Vielleicht erinnern sich noch Mitleidende an den letzten Dezember, als man hart auf die Probe gestellt wurde. Beim Weihnachtseinkauf im Elektronikmarkt fuchtelten Verkleidete mit Laserschwertern herum. Der Hamburger Verkehrsverbund kündigte auf einer Anzeigetafel an, die U1 fahre «über Obi-Wansbek ab Vaderdorf weiter nach C-3POhlstedt (3 Minuten warten Du musst)». Ganz zu schweigen von Bekannten, die allen Ernstes fragten, ob das Luke Skywalkers Prothesenhand sei, die im Trailer nach R2-D2 greife.
Und dann diese Rekordmeldungen. Nie so viele Eintrittskarten vorbestellt. Bestes Startwochenende an der Ostküste. An der Westküste auch. Strahlende Kinobesitzer in Wanne-Eickel und Tatooine. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis der erfolgreichste Film aller Zeiten – James Camerons «Avatar» – entthront würde. Dann wurde es stiller an der Rekordfront, und nun steht fest: «Star Wars: das Erwachen der Macht» hat das Ziel weit verfehlt, meilenweit. Nicht einmal zum zweiterfolgreichsten hat es gereicht.
Hinter «Avatar» und auch «Titanic»
Das erfüllt all jene, die sich am liebsten auf den Todesstern gewünscht hätten, um der Dauerbekriegung zu entkommen, mit klammheimlicher Freude. Der Hype, der ihnen so auf die Nerven ging, hat sein ultimatives Ziel nicht erreicht. Die 2,1 Milliarden Dollar, die die Sternenkrieger in Disneys Kassen spülten, hätte man zwar auch gern auf dem Konto, aber «Titanic» nahm eben 2,2 Milliarden ein und «Avatar» 2,8. In der «ewigen» Besucherbestenliste für Deutschland (die jedoch nur 50 Jahre zurückreicht) belegt «Star Wars» mit neun Millionen Zuschauern gerade Platz 22, knapp vor «Otto – der Film», aber hinter «Ziemlich beste Freunde».
So. Das gehörte mal gesagt, von wegen Wiederherstellung der Relationen. Und von wegen des ehrfürchtigen Tones der Fan-Boy-Bewunderung, mit der in den Medien fast nur noch über dieses «kulturelle Phänomen» gesprochen wird. Und es lohnt sich, genauer hinzusehen, bis wohin dieses «Phänomen» gedrungen ist und wo sich sternenkriegsfreie Enklaven gehalten haben.
Sternenkriegsfreie Enklaven
In Indien etwa, wo Hollywoodfilme gerade 10 Prozent der Kinobesuche ausmachen (in Deutschland sind es 70 Prozent) und das lieber weiter seine eigenen Mythen und Stars pflegt; «Dilwale», die neue Romantikkomödie des klassischen Liebespaars Shah Rukh Khan und Kajol, übertraf Luke und Leia. Oder in Korea, wo das Bergsteigerdrama «The Himalayas» ein unüberwindliches Hindernis für «Star Wars» darstellte. Oder in Japan, wo «Yo-Kai 2», ein Anime über böse Geister, die Siths in die Flucht schlug.
Japan ist der drittgrösste Kinomarkt der Welt, aber Hollywood richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf den zweitgrössten, der in ein, zwei Jahren sogar den amerikanischen überholen dürfte: auf China. Das lebte lange Zeit in seliger Ignoranz des «Star Wars»-Universums, das sich in einer weit, weit entfernten Galaxie auszudehnen begann, tief im Westen.
Als der junge Harrison Ford erstmals die Schwerter kreuzte, war Mao gerade gestorben. Als zwei Jahrzehnte später die Klonkrieger aufmarschierten, war China ein Kinoentwicklungsland, heute werden dort 15 neue Kinos pro Tag (!) eröffnet. Noch vor zehn Jahren, als LucasArts das Online-Rollenspiel «Star Wars Galaxies» auf den Markt warf, wurde um China ein Bogen geschlagen, genauso wie vor fünf Jahren mit dessen Nachfolger «Star Wars: The Old Republic».
Viel Tamtam für wenig Geld
Für die «Erwachende Macht» hatte sich Disney in China wirklich Mühe gegeben. Beim Shanghai-Festival wurden alle sechs alten Filme hintereinander gezeigt. Zur Shanghai-Premiere gaben sich Regisseur und Stars die Ehre. Lebensgrosse Sturmtruppler-Skulpturen standen in der Luxus-Shopping-Meile Shanghais. Lu Han, Chinas Antwort auf Justin Bieber, tanzte in einem Musikvideo in Jedi-Roben und sang davon, wie er «die Macht spüren» könne. Doch die Macht der Macht erwies sich als begrenzt.
Am Ende lag «Star Wars» nur auf Rang sieben amerikanischer Filmerfolge in China, hinter zwei «Transformern», «Avatar», «Jurassic World», den «Avengers» und «Fast & Furious 7», der fast dreimal so viel einspielte.
