Es gibt Bücher, die möchte man gar nicht gelesen haben. Nicht weil sie selbst so schrecklich sind. Sondern weil, was aus ihnen folgt, angewendet beispielsweise auf das, was sich gerade in Syrien ereignet, so schrecklich ist. Dass es so schrecklich lange dauert, kann man dann hochrechnen, bis sich Wunden schliessen, bis sich etwas Neues, bis sich eine neue Nation bildet auf Ruinen, auf Traumata, auf Bergen von menschlichen Knochen und Seen vergossenen menschlichen Bluts.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Das wahrscheinlich schlechthinnige Zentrum für die Herstellung derlei schrecklicher Literatur ist Südafrika. Da kann man alles nachlesen. In Kriminalromanen vor allem von unfassbarer Härte und Genauigkeit, die mit einer atemlosen Brutalität die Gewalt, die kleineren und grösseren Erdbeben sichtbar machen, die immer noch tagtäglich entstehen, wenn sich über der noch weitgehend unbewältigten Vergangenheit tektonischen Platten dieser zerrissenen Gesellschaft aneinander reiben.

Weiblicher Blick auf eine männliche Gesellschaft

Nehmen wir – wir hätten jetzt auch Roger Smith, Mike Nicol oder ein halbes Dutzend andere nehmen können – Charlotte Otter. Das ist jetzt mehr oder weniger Zufall. Und auch wieder nicht. Charlotte Otter ist nämlich die einzige Frau, die uns gerade einfällt. Und eine Frau – da kann jetzt der Genderbeauftragte auf die Palme steigen – hat privatempirisch gemessen einen weiteren Blick gerade auf männlich dominierte, nach Testosteron geradezu aufdringlich riechende Gesellschaften wie die südafrikanische.

Zurück zu Charlotte Otter. Die ist Südafrikanerin, Journalistin, IT-Expertin und lebt in Heidelberg. Das erste was wir sehen, in ihrem zweiten Kriminalroman ist ein Wasserfall, der alle Spuren wegsprüht, ist gelbes Wintergras, das keine Spuren zulässt. Wir sind in der Provinz KwaZulu-Natal. Um die Ecke vom Howicks Fall liegt Pietermaritzburg, sozusagen die reduzierte Essenz Südafrikas. Das Echolot, das Charlotte Otter in dieses durchschnittlich verkommene 200'000-Seelen-Kaff am Kap hält, heisst Maggie Cloete und ist eine zur Nachrichtenzuchtmeisterin gezähmte Enthüllungsjournalistin.

Von blauen Schmetterlingen und einer zerschmetterten Leiche

Zu der kommen wir gleich. Erst einmal folgen wir mit den Augen dem Flug eines schicken kleinen Schmetterlings. Der hört auf den Namen Orachrysops ariadne, vulgo: Kalkoof Blue. Er schwebt und zittert sich durch die Luft, zickzackt herum, über ein sorgfältig zusammengefaltetes und am Rand der Abrisskante des Wasserfalls abgelegtes Bündel Kleider. Und über die nackte Leiche des Dave Bloom, der zerschmettert unten auf den Felsen liegt.

Dem Flug des Schmetterlings nicht unähnlich zickzackt Maggie Cloete durch ihren zweiten Fall. Bloom war Angestellter von Sentinel. Die stellen Papier her. Und dafür verwandeln sie den Urwald rund um Pietermaritzburg in unendliche Kiefermonokulturen. Die letzte wilde Waldinsel steht jetzt zur Rodung an. Da wohnt der Karkloof Blue. Umweltschützer, Baumhüter wollen das verhindern. Bloom wollte das, ein geradezu wie ein Guru auftretender Aktivistengeneral will das, und Maggies Bruder Christo will das auch.

Ermordet für ihre Überzeugungen

In vielen Quer-, Tief- und Längsbohrungen, die Charlotte Otter geschmeidig in die Geschichte von Pietermaritzburg vornimmt, fördert sie: Die Ermordung jugendlicher Antiapartheidaktivisten, die man mit Anthrax qualvoll sterben liess und anschliessend verscharrte. Die Traumata, die jungen Männern zugefügt wurden, wenn sie sich weigerten in Uniform hanebüchene Grenzverteidigungsmorde zu begehen.

Die höchst anrüchige Tarntechnik internationaler Grossunternehmen, die sich – während sie gnadenlos noch das letzte Habitat des Karkloof Blue zu Klump zersägen – den Anschein des quasi kapitalistischen Umweltaktivisten geben. Greenwashing nennt man das. Menschen sterben, Tote kommen ans Licht, Verschwörungen, finstere Geheimaktionen, gedeckt von der Regierung. Und so ist das in Südafrika: Man sticht einen Spaten in den Boden und schon gräbt man Leichen vom Apartheidsregime aus.

Südafrikas Zustände sind auch in Syrien zu erwarten

Maggie rast mit dem Motorrad herum und wird immer müder, ständig von der Unmenschlichkeit der Menschen gegen den Menschen erzählen zu müssen.

Das Ende des Apartheidregimes ist jetzt gut ein Vierteljahrhundert her. Nichts aber ist wirklich friedlich in Südafrika. Man muss das Feuer unter dem Kochtopf, in dem alle gesellschaftlich relevanten Südafrikaner herumschwimmen, ohne auch nur im Ansatz wirklich verschmolzen zu sein, nur um einen Hauch grösser machen. Schon geht er hoch, explodiert alles. Auf jeder Ebene ist das so, in jeder Familie.

Und jetzt rechnen Sie mal hoch, wie lange es in Syrien, im ganzen Mittleren und Nahen Osten dauert, bis die dort wenigstens die südafrikanischen Verhältnisse von heute haben. Schrecklich.

Die Kontributoren sind externe Autoren und wurden von bilanz.ch sorgfältig ausgewählt. Ihre Meinung muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.