Der Seebär von der Marion-Insel vor Südafrika schaffte es in die internationalen Schlagzeilen. «Schockierend» kam sein Verhalten dem deutschen Magazin «Der Spiegel» vor. Auch für das britische Boulevardblatt «Daily Mail» war es «Shocking».

Der Seebär hatte versucht, einen Königspinguin mit Gewalt zum Sex zu zwingen. So beobachteten es Zoologen von der Universität Pretoria. Der Seebär, wie die Weltpresse nun übereinstimmend festhielt, verhielt sich politisch nicht korrekt.

Die Debatte hat etwas Exotisches

Mit dem Seebären können wir uns in die aktuelle «Aufschrei»-Debatte um sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt einbringen. Aus zoologischer Sicht hat die Debatte etwas Exotisches. Sexuelle Belästigung ist im Tierreich ein Ausnahmefall.

Einen schlechten Ruf haben beispielsweise die Stockenten. Weil es mehr Männchen als Weibchen gibt, machen sich die Erpel in ganzen Gruppen an die Damen heran und verfolgen sie hartnäckig an Land wie im Wasser. Die Weibchen lösen den Konflikt meist pragmatisch und lassen sich zur Entschärfung der Lage mit mehreren Entenmännern ein. Auch die Delfine neigen in ihrem Sexualverhalten zu einem aggressiven Stil und jagen in Rudeln hinter den Weibchen her, bis hin zur Nötigung.

Männchen zeigen Interesse wegen aufreizender Signale

In der Regel allerdings werden Männchen nur aktiv, wenn sie von Weibchen durch einen sogenannten Schlüsselreiz dazu stimuliert werden. Bei Schmetterlingen kann das ein Duftstoff sein, bei Fischen spezielle Schwimmkurven, bei Vögeln das Spreizen des Gefieders, bei Fröschen der Gesang. Ohne aufreizende Signale haben die Männchen kein Interesse an Sex und Fortpflanzung.

Damit wären wir bei der SVP-Nationalrätin und Polizistin Andrea Geissbühler. Sie löste die neuste «Aufschrei»-Debatte mit ihrem Statement aus, dass Frauen bei sexueller Belästigung, bis hin zur Vergewaltigung, eine Mitschuld trügen. Schlüsselreize wären dann etwa Minijupes und High Heels.

Rein biologisch vertretbar

Aus rein biologischer Sicht kann man auf den ersten Blick eine solche These vertreten. Im gesamten Tierreich sehen Weibchen weniger attraktiv aus als die Herren der Schöpfung. Beim Blauen Pfau hat nur das Männchen einen imposanten Federkranz, mit dem er das Rad vor seinen Auserwählten schlagen kann. Madame hingegen ist ein unscheinbarer grauer Hühnervogel. Das ist keine Laune der Natur, es ist Strategie.

Der bekannte Biologe David Hosken glaubt, dass Weibchen absichtlich unattraktiv aussehen, um übertriebene männliche Aufmerksamkeit abzuwehren. Es ist ihnen wichtiger, sexuelle Belästigungen zu verhindern, als durch ein attraktives Äusseres ein noch besseres Männchen anzulocken.

Im Tierreich wählen stets die Weibchen die Männchen aus, nicht umgekehrt. Die Männchen machen darum mit ihrem Balzverhalten die Weibchen an, sie tanzen und singen, es kommt zu Berührungen und sonst allerlei anzüglichem Verhalten. Die Sieger kommen dann zum Handkuss, die Verlierer trotten traurig davon.

Der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier

Und hier liegt auf den zweiten Blick der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier. Bei den Tieren akzeptieren die Verlierer die Niederlage in ihrem Balzverhalten sportlich. Im Humanbereich mündet erst die Niederlage eines verschmähten Mannes in sexuelle Übergriffe.

Der politisch unkorrekte Seebär zeigte also menschliche Züge.

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