Einsichten über Demokratien und Diktaturen
In den sozialen Netzwerken erntete der Film gemischte Kommentare. Auf Weibo (einer Facebook-/Twitter-Mixtur) schrieb ein Blogger: «Wenn einem Science-Fiction-Film die Vorstellungskraft fehlt, was ist dann der Unterschied zu einer Seifenoper? (vorzüglicher Punkt, der Redakteur) Die Geschichte stand ganz im Dienst der Fans der ursprünglichen Trilogie und verliess sich völlig auf Effekthascherei. Am lächerlichsten ist, dass die ganze Macht der Galaxie einer Familie gehören soll.» Auf Douban (einer Mischung aus MySpace und IMDB) bekannte ein Zuschauer seine Verwirrung: «Ich habe die Geschichte gar nicht recht begriffen … Die erste Hälfte hat mich schwindlig gemacht.»
Eine brutal ehrliche Sicht auf den Film, ungetrübt von der rosa Brille der Nostalgie, welche die meisten im Westen aufhaben. Die Generation, die Chinas Kinoboom treibt, war noch nicht geboren, als die Episoden 1 bis 6 herauskamen. Sie hat einen klaren Blick auf die Botschaften des Films. «Ein demokratisches Parlament scheint chaotisch zu sein, während das Imperium eines Diktators stabil zu sein scheint», schreibt ein Douban-Nutzer. «Das ist es wert, darüber nachzudenken.»
Das ist es, in der Tat, denn «Star Wars» erscheint hier wie die Illustration des Mantras der chinesischen Führung, freie Wirtschaft sei gut, aber nur in einer «kontrollierten» Demokratie. «Die Republik ist unfähig, das Militär und das Parlament zu kontrollieren, also bricht sie zusammen», interpretiert ein anderer. «Was kann eine Demokratie schon tun? Sie hängt trotzdem von der Macht der Waffen ab!» Einer der Gründe, warum «Star Wars Galaxies» in China nicht herauskam, war die Möglichkeit für die Spieler, eigene Inhalte zu kreieren. Chinas Regierung erlaubt nur neue Inhalte innerhalb zuvor von den Entwicklern definierter Grenzen.
Umkehrung der Verhältnisse
Hollywood steht vor dem Problem, amerikanisch bleiben zu wollen und global werden zu müssen. Noch bis in die Achtzigerjahre war dies simpel: Die USA waren klar der grösste Kinomarkt der Erde, und der wurde zielgerecht bedient, mit englischsprachigen Stars, amerikanischem Traum und auf dem Westzentrismus gegründeten Geschichten. In den Neunzigern begann sich die Balance zu verschieben, die ersten Filme nahmen im «Rest der Welt» mehr ein als in Nordamerika. Heute ist das bei Blockbustern die Regel, wobei «Fast & Furious 7» das umgekehrte Extrem verkörpert, 77 Prozent im Ausland, nur noch 23 Prozent in den USA. «Star Wars» liegt ungefähr bei 50:50.
Die US-Filmindustrie hat das Problem mit der jahrzehntelang bewährten Kleinen-Finger-Taktik zu bewältigen versucht. Man drehte Monumentalfilme wie «Quo Vadis» mit Robert Taylor in Roms Cinecittà, und italienische Stars durften in Nebenrollen mitspielen. Man ging für «The Last Samurai» nach Japan und stellte Tom Cruise ein paar Einheimische zur Seite. Man beehrte mit den «Inglourious Basterds» Berlin und gab Deutschen Minutenauftritte; allerdings entführte Christoph Waltz unerwartet den gesamten Film.
Chinesische Stars verlassen Hollywood
Unverdrossen wendet Hollywood die alten Rezepte an. Zhang Jingchu, in China ein Star, bekam im neusten «Mission Impossible» eine Nebenrolle mit zwei Zeilen Dialog. «Iron Man 3» verlängerte die Fassung für China um vier Minuten mit chinesischen Schauspielern. Chinas grösste Namen – Chow Yun-Fat, Zhang Ziyi, Jet Li, Gong Li, John Woo – stellten sich eine Weile als exotische Farbtupfer zur Verfügung. Inzwischen sind sie alle mehr oder minder zurück zu Hause, selbst Jackie Chan ist wieder ein einheimischen Produktionen zu sehen.
Chinas Anspruch auf Weltmachtstellung erstreckt sich nicht nur auf eigene Atombomben und Raumschiffe, sondern zunehmend auch auf die Kultur. Exemplarisch ist «Kung Fu Panda», eine chinesische Legende, die Hollywood vor zehn Jahren mit Beschlag belegte, weil China sich damals noch mit der Position als kultureller Dienstleister begnügte; heute würde das nicht mehr passieren. Wir sind inmitten eines neuen Kampfs der Zivilisationen, in dem Hollywood seine kulturelle Oberhoheit nicht abgeben und China genau diese nicht mehr akzeptieren will. Und «Star Wars» ist der symbolträchtigste Ausdruck dieser Hegemonie.
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