Diese Woche haben die Innenminister davon Abstand genommen, in Deutschland ein generelles Verbot der Vollverschleierung durchzusetzen. Wahrscheinlich erweisen sie sich damit als Realisten.

Wenn eine Frau nackt durch die Stadt läuft, wird man sie zwingen, sich etwas anzuziehen, um dieses «öffentliche Ärgernis» zu beenden.

Kaum jemand wird sich für ein Recht dieser Frau auf öffentliche Nacktheit in die Bresche werfen und den Polizistinnen in den Arm fallen, die sie in eine Decke hüllen. Man darf jemanden zwingen, sich zu bekleiden. Das ist allgemein akzeptiert.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Wie sollte eine Burkaverbot durchgesetzt werden?

Eine in eine Burka gehüllte Frau stellt allerdings auch ein öffentliches Ärgernis dar. Die Vollverschleierung ist nun einmal kein Faschingskostüm, sondern steht für ein Geschlechterkonzept, das unseren gesellschaftlichen Konventionen und unserer Rechtsordnung fundamental widerspricht.

Man kann aber niemanden zwingen, sich zu entblößen. Wer wollte ihrer Trägerin die Burka vom Leib reissen, worauf es ja hinausliefe bei einem so blickdichten Kleidungsstück, das noch nicht einmal das Lüften eines Schleiers erlaubt? Wie also sollte ein Burkaverbot praktisch durchgesetzt werden?

Unter der Kutte des Netzes

Es wird von den Befürwortern eines solchen Verbotes gern das Argument benutzt, in einer demokratischen Gesellschaft sei es nötig, Gesicht zu zeigen und miteinander in Blickkontakt zu treten. Das ist eine schöne Idee.

Nähme man sie wirklich ernst, müsste man das Burkaverbot allerdings sehr weit fassen. Es müsste den Grossteil der Kommunikation in sozialen Netzwerken treffen, deren Teilnehmer alles Mögliche zeigen nur nicht ihr wahres Gesicht.

Das Netz ist eine globale Gesamtburka. Es schafft eine Öffentlichkeit, in der jeder sich nach Belieben verhüllen kann, um Anschläge auf den Verstand, die intellektuelle Redlichkeit und den guten Geschmack zu verüben. Unter der Kutte des Netzes werden exhibitionistische Meinungsexzesse ausgebrütet.

Blicken ist völlig aus der Mode gekommen

Das Gesichtzeigen kommt uns langsam abhanden. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin, frage ich mich, vor welchen Blicken sich Frauen mit einer Burka überhaupt verbergen wollen. Das Blicken ist völlig aus der Mode gekommen.

Das Smartphone erlaubt die vollständige optische und akustische Abschottung des Einzelnen. Viele machen davon Gebrauch und laufen auf eine Weise vollverschleiert durch die Gegend, die mich zutiefst irritiert und beunruhigt.

Burkaträgerinnen sind wahrlich nicht die grösste Gefahr für die demokratische Öffentlichkeit.

Die Kontributoren sind externe Autoren und wurden von bilanz.ch sorgfältig ausgewählt. Ihre Meinung muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.