit höchstens nur kurzfristig.
Mit SNBS haben Planer und Bauherren ein noch viel zu selten genutztes Instrument, um nachhaltig, ganzheitlich und damit auch zeitgemäss zu bauen. Es geht um den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Zum Beispiel die umweltschonende Erstellung, den Wohnkomfort, die Lebenszykluskosten einer Immobilie aber auch die Anbindung an die Verkehrsnetze. Es geht darum, die Bedürfnisse des “Bewohners von heute” zufrieden zu stellen.
Matthias Amsler hat als Architekt von Mirlo Urbano in der Planergemeinschaft mit Brühlmann Loetscher das Projekt Oberhof in Eschenbach LU umgesetzt. „Der grosse Vorteil ist die breite Ausrichtung der Nachhaltigkeitsbetrachtung“, hält er fest.
Im Bereich Umwelt baut SNBS auf Minergie und MinergieEco auf. Das Beispiel Oberhof zeigt: Es handelt sich nicht einfach um „tote“ Gebäude. Darin leben und arbeiten Menschen. Wichtig für das Wohlbefinden der Mieter und Wohnungsbesitzer ist die Strukturierung der Freiräume. Der Oberhofplatz mit dem 40-jährigen Tulpenbaum dient als neuer Dorf-Treffpunkt für Jung und Alt – vorher waren wir hier Parkplätze. Eine bedeutende Rolle am Oberhofplatz nimmt die Hof-Beiz ein. Im lärmgeschützten Innenhof gibt es eine Gemeinschaftsküche für Anlässe und Begegnungen unter den Bewohnern. Der halb-öffentliche Bereich ist mit kleinen Pflastersteinen und Pflanzen hochwertig abgegrenzt.
Den Machern rund um Bauherr Beat Burkard war eines von Anfang an von zentraler Bedeutung: „Wir holten die Leute mit ins Boot.“ Partizipation und Information schrieben sie gross. Damit waren sie auf dem richtigen Weg: Als die Bevölkerung in Eschenbach über den Bebauungsplan abstimmte, wurde dieser mit hohen 75% angenommen. Noch eine Seltenheit: „Obwohl wir rundum alle Strassen aufreissen mussten, gab es im Baubewilligungsverfahren von keinem einzigen Nachbarn eine Einsprache“, sagt Amsler. Das zeige, wie entscheidend es sei, die betroffenen Menschen mit ihren Bedürfnissen abzuholen. Dabei waren die Veränderungen in Eschenbach gross: vorher gab es hier zehn Wohnungen in verschiedenen Häusern – jetzt sind es 2700 Quadratmeter Gewerbefläche und 46 Wohnungen.
Auch beim Gewerbe achteten die Oberhof-Initianten auf eine breite Nutzung: der Coop ist so gross, dass dort ein Wocheneinkauf möglich ist. Das Ärztezentrum direkt in der Überbauung ist ein zusätzliches Plus für breite Kreise. Klar ist: Der SNBS-Standard gibt die Richtung vor, der Bauherr muss jedoch auch hinter diesen Anforderungen stehen. Zum Beispiel bei der Planung einer Kita. „Viele sagten mir, mach da draus doch zwei Eigentumswohnungen und verkaufe diese – dann hast du das Geld und die Ruhe“, so Burkard. „Aber ich habe lieber Kinder, die herumrennen und Leben in die Überbauung bringen.“ Betriebswirtschaftlich rechne sich übrigens auch die eigene Hof-Beiz nicht. „Diese muss querfinanziert werden. Aber sie generiert eine grosse Identifikation.“
Architekt Amsler schätzt am SNBS die Flexibilität. „Der Standard ist nach dem Schulnotensystem aufgebaut.“ Wenn man eine Massnahme nicht erfülle, erhalte man weniger Punkte, könne dies aber kompensieren. Konkret: „Wir haben im Verhältnis zu den Wohnungen zu viele Parkplätze.“ Als Ersatzmassnahme erhält jeder Bewohner die Mobility-Mitgliedschaft, im Parkhaus gibt es einen Standort und jeder kann das Auto je nach Wunsch gebrauchen. Weiter gibt es im Parkhaus eine Elektro-Ladestation und jeder Parkplatz ist elektrokompatibel ausgerüstet. Mehr noch: Die Abstellflächen für Velos mussten optimal zugänglich und grosszügig angeordnet werden, um zusätzliche Punkte bei der Mobilität zu erhalten.
Burkard und Amsler sind beide überzeugt, dass SNBS einen Dialog in Gang setzt. „Man muss sich über alle Themen rund um Nachhaltigkeit austauschen, sich damit beschäftigen und gemeinsam Lösungen suchen“, sagt Burkard. Das sei zeitaufwändig, aber auch spannend. „Zudem trägt es auch zur Wertschöfpung bei“, ist er überzeugt.
Zufriedene Mieter und Eigentümer würden weniger häufig wechseln und auch die Leerstandsquote sei in einem solchen Objekt bedeutend tiefer. „So viele Annehmlichkeiten finden sie an einem anderen Ort nicht so schnell.“
Jeder der Bereiche Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt ist bei SNBS-Bewertung in vier Themen unterteilt. Diese werden mit 45 Indikatoren bewertet. Wie in der Schule: Wer überall mindestens eine 4 erreicht, erhält das begehrte Zertifkat. Wer eine 5,5 bis 6 schafft, wird mit Platin ausgezeichnet.
“Der Oberhof in Eschenbach ist das zehnte Projekt in der Schweiz, das das SNBS-Zertifikat erhalten hat“, freut sich Burkard. Es stehen weitere 60 Bauvorhaben mit einer Energiebezugsfläche von fast 1 Million Quadratmetern in der Zertifizierung – das entspricht etwa der Grösse von 130 Fussballplätzen. Auf www.snbs-hochbau.ch können Interessierte einen kostenlosen Pre-Check herunterladen. Auf einen Blick sehen sie, was es noch zu einer Zertifzierung braucht.
Der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) entspringt der bundesrätlichen Strategie für die nachhaltige Entwicklung der Schweiz. Der SNBS umfasst die drei Bereiche Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft mit je vier Themen. Diese werden mit insgesamt 45 Indikatoren bewertet. Und nur wer überall mindestens die Note 4 erreicht, erhält das begehrte Zertifikat. Für die Allerbeste gibt es Platin – gefolgt von den Auszeichnungen Gold und Silber. In der Schweiz stehen heute schon zehn Gebäude, die nach dem SNBS zertifiziert sind. Dazu gehört zum Beispiel das im letzten Jahr eingeweihte Maison Olympique in Lausanne, Hauptsitz des Internationalen Olympischen Komitees und neuer Heimatort der olympischen Bewegung.