Kürzlich habe ich es wieder einmal versucht. Ich habe versucht, mit dem Auto aus der Innenstadt von Florenz herauszufinden. Ich fuhr ohne Navigationsgerät, also nach Gefühl. Das war keine gute Idee.
Nun ist die Strassenbeschilderung in der toskanischen Hauptstadt, sagen wir mal, leicht lückenhaft. Aber es ist dennoch bemerkenswert, wie unterentwickelt unser Orientierungssinn ist. Ich war überzeugt, zielsicher nach Norden zu fahren. Ich kam zielsicher im Süden der Stadt an.
Der Unterschied zwischen Mensch und Tier
Einer der grössten Unterschiede zwischen den menschlichen und den tierischen Kreaturen ist ihr Orientierungssinn.
Nehmen wir zum Beispiel die Rabenkrähen. Im Herbst vergraben sie jeweils Nüsse im Boden. Sie vergraben sie grossräumig auf riesigen Wiesenflächen. Nach dem ersten Schnee kehren sie zurück. Sie finden die Nüsse punktgenau wieder. Dass sie nicht suchen müssen, sieht man daran, dass ihre Fussspuren im Schnee äusserst kurz sind. Die Rabenkrähen besitzen ein fotografisches Gedächtnis. Manchen Vögeln gelingt es, jährlich bis zu 300'000 Nüsse sowie Samen zu verstecken und sie Monate später wiederzufinden.
Unsere Vorfahren, etwa die Höhlenbewohner und Pfahlbauer, konnten so etwas ebenfalls noch. Sie fanden darum selbst aus dem dichtesten Gebüsch stets zu ihrer Behausung zurück, obwohl die Strassenbeschilderung zu ihrer Zeit auch suboptimal war. Sie hatten, so wie ich in Florenz, ebenfalls kein GPS.
Oder hatten sie doch eines? Ja, sie hatten eines. Unsere Vorfahren orientierten sich an der Sonne, am Mond, am Wind und am Moosbewuchs an den Bäumen. Dieses Talent ist uns abhandengekommen, spätestens, als Napoleon in der Schweiz Strassenschilder durchsetzte.
Orientierung am Magnetfeld
In einem Punkt allerdings waren auch die talentierten Höhlenbewohner und Pfahlbauer den Tieren stets unterlegen: Den Magnetsinn hatten sie nie.
Die Orientierung am Magnetfeld der Erde ist die effizienteste Art, den richtigen Weg zu finden. Dieser Sinn ist wie ein eingebauter Kompass. Bienen haben ihn, genauso wie Mäuse, Lachse und Pferde.
Vögel beispielsweise erkennen, wenn sie in Schwärmen fliegen, durch den inneren Kompass, ob sie in Richtung Nordpol oder Südpol, nach Osten oder Westen unterwegs sind. Interessanterweise haben die Zugvögel kein Problem damit, wenn sie den Äquator überfliegen – eine Magnetzone, die gewöhnliche Kompasse überfordert. Auch Meeresschildkröten orientieren sich am Magnetfeld der Erde und finden selbst nach einer zwanzigjährigen Reise durch die Ozeane mühelos zurück in die Bucht ihrer Geburt. Sie wundern sich dann bloss, warum hier inzwischen so viele Hotels stehen.
Der Homo sapiens kann das nicht
Der Homo sapiens kann das nicht. Forscher haben immer wieder nachzuweisen versucht, dass nicht nur Tiere den eingebauten Kompass haben. Sie führten zum Beispiel Versuchspersonen mit verbundenen Augen durch den Wald, drehten sie dabei ein paar Mal um die eigene Achse und fragten dann, wo Norden liege. Es klappte nicht; der Homo sapiens zeigte in alle möglichen Himmelsrichtungen.
Er braucht darum Hilfe in der Not. Zwei Ballonfahrer, so geht ein Witz, hatten in dichtem Nebel völlig die Orientierung verloren. Endlich riss der Nebel auf, und sie sahen unter sich einen Spaziergänger. «Hallo! Wo sind wir hier?», riefen sie ihm zu. Der Spaziergänger antwortete sofort und korrekt: «In einem Ballon, 30 Meter über der Erde.»
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