Es gibt Leben, die verweigern jenen, die sie leben, beinahe mit Erfolg das Eigentliche. Die muten jenen, die sie leben, zu viele Umwege, zu viele Schleifen, zu viel Leben zu. So viel Leben jedenfalls, dass man das Eigentliche, was überwuchert wird vom schieren Wahnsinn einer Biografie, beinahe gar nicht mehr sieht.

Bevor wir zum biografischen Wahnsinn im Leben der Christine Kaufmann kommen, muss etwas betont werden, was man gar nicht genug tun kann, bevor jetzt wieder all die Boulevardgeschichten kommen: Christine Kaufmann, die jetzt im Alter von 72 Jahren in München gestorben ist, war eine grossartige Schauspielerin. Sie konnte Filme retten, wie wenige Filme retten können.

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Das Chamäleon unter den paar Weltstars des deutschen Schauspiels

Sie brauchte dazu gar nicht viel tun. Sie trug sie, rettete sie mit ihren Augen, der schönen Zerbrechlichkeit ihres Gesichtes, der Bewusstheit, mit der sie Bewegungen in Charakterzeichnung umsetzen konnte, mit ihrem Mut manchmal auch, gegen sich selbst zu spielen, gegen das, was man Image nennt, und das irgendwann – nicht ohne ihr Zutun – ihr eigentliches Können, ihre Kunst übermalte.

Sie hätte tatsächlich werden können, was Catherine Deneuve für Frankreich war, was Romy Schneider – mit deren Karriere die von Christine Kaufmann einige Ähnlichkeit hat – fürs europäische Kino war. Sie wurde etwas ganz anderes. Christine Kaufmann halt, das Chamäleon unter den paar Weltstars des deutschen Schauspiels, sehr deutsch und doch wieder nicht.

Als ihr Bruder, der Fotograf Günther Kaufmann, einmal gefragt wurde, warum er an seiner Schwester bewundere, sagte der, «für das, was sie überlebt hat».

Wunderkindkarriere

Das mit dem ruhigen und zielstrebigen, dem Leben geradeaus auf einer Bahn war eigentlich schon von vorneherein unmöglich. 1945 wurde Christina Maria Kaufmann als Tochter eines deutschen Kampffliegers und einer französischen Maskenbildnerin, die wegen dieser skandalösen Liaison in Frankreich und in Abwesenheit sogar zum Tode verurteilt worden sein soll, in der Steiermark geboren.
 
Mit sieben begann sie in der Ballettschule des Münchner Gärtnerplatztheaters, mit neun stand sie im Ensemble der Bayerischen Staatsoper. Als «Rosen-Resli« wurde sie – blondiert und unfassbar süss – das Wunderkind des deutschen Films. (Das Wunder von Bern war nicht das einzige des Jahres 1954.) Mit elf, als die sieben Jahre ältere Romy Schneider ihr Debüt in «Wenn der weisse Flieder wieder blüht» gab, spielte sie neben Gert Fröbe und Margot Hielscher im Zirkusdrama «Salto mortale».

Ihre Mutter, so erzählte sie es jedenfalls später, hatte wie eine gute Tennismutter einiges für Christina Kaufmanns Karriere getan, ganz viel allerdings auch dafür, dass ihre Tochter nicht gerade mit einem überragenden Selbstbewusstsein ausgestattet und für deutsche Nachkriegsverhältnisse extrem jung in ihre Weltkarriere aufbrach.

«Ich weiss, dass ich nicht immer gut war, aber ich wirkte immer begabt», ist so ein Satz, den Christine Kaufmann später sagte. Oder dass sie sich erst mit 47 nicht mehr so hässlich fühlte, wie ihre Mutter sie immer gesehen hatte.

Rang und Namen

Das Rosen-Resli filmt weiter. Macht Filme mit Alpenrosen und singenden Engeln in Tirol. Weil es die Fünfziger sind in Deutschland und eng ist, geht sie, da ist sie vierzehn, nach Italien. Macht in «Die letzten Tage von Pompeji» selbst eine antike Katastrophe erträglich. Mit sechzehn spielt sie ein vergewaltigtes Mädchen, das – ein bisschen zeichenhaft für ihr späteres Leben – an der Borniertheit einer Stadt zerbricht. Kirk Douglas ist ihr Partner, Gottfried Reinhardt ihr Regisseur. «Stadt ohne Mitleid» heisst der Film.

Sie brennt sich fest in das Gedächtnis aller, die das jemals gesehen haben, bekommt – als einzige Deutsche jemals und gemeinsam mit Jane Fonda und Ann-Margret – einen Nachwuchs-Golden-Globe. Zwei Jahre später trifft sie bei den Dreharbeiten zu «Taras Bulba» nicht nur auf Yul Brynner, sondern auf Toni Curtis. Sie ist sechzehn, er ist zwanzig Jahre älter. Er verlässt Janet Leigh.

«Ich kenne nur Abstürze», hat sie mal gesagt über ihr Leben. Was eine einigermassen einseitige Sichtweise ist, weil sie es unter anderem dadurch zu einer geradezu unheimlichen und immer ungewöhnlichere Wege findenden Fähigkeit brachte, sich aus noch dem grössten privaten und professionellen Desaster wieder herauszuziehen.

Auf dem Karussell des Lebens

Und es ist natürlich müssig zu spekulieren, was geschehen wäre, wenn sie statt die polnische Adlige Natalia die amerikanische Nymphe Dolores Haze in Stanley Kubricks «Lolita»-Verfilmung gespielt hätte. Dass die Begegnung mit Curtis das Karussell ihres Lebens nicht gerade verlangsamt hat, ist ziemlich sicher.

Sie heiraten, da ist sie achtzehn. Ein Skandal. Curtis dreht munter weiter. Christine Kaufmann nicht. Sie zieht sich ins Private zurück. Sie bekommt zwei Töchter. Sie lässt sich scheiden. Sie geht zurück nach Deutschland. Fängt von vorne an. Im Theater, wofür sie eigentlich nicht die Stimme hat. Am Hamburger Schauspielhaus.

Ist vielen – das ging und geht vielen Hollywood-Heimkehrern so – unheimlich. Passt nicht ins Schönheitsschema. Ist zu zerbrechlich. Jedenfalls äusserlich. Tony Curtis lässt seine Töchter entführen. Christine Kaufmann zieht sich zum ersten Mal für den «Playboy» aus. Der Sorgerechtsstreit kostet sie Jahre.

Leben in Wellen

So geht das eigentlich immer. In Wellen geht ihr Leben weiter. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge: Sie spielt, wird eine prominente Randfigur im Neuen Deutschen Film. Fassbinder dreht mit ihr, Werner Schroeter, Peter Zadek. Sie verkauft Kosmetik im Fernsehen. Sie spielt. Theater in Hamburg, später im Burgtheater. Sie zieht sich noch einmal aus im «Playboy» (als «Deutschlands schönste Grossmutter»). Sie spielt (Tante Polly in «Tom Sawyer»).

Sie entwickelt Haarspangen. Sie schreibt ihre Erinnerungen. Einmal, zweimal. Sie spielt die zahnspangentragende Olga in «Monaco Franze». Sie schreibt Lebenshilfekolumnen, Schönheitsratgeber. Fünf Jahre lebt sie in Tanger. Sie heiratet. Einmal, zweimal, dreimal. Hat Affären, über die den Überblick zu behalten selbst dem Boulevard schwerfällt, der sie immer wieder genauso gern vorführt, wie sie sich seiner bedient. Mit Helmut Dietl, mit Patrick Süskind.

Man muss aufpassen, dass man über dieses Kleingedruckte nicht vergisst, was Christine Kaufmann wirklich war. Eine deutsche Schauspielerin, deren Schönheit so gross war wie ihr Talent. Und jetzt ist sie gestorben. Gegen Leukämie ist selbst eine Weltmeisterin des Sichselbsterfindens am Ende machtlos.