Scharfschützen in Tarnanzügen mit Positionslichtern am Sturmgewehr durchkämmen die schlagartig verdunkelte Elbphilharmonie. Im Auditorium hängen schwarze Banner von den Rängen. Sie zeigen einen roten Zielpunkt, der von einem goldenen Ährenkranz umlegt ist.
Die kleinen Scheinwerferstrahlen zucken durch die vollbesetzten Reihen des Konzerthauses, von irgendwo ertönen auf Englisch abgehackte Funkkommandos aus einer Einsatzzentrale. Plötzlich sind auf Videoscreens schlierendurchzogene Livebilder von dem bedrohlich wirkenden Einsatz zu sehen. Mit Ausnahme der Befehle ist es totenstill im riesigen Raum.
Aber keine Angst: In Hamburgs nach wie vor vom Publikum überrannter Elbphilharmonie kam es gerade mal zwei Monate nach der spektakulären Eröffnung keineswegs zu einem wie immer gearteten Terrorangriff. Im schuppig inkrustierten Hexenkessel so schöner wie dämonischer Töne werden nur einmal mehr die Grenzen des Konzertsaalwachstums ausgetestet.
Nach der bestandenen Crashprüfung Pop mit den Einstürzenden Neubauten, nach herkömmlichen Solistenauftritten, Weltmusikabenden und sogar New-Age-Tonmeditationen hebt hier nun ein spektakulär dramatischer Abend mit Musik und Schauspiel an.
Nennen Sie mich einfach Gott
Und zwar auf Englisch, weil mit John Malkovich ein veritabler Hollywood-Weltstar beteiligt ist. Und weil die Auftragsproduktion nach ihrer Uraufführung bis zum 9. April noch 13 weitere Male in Hamburg, Wien, Amsterdam, Groningen, Birmingham, London, Luxemburg, Moskau, Budapest auf internationale Tournee gehen wird (am 30. April läuft das Stück sogar im Fernsehen, auf Sky). Um schliesslich – aus sehr gutem Grunde – im Treppenhaus der von Paul Ludwig Troost entworfenen Münchner Musikhochschule am Königsplatz zu enden: Die firmierte nämlich ursprünglich als «Führerbau», in dem 1938 Chamberlain, Daladier, Hitler und Mussolini das Münchner Abkommen zur Eingliederung des Sudentenlandes unterzeichneten.
Das passt, denn «Just call me God» ist ein Diktatorenstück. Es setzt einen fiktiven, als entsetzliche Essenz aller unrechtmässigen Machthaber dieser Welt entworfenen Potentaten 90 Minuten lang in Szene. Dann ist er tot. «Killed in Action», geben die Scharfschützen für das unter dem Codenamen «Chef de Cuisine» anvisierte Ziel an ihren Befehlshaber weiter.
Nun liegt also der erfundene Hyper-Diktator Satur Diman Cha, seit 34 Jahren Alleinregent der Republik Circassia, nebst seinem Ordenslametta und dem komischen Brokatmützchen leblos auf dem Orchesterpodium. Vorher hat er, «sie sind mein Schutzengel», mit seiner Geisel, einer amerikanischen TV-Journalistin, einen letzten Walzer zu verzerrten Orgelklängen getanzt, um dann sein theatralisch-letales Opernfinale zu sterben. Ausserhalb der Elphilharmonie aber rüsten weitere Potentaten auf, um sich zu Diktatoren zu erheben.
Würdevolle Knattermimen
Dramatische Rezitationen, Schauspielerauftritte mit effektvoller Instrumentalbegleitung, das gab es schon früher überall in den Konzertsälen des aufsteigenden Bürgertums. Sogar Richard Strauss schrieb noch effektvolle Melodramen für rhythmisch gegliederte Sprechstimme mit Musikuntermalung.
Doch solche bramarbasierenden Auftritte würdevoller Knattermimen waren längst aus der Mode, bis vor einigen Jahren der musikaffine John Malkovich gemeinsam mit dem Opern- und Filmregisseur Michael Sturminger und dem Dirigenten Martin Haselböck antrat, diese Mischform wieder erfolgreich neuzubeleben.
