Bei der diesjährigen Bayreuther Premiere «Tristan und Isolde», vor 150 Jahren in München uraufgeführt, darf man sich einerseits vier Stunden lang in das chromatisch sehrende Mysterium einer unmöglichen, wohl von Anfang an jenseitigen Liebe fallen lassen, kann man «ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust», so wie es Isolde schliesslich in einer Art von kosmischem Orgasmus, genannt «Liebestod», ausdrückt. Oder man kann analytisch bleiben und darüber befinden, ob es Christian Thielemann und Katharina Wagner diesmal reissen werden.

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Thielemann als dort frisch bestallter «Musikdirektor», der mit diesem von ihm zuletzt 2003 in Wien dirigierten Werk sein Wagner-Repertoire in Bayreuth vollendet. Sie als nunmehr allein bis – mindestens 2020 – amtierende Festspielleiterin, in ihrer ersten und vorerst letzten Inszenierung dort seit den umstrittenen «Meistersingern» von 2007.

Elisabeth Sobotka in Bregenz

Auch in Bregenz beginnt eine Festspielchefin, Elisabeth Sobotka, früher mal Operndirektorin an der Berliner Staatsoper, die sich geradlinig durch die Institutionen vorgearbeitet hat. Sie hat nicht viel an der überkommenen Programmlinie geändert, das Spektakel auf dem See, dieses Jahr Puccinis China-Reisser «Turandot», muss mit seinen ikonografischen Bildern 300'000 Zuschauer begeistert, denn es finanziert die intimere Kunst im Innenraum mit.

Immerhin erfüllt sich dort mit Stefan Herheim einer der gegenwärtig meistgefragten Opernregisseure nach fast zwei Jahren Kreativpause mit einer sehr speziellen Fassung von Jacques Offenbachs immer aufs Neue faszinierendem Torso «Hoffmanns Erzählungen» einen alten Wunschtraum. Bregenz, das ist die sympathisch Wirklichkeit gewordene Utopie von der massenwirksamen Kunst, die auch wirklich noch eine solche ist.

Salzburger Eintrittspreise

Massen an Geld muss man hingegen in Salzburg haben, dort freilich hängt die Exzellenz dieses Jahr gehörig durch. Wir haben nach dem Abgang von Alexander Pereira Richtung Mