Klarheit und Kühle, Höhensicherheit und polyglotte Raffinesse, ein riesiges Repertoire und enormer Fleiss. Das alles sind Dinge, die man mit dem schwedisch-russisch-deutschen Tenor Nicolai Gedda verbindet. Nicht zuletzt wurde er wegen seiner immensen und immer mustergültigen bis grandiosen Plattenpräsenz zu einer der zentralen, gern erinnerten Tenorstimmen der Nachkriegszeit. Von Anfang der Fünfziger bis zu seinem Bühnenabschied 1997 war er fast fünf Jahrzehnte präsent.
Der 1925 in Stockholm als Harry Gustaf Nikolai Gädda geborene Sänger wurde dank seiner lyrisch leuchtenden Stimme, seiner stupenden Technik, Intelligenz und Mehrsprachigkeit ein einzigartiger Sänger: Leicht schien ihm alles zu fallen, als ob er immerwährend lächelte. Dabei war er schüchtern und oft vom Lampenfieber gepeinigt.
Dank seiner engen und treuen Beziehungen zu dem legendären Produzenten Walter Legge und dessen Plattenfirma EMI, die heute als Warner Classics firmiert, ist er zudem einer der meistdokumentierten Klassikkünstler. Nur Plácido Domingo hat ihn überholt, aber Gedda blieb authentischer in seinen vielfältigen Rollen, die von für die damalige Zeit vorbildlichen Bach-Passionen und Glucks Orpheus der Vorklassik bis zu den gemässigten Neutönern des 20. Jahrhunderts wie etwa Rolf Liebermann reichten.
Herbert von Karajan schätzte Nicolai Gedda als Partner
Nicolai Gedda brillierte im Verlauf seiner am Anfang beängstigend hoch laufenden Weltkarriere, die ihm allerdings offenbar nicht schadeten, auf der Bühne wie in seinen weit mehr als 70 Studiopartien sowohl im Mozart-Repertoire als auch im lyrisch italienischen und französischen Fach. Er sang zudem in Russisch, Englisch und natürlich Schwedisch.
Er war als untadeliger, höchstens ein klein wenig reservierter Stilist perfekt für die deutsche Spieloper von Lortzing, Weber, Schubert und Mendelssohn wie für Operette und glänzte auch als passionierter und universeller Liedsänger. Maria Callas und Herbert von Karajan schätzten ihn als Partner.
Von 1928 bis 1934 lebte Nicolai Geddas Familie in Leipzig, wo sein russischer Stiefvater Kantor an einer russisch-orthodoxen Kirche war. Dort begann Nicolai seine musikalische Ausbildung. Rechtzeitig erfolgt die Rückkehr nach Stockholm, wo er am Konservatorium studierte und 1952 als Chapelou in Adolphe Adams so liebenswürdigem wie heute fast vergessenem «Le Postillon de Lonjumeau» mit sportiv federnden hohen D debütierte.
Ein Pionier gerade auch im französischen Fach
Nicolai Gedda war als Mozart-Sänger viel gefragt, entwickelte sich als Hoffmann, Faust oder Werther zu einem der Spitzeninterpreten des französischen Fachs und ist gerade in einer Zeit, in der Meyerbeer-Opernaufführungen wieder Pionierarbeit waren, als Raoul in «Die Hugenotten» oder Jean in «Der Prophet» durch den Einsatz seiner voix mixte, dieser sehr französischen Eigenart aus heldischer Bruststimme und flexibel-feiner Kopfstimme, bis heute unerreicht. 1980 wurde er in Tschaikowskis «Eugen Onegin» am Moskauer Bolschoitheater als immer noch jugendlicher Dichter Lenski umjubelt.
Als Wagnerinterpret erregte Nicolai Gedda 1966 mit seiner (live überlieferten) Interpretation des Lohengrin in Stockholm grosse Anerkennung. Daraufhin wurde er als Schwanenritter bei den Bayreuther Festspielen angekündigt. Kurzfristig sagte er aber die Auftritte aus Sorge vor einer Überbeanspruchung seiner Stimme ab.
Seine letzte neue Partie sang Gedda mit 72 in London
Bis ins hohe Alter blieb er vor allem als Prinz Sou-Chong in Franz Lehárs «Das Land des Lächelns» der Operette treu, der an der Seite von Elisabeth Schwarzkopf und Anneliese Rothenberger längst klassische Gesamtaufnahmen beschert hat. Seine letzte neue Partie war 1997 in London die des assyrischen Patriarchen Abdisiu in Pfitzners «Palestrina» unter Christian Thielemann. 1972 hatte Nicolai Gedda in der Gesamtaufnahme unter Rafael Kubelik bereits die Titelrolle gesungen.
Als langjähriger Nachbar von Audrey Hepburn lebt Nicolai Gedda heute zurückgezogen mit seiner dritten Frau Aino Sellermark am Genfer See. Am 11. Juli wurde er, der ideale Tenor für die Massen, aber ganz besonders für den Kenner, als «Stimme der Musik im Tenorfach» gehuldigt, 90 Jahre alt.
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