Die mediale Erregungsindustrie um jede Landnahme, die nicht klassisch in der Mitte der politischen Koordinaten stattfindet (oder links davon), wurde mit dem Triumph der FPÖ in Österreich beglückt. Die marktförmigste Distinktion im bürgerlichen Milieu findet in der hysterischen Exklusion jener Parteien und Politiker ihren Ausdruck, die als rechts gelten.
Die «Heute Show» hat die Latte des Hysterischen ziemlich hoch gelegt und ein Wiener Schnitzel in Hakenkreuzform gepostet, mit dem irre abgefahrenen Spruch: «Österreicher wählen eben so, wie sie es vom Schnitzel her kennen: möglichst flach und schön braun.» Flankiert wird der Digitalaktivismus durch anständige Abiturienten, die noch einmal darauf hinwiesen, dass es vor allem Leute ohne Matura waren, die Herrn Hofer gewählt haben. Da wird die Distinktion dann klassisch elitär und undemokratisch.
Blöde Stimmen sind falsche Stimmen und damit auch nicht so richtig gut für ein ideales Staatswesen, das eigentlich nur in der Mitte oder links davon prosperieren kann.
Antiblauer Widerstand
Als wäre das nicht erwartbar, kindisch und ein wenig armselig genug, haben sich die Schmalspurantifaschisten jetzt auch noch die Farbe der FPÖ vorgenommen, weil sie auch die Farbe der AfD und anderer rechter Parteien ist. Da wird im Anständigkeitskorridor auch die CSU bei der polnischen PiS eingemeindet. Und weil im Weltbild der wackeren Antifaschisten alles Nazi ist, was rechts sein könnte, gibt es eine sich sammelnde Bewegung, die Blau als das neue Braun bekämpfen will.
Als sich am Sonntagabend die Landkarte Österreichs bei der Präsidentschaftswahl fast in ein monochromes Blau einfärbte, war klar, dass es jetzt Zeit ist, in den antiblauen Widerstand zu gehen, noch nicht im Untergrund, aber zumindest sofort auf der Twitter-Wall und auf Facebook. Hatte Braun als Feindbild noch die schöne Eigenschaft, eine eher durchwachsen beliebte Farbe zu sein, die in alltäglicher Regression gerne mit den Exkrementen in Verbindung gebracht wurde, ist Blau eine der beliebtesten Farben der Deutschen.
Von der Farbe der Erde und des Himmels
Wählten die echten Nazis das Braun als Zeichen ihrer Nähe zu Heimat und Boden, so galt die Farbe Blau immer schon auch als ein Symbol des Himmels und des Himmlischen, schon in der antiken Tradition war sie dem Himmelsvater Jupiter zugeschrieben. Die CSU hat als einzige bayerische Volkspartei ein blaues Logo, aber auch der eher sozialdemokratische SSW, der damit den weiten Himmel über Nord- und Ostsee meint, der Schleswig und das dänische Sønderjylland verbindet.
Das erdige Braun der Nazis hingegen war auch eine Abwendung vom nihilistischen Ästhetizismus der italienischen Faschisten, die als Schwarzhemden auch die Kampffarbe der Anarchisten am Leib trugen. Mit ihrem Braun inszenierten sich die an vielen Punkten so gnadenlos modernen Nazi-Propaganda-Strategen als urwüchsige Geschöpfe, der dräuenden Fundamentalontologie Heideggers nahe, in der die Wurzeln des Seins bis in den Kern der Erde zu reichen schienen.
Der Hang zu Romantik und Verklärung
Die Deutschen sind das romantische Volk schlechthin. Ihre Liebe zur «blauen Blume» erwuchs aus narzisstischer Gerührtheit über das eigene Leiden an der Gegenwart. Das war die Grundlage ihrer grössten Triumphe als Kunst- und Geistesmacht, aber auch die Vorlage für ihre schlimmsten Tragödien und Barbareien. Die Verklärung der «blauen Blume» war eine melancholische Reaktion aufs Einbrechen der Industrialisierung.
Die Sehnsucht nach dem voraufklärerischen Mittelalter wie bei den Nazarenern, nach den unberührten Naturlandschaften wie bei Caspar David Friedrich war in keinem europäischen Land so ausgeprägt, und jene Wunde, welche die Modernisierung ins Seelenfleisch der Deutschen haute, ist noch immer nicht vernarbt.
Die Grünen haben (auch wenn sie das Farbsignal aufs Grün des Chlorophylls verlagerten) Restbestände davon in ihrem Traditionsgepäck verschnürt. Lustigerweise präsentiert sich der grüne Gegenkandidat in Wien auf Plakaten heimatverbundener als der fesche FPÖ-Popper vor blauem Hintergrund, der mit einem Aftershave-Model für den Discounter verwechselt werden kann, dazu gleich mehr.
