Diese Woche ist wieder einmal eine der ohnehin wenigen Sicherheiten, über die der moderne Mensch noch verfügt, verloren gegangen. Die Firma Colt steckt in grössten Zahlungsschwierigkeiten. Wahrscheinlich muss sie demnächst Insolvenz anmelden. Für mich stand bisher fest, dass ein Colt in Zeiten undurchschaubarer Finanzkrisen zuverlässig vor Zahlungsunfähigkeit schützt. Mit einem Colt bleibt keine Rechnung offen.
Ein Colt ist der Sicherheitsanker in den vorkapitalistischen Sphären des Daseins – dachte ich. Schon Marx wusste ja, dass es der ausserökonomischen Gewalt bedurfte, um den Kapitalismus richtig zum Laufen zu bringen. Und genauso gilt das auch umgekehrt. Wenn der Kapitalismus nicht so läuft, wie man sich das eigentlich vorstellt, dann braucht es einen Colt, um die Situation zu bereinigen. Wenn der Colt raucht, können die Marktkräfte verschnaufen und nachher umso frischer wirken. Und nun raucht bei Colt bald gar nichts mehr. Die Firma ist nach 180 Jahren pleite.
Es ist noch gar nicht abzusehen, was das bedeutet. Ohne den Colt wäre die Welt nicht so, wie sie ist. Mit dem von Samuel Colt konstruierten Perkussionsrevolver besiegten 1837 ein paar Texas Ranger eine gewaltige Komantschenübermacht. Dadurch wurde die Armee auf die neue Waffe aufmerksam. Mit dem Colt siegten die Yankees im Bürgerkrieg und danach erfand sich die amerikanische Nation neu in der Eroberung des Westens, die ohne Colt ebenso wenig denkbar war wie ohne Planwagen. Der Colt war ein Werkzeug des Nation Building.
Symbolische Feuerkraft wie eine Kalaschnikow
Und als der Wilde Westen dann in Hollywood noch einmal und nun richtig in Szene gesetzt wurde, begleiteten rauchende Colts den globalen Siegeszug der amerikanischen Massenkultur. Was ihre symbolische Feuerkraft angeht, kann nur eine Waffe dem Colt die Patrone reichen: das ist die Kalaschnikow. Der Colt ist das Schiesseisen des einsamen Reiters, der in den Weiten des Westens einem archaischen Freiheitsideal folgt. Die Kalaschnikow rattert den Kult der Volksmassen. Bleibt ihr nun das Feld alleine überlassen?
Der Colt ist nicht nur amerikanisches Kulturerbe, sondern Weltkulturerbe. Das müssen selbst diejenigen eingestehen, die Schusswaffen prinzipiell für ganz, ganz böse halten. Der Colt lässt sich eben nicht wegdenken, er ist ein mächtiger Mythos. Klar, es gibt auch andere Revolver, zum Beispiel von Smith&Wesson. Aber nie lief im deutschen Fernsehen eine Vorabendserie mit dem Titel «Rauchende Smith&Wessons».
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