Vor Kurzem nahm ich an einer Veranstaltung teil zum Thema «Industrie 4.0 – Vernetzung braucht Sicherheit». Veranstalter war der TÜV Nord. Bis dahin wusste ich nur, dass es einen Aldi Nord und einen Aldi Süd gibt, wobei das Sortiment bei Aldi Süd viel besser ist. Aber TÜV Nord und TÜV Süd? Das war mir neu.
Es sollte an dem Abend noch mehr Überraschungen für mich geben. Ich erfuhr auch, dass der TÜV nicht nur die berühmte Plakette vergibt, sondern auch Windräder, Kinderspielzeug, Rauchmelder und «Maschinen zum Heben von Personen und Gütern mit einer Absturzhöhe von mehr als drei Metern», das heisst Aufzüge, zertifiziert. Es gibt praktisch kein Produkt, das der TÜV nicht prüfen würde. Wobei es nur um die funktionale Sicherheit, nicht um das Design der Produkte geht.
Eine skulpturale Einheit
Wie der Zufall so will, fiel mir am nächsten Tag eine Pressemeldung über den Autodesigner Walter de Silva in die Hand, der unter anderem den Alfa 156, den Golf 7 und den Audi A5 designt hatte. Silva würde nun auch Damenschuhe entwerfen, seine erste Kollektion sei gerade in Paris präsentiert worden, «spitze Pumps, glitzernde Sandalen oder mit Lack verzierte Peep-Toes», was immer das sein mag. Jedenfalls etwas sehr Feines, das zusammen «mit dem Damenfuss darin eine skulpturale Einheit bilden» sollte.
Das fand ich gut. Der Fuss und der Schuh verschmelzen zu einer skulpturalen Einheit, einem Gesamtkunstwerk. Warum nur, dachte ich, ist noch niemand auf die Idee gekommen, das Auto und den Fahrer zu einer skulpturalen Einheit zu verbinden?
Menschen, die Bücher mögen, könnte man Autos in Gestalt eines Buches anbieten. Fussballfans würden gerne in einem grossen Fußball auf vier Rädern zu einem Treffen zwischen Werder Bremen und Borussia Dortmund rollen. Ich fände es lustig, in einer motorisierten «Klappstulle» durch Berlin zu cruisen.
Sagen Sie bitte nicht, das wäre Unsinn. Es ist nur eine Frage der Vermarktung. Ich habe mal in den USA einen Polizisten kennengelernt, der in seiner Freizeit skurrile Autos baute. Aus dem Chassis eines alten Toyota-Vans und einer ausgemusterten Cessna, der er die Flügel gestutzt hatte, schuf er eine «skulpturale Einheit».
Dann baute er eine Gartenlaube mit einem Achtzylindermotor, Servolenkung und Klimaanlage. Zum Hochzeitstag will er seiner Frau eine extra große Prada-Tasche schenken, die von einem Ford-Motor angetrieben wird.
Auto- und Modedesigner laufen in derselben Spur
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn ein Mann, der erfolgreich Autos designt hat, nun Damenschuhe entwirft, dann könnte doch jemand aus der Modebranche auch Autos entwerfen. Wie würde eine Familienkutsche wie der Opel Zafira aussehen, wenn Harald Glööckler sie designt hätte? Oder ein Porsche Cayman von Karl Lagerfeld?
Wirkliche Exklusivität gibt es heute nicht mehr. Man muss schon sehr genau hinsehen, um einen BMW von einem Mercedes zu unterscheiden. Oder einen Volvo von einem Audi.
Früher waren sie alle eckig wie eine Ritter Sport, heute sind sie rund wie Smarties. Die Autodesigner machen es den Modedesignern nach: Sie laufen alle in derselben Spur. Ich vermute, sie treffen sich alle zwei Jahre und legen fest, wo es langgehen soll. Mit Designerautos gäbe es nur ein Problem: Wie bekommt man sie durch den TÜV? Ich werde meine neuen Freunde vom TÜV Nord fragen.
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