Hellblaue AfD als Heimat für Antimodernisten
Deutschland, das Land der Ingenieure und Tüftler, bleibt – ganz dialektisch eingeschwungen – auch eine Bastion von Fortschrittsskepsis und Technikfeindlichkeit. Es ist die andere Seite des Futurismus, der dieses Land prosperieren lässt.
Die hellblaue AfD hat keine sonderlich ausgeprägten romantischen Adern. Entwickelt als Partei schmallippiger D-Mark-Fetischisten, wollte sie eine Währung retten, die längst Geschichte war, und stolperte hinein in eine eher fragwürdige Existenz als Antimigrationsprotestpartei. Am ehesten umgibt die AfD eine biedere Nationalromantik, die bei völkischen Rechtsauslegern wie Björn Höcke aber handgestrickt und provinziell daherkommt.
Gleichzeitig hat die AfD den Antimodernisten eine Heimat gegeben, denen Schwulenehe, Moscheeneubauten und Industrie 4.0 so richtig auf den Wecker gehen. Sie wünschen sich die Geborgenheit einer bundesrepublikanischen Idylle zurück, die es so nie gegeben hat. In Ostdeutschland sehnt man sich auch nach der völkischen Homogenität der migrationsarmen DDR zurück. Die FPÖ bedient sich da viel schamloser und postmoderner im Supermarkt der Identitäten. Sie haben das «Freiheitliche» gewinnbringend ans Ultrapopuläre verhökert.
«Blaue Allianz» zwischen Österreich und Deutschland
Sie treten mit blauer Kornblume am Revers auf, wohl wissend, dass diese Blume in den Dreissigern zum Erkennungszeichen der Nazis in Österreich wurde, nachdem Kanzler Dollfuss Hakenkreuze und andere NS-Symbole verboten hatte. Politisch sei, so belehrten FPÖ-Politiker, die Kornblume «ein Symbol für das Dritte Lager und die Freiheitsbewegung von 1848, in deren Tradition die FPÖ noch heute steht».
Damit schliesst sich die FPÖ mit der deutschen Romantik, mit Novalis, Eichendorff und Chamisso kurz. Das passt auch programmatisch, weil Präsidentschaftskandidat Hofer in einer Burschenschaft war, die in einer Festschrift die «geschichtswidrige Fiktion einer österreichischen Nation» beklagt hatte. Davon distanzierte sich Hofer, freut sich aber über die «blaue Allianz» mit der AfD, welche wiederum Österreichs Rechtsrutsch als kaum zu toppenden Glücksfall feiert.
Schattierungen einer Farbe
Stilexperten wissen, blau ist nicht gleich blau. Vulgäres Hellblau findet sich vor allem in Toiletten oder auf untermotorisierten Kleinwagen, das Dunkelblau von Comme-des-Garçons-Anzügen oder das Tour-de-France-Blau bei Ferrari sind mythische Boten göttlicher Eleganz. T-Shirts von Helmut Lang und Gemälde von Yves Klein legen eine Spur in jene mystische Unerklärlichkeit des Schönen, die auch den Aufgeklärtesten Rätsel aufgibt. Der Sieg der Schönheit über die Niedertracht des Alltäglichen ist auch ein politischer Auftrag.
Das Blau der «Feschisten» (Elfriede Jelinek) ist eher jenes ihrer chic ungewaschenen Jeans und Goldknopfblaser. Es ist das Blau der Neureichen und Halbseriösen. Jörg Haider fuhr seinen Porsche 911 logischerweise im feschen Dunkelblau. Da transformiert sich eine erhabene Farbe ins Accessoirehafte, das zu schwarzen Lederjacken und ausrasierten Nacken passt. Die FPÖ ist vor allem eine modische Partei, die mit ihrem herausgeputzten Chic jünger aussah als die Deix-hafte Volksparteienkonkurrenz, die noch im Stil der Nachkriegszeit verfangen war.
Das Einzige, was dafür spricht, dass Blau das neue Braun sein könnte, ist die Rastlosigkeit politischer Codes und Symbole. Die Rechte klaut bei Autonomen und Linken, nimmt ihnen nicht nur Wähler, sondern auch antikapitalistischen Sound weg. Das Irritierende an AfD und FPÖ ist ihre schillernde Indifferenz, ihre Wechselhaftigkeit und ihr Opportunismus. Wir leben in bunten Zeiten.
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