Wer sich per Trailer über den neuen Kinofilm «7 Göttinnen» informiert, könnte bei oberflächlicher Betrachtung zu der Überzeugung kommen, es handle sich um den üblichen Bollywood-Schmus. Wir sehen sieben öfters leicht bekleidete junge Schönheiten beim Händehochwerfen am Strand, wie sie sich im Geländewagen den Wind um die Bluse wehen lassen und bei einer Schlauchdusche im Hinterhof. Sie prosten Gläser zusammen, ziehen komische Grimassen, hotten ab in der Disco. Und es scheint um eine bevorstehende Hochzeit zu gehen.

Es gibt allerdings auch eine Frauenhand, die einen Baseballschläger umherschleift. Aber das übersieht sich leicht, so genau schaut man Trailer ja nicht an. Man muss dem deutschen Verleih zugestehen, dass es schwierig ist, den Film zu beschreiben, ohne als Handlungsverräter dazustehen; allerdings lautet der zorngerötete indische Originaltitel immerhin «Angry Indian Goddesses» statt des sehr bonbonfarbenen «7 Göttinnen».

Als die alten Jugendfreundinnen am Anfang eingeführt werden – Freida, Jo, Mad, Pammy, Su, Nargis und Lakshmi –, sehen wir Jo auf dem Set eines Bollywood-Films, und sie soll nichts weiter tun, als sich vom Helden vor dem Schurken retten zu lassen; stattdessen befördert sie den Bösewicht immer eigenhändig in die Kulissen, was der Regisseur gar nicht brauchen kann.

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Kumpelei war bisher nur unter Männern erlaubt

Die Konflikte von Frauen und Männern in Indien werden in Pan Nalins Film immer wieder kurz aufflackern, aber sie scheinen nur Beiwerk zu sein, denn «7 Göttinnen» kommt wie ein weibliches Buddy-Movie daher, das erste aus Indien, wo das Kino bisher nur Männern das Privileg der Kumpelei zubilligte.

Im Aufgalopp zu Freidas Hochzeit tuscheln und kichern, klatschen und schnattern die sieben, tauschen Erinnerungen und probieren Kleider. Es ist wie «Sex and the City», nur ohne Sex. Selbst das, was Nalin zeigt, erregte noch den Horror des indischen Zensors, der nicht weniger als 16 Eingriffe vornahm: Das F-Wort wurde ausgeblendet, Bildnisse der Göttin Kali wegretuschiert, und wenn die sieben einen Adonis beobachten, der mit nacktem Oberkörper ein Auto wäscht, wurde ihr Kommentar – «lunch!» – unhörbar gemacht. Hätte ein Mann die anzügliche Bemerkung über eine Frau fallen gelassen, sie wäre nicht zensiert worden.

Unmerklich jedoch verdüstert Nalin den Ton. Jede der Frauen lässt irgendwann die Maske ungetrübten Lebensglücks fallen. Die eine bekennt eine freudlose Ehe, die andere kommt im Beruf nicht voran, die dritte bekennt sich als Lesbe. Doch die Frauensolidarität umschifft alle Klippen bis, ja bis Nalin den heiteren Himmel binnen fünf Minuten völlig verdüstert und wie aus dem Nichts Donner, Blitz und Vernichtung niedergehen lässt.

Im Westen gefeiert, in Indien umstritten

«7 Göttinnen» gewann die Publikumspreise bei den renommierten Festivals in Rom und Toronto, sprich: im Westen. In Indien war es der umstrittenste Film des vergangenen Jahres, und viele Kritiken im Netz lassen kein gutes Haar an ihm: Jeder Protagonistin werde schematisch ein gesellschaftliches Problem zugeordnet, das lässt sich durchaus einwenden; Homosexuelle würden stereotyp gezeigt, da ist schon was dran.

An zahlreichen Details wird herumgemäkelt, aber man gewinnt den Eindruck, als seien das Einwände wie in Deutschland vor 20 Jahren, als «Schindlers Liste» alle möglichen kleinen Fehler angekreidet wurden, um die Augen vor der grossen emotionalen Wahrheit verschliessen zu können. Die grosse emotionale Wahrheit von «7 Göttinnen» ist die Behandlung indischer Frauen als Bürgerinnen zweiter Klasse, und unsichtbar, aber unübersehbar steht im Hintergrund die Gruppenvergewaltigung von Delhi, die vor vier Jahren weltweit Schlagzeilen machte.

Genre-Filme hält Indiens Gesellschaft aus

Es ist nicht so, dass das indische Kino diese Vorgänge ignorieren würde. In «22 Female Kottayam» zum Beispiel nimmt eine Frau nach ihrer Vergewaltigung Rache an dem Täter, indem sie ihn entführt und entmannt. Es ist ein Thriller, ein «Eine Frau sieht rot», und als Genre-Film hält die indische Gesellschaft das aus, denn es ist ja offensichtlich «nur Kino».

Das Beunruhigende an «7 Göttinnen» liegt darin, dass der Schrecken in der idyllischen Normalität lauert, auf der Hippie-Insel Goa, mitten im Junggesellinnenabschied. Pan Nalins Film lullt seine Zuschauer erst in die Rosawolkigkeit einer Frauenclique ein und rammt ihnen dann die Faust in den Magen: Nimm das, indische Gesellschaft, wollen doch mal sehen, ob du solch eine Provokation aushältst.

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