Es könnte eine so gute Nachricht sein: Die Deutschen verlieren offenbar zunehmend die Lust am Navi. Sollte es tatsächlich endlich ein Ende haben mit den hässlich bunten Bildschirmen auf dem Cockpit? Herrscht in den Autos endlich wieder Ruhe? Verstummen die wahlweise sanft säuselnden oder herrisch bestimmenden Fahrkommandos, die jeden Diskurs über die ideale Fahrtroute unter den Mitfahrenden im Keim ersticken?
Für mich als Navi-Feind der ersten Stunde wäre es eine späte Genugtuung. Wie oft habe ich in den vergangenen 15 Jahren die mitleidige Frage von Kollegen und spontanen Beifahrern vernommen «Wie Du hast kein Navi?» Und aus dem Mitleid wurde gar blankes Entsetzen, wenn ich ankündigte, an der nächsten Tankstelle nach dem Weg fragen zu wollen. Oder die erstaunten Blicke in der Buchhandlung, wenn ich mich nach einem aktuellen Autoatlas erkundigt habe.
Wehe, das Navi geht kaputt …
Das Navi macht dumm, war jedes Mal meine Reaktion. Mit Schrecken denke ich beispielsweise an die junge Verwandte, die für ein Jahr bei uns eingezogen war, um ihrem Job am anderen Ende der Stadt nachzugehen. Jeden Tag pendelte sie 30 Kilometer hin und 30 Kilometer zurück.
Bis nach sieben Monaten ihr Navi kaputt ging. Statt nach der üblichen Stunde Fahrzeit kam sie erst nach fast drei Stunden zurück – sie hatte sich einfach komplett verirrt.
Nie hatte sie auf all den Fahrten zuvor auf irgendwelche Wegmarken geachtet, sich weder Strassen noch Gebäude eingeprägt – und so etwas wie eine Karte hat ein junger Digital Native natürlich schon gar nicht in seinem Auto. Mal abgesehen davon, dass man sie auch lesen können müsste.
Vor etwa drei Jahren erhielt ich dann wenigstens Unterstützung aus der Wissenschaft. Mehrere Forschergruppen kamen zu dem Ergebnis, dass der permanente Navi-Gebrauch das Orientierungsvermögen des Gehirns verkümmern lasse. Dennoch blieb man mit einer Navi-Phobie ein Sonderling.
Smartphones führen uns nach Hause
Sollte nun aber schliesslich doch die Einsicht gesiegt haben, dass der Verlust der jahrhundertealten Kultur des Kartenlesens ein Verlust wäre? Leider ist es nicht so. Nur dass statt des Navis nun Smartphone-Apps den Menschen das Denken, pardon, das Wegsuchen abnehmen. Die sind nicht nur preiswerter, sie sind zudem auch handlich und mobil. Sie sind die idealen Navigatoren auch für die wenigen Wege, die der Normalbürger heute noch zu Fuss zurücklegt.
Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihnen demnächst nur noch Menschen mit starr auf ihr Smartphone gesenktem Blick begegnen – es sind Ortsunkundige, die sich heimleuchten lassen. Und sollten diese dann hin und wieder mit beseeltem Blick aufschauen und ihr Smartphone auf ein mehr oder minder markantes Gebäude richten, sind es ortsunkundige Touristen, deren Navigations-App auf ein touristisches Highlight hingewiesen hat, das nun gehorsam fotografiert wird – bevor es gesenkten Blickes weitergeht.
Wirklich sehen tut man so von der fremden Umgebung zwar nichts. Aber es kann so bequem sein, noch ein wenig dümmer zu werden. Und das ist doch nun wirklich eine gute Nachricht.
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