Die Diktatoren-Dämmerung ist nun der dritter Streich des österreichisch-amerikanischen Trios, nach «The infernal Comedy» über den Grazer Serienkiller Jack Unterweger 2009 und den zwei Jahre später Casanova gewidmeten «Giacomo Variations». Die ersten beiden Male stand Haselböck dabei vor einem Barock- bzw. Mozartorchester, diesmal spielt er Orgel.
Der Schwall aus 4765 Orgelpfeifen
Die Königin der Instrumente als durchaus grotesk-gruselig anmutende Klangmaschine der Machtmenschen und Schurken. Auch das hat natürlich eine Tradition. Nero wurde bei ihren Tönen sentimental, der Zauberer von Oz versteckt seine gefälschte Magie hinter ihren düsteren Klängen. Das Phantom der Oper lockt so die Sängerin Christine in den Theaterkeller (und das Lloyd Webber-Thema durchzieht jetzt eine Barmusikszene), Barbarella wird von einer Lustorgel gefoltert.
Der aufbrausende Musikschwall aus den 4765 glänzenden Pfeifen hat etwas Martialisches. Malkovich selbst sieht die Musik in diesen Abenden als den «Moment der Reflektion. Und sie ist eine ungeheure, auch manipulative Kraft. Dagegen kann ich mit meinen dramatischen Fähigkeiten kaum anspielen.»
Kann er natürlich schon, locker, nachdem er zunächst als Putzfrau verkleidet Elitesoldaten und Kamera-Team umgenietet hat. Kollateralschäden bei seinem letzten Kampf. Nur die US-Moderatorin überlebt. Er, sagt er im Stück, hat sich zurückgezogen in seinen unter dem Wüstensand liegenden Konzertsaal. Der aussieht wie die Elphilharmonie (Lacher). Aber fünf Jahre vor ihr fertig wurde (noch mehr Lacher). Und man sieht plötzlich, wie viel Ähnlichkeit das jetzt wieder helle Auditorium von Herzog & de Meuron etwa mit den von Ken Adam entworfenen (gerne auch unterirdischen) Machtzentralen der Bond-Bösewichter hat.
Was folgt, ist das alte Spiel zwischen der Schönen und dem Biest, die Erotik der Macht, die Hilflosigkeit der bis zum Stockholm-Syndrom ihrem Geiselnehmer ausgelieferten Gefangenen samt ihren scheiternden Manipulationsversuchen. Das toughe Charisma Sofie von Kessels verhindert, dass ihre Caroline Thomas nur Stichwortgeberin bleibt, auch wenn sie dem aasigen Hyänencharme des dauerlauernden John Malcovich auch nicht wirklich gewachsen ist.
Experiment geglückt
Der tänzelt seinen Tyrannen als Bourbon kredenzenden, nach einem letzten Sexabenteuer hechelnden Zeremonienmeister des Bösen mit leichtem Schwung dahin: ein Alphatierchen, das sich nie geschlagen gibt, nonchalant über die Codes des Herrschens und die Tricks der Einschüchterung verfügt.
Musikalisch gliedert sich der Abend nach der dröhnenden Einleitung mit Bachs d-moll-Toccata wie eine Abfolge von Rezitativen und Arien, von Wagners Walkürenritt über elektronisch verfremdete Musik von Charles Ives, Charles Widor, César Franck und Schubert. Organist Haselböck treibt die wahnwitzigen, oft akustisch manipulierten Worte voran, bewart sie aber auch davor, in ein schwarzes Loch des Trivialen abzustürzen, mit freien filmmusikalisch unterlegten Fantasien namens «Grand Organ macabre Harmonica» und «Cacophonia» bis hin zu einem «Soundtrack of Silence».
Auch wenn diesmal nur seine Aura, nicht so sehr seine natürliche Akustik genutzt wurde: Der neue Klangkasten im Hamburger Hafen ist selbst für solche Musiktheaterstück-Grenzgänge geeignet. Experiment geglückt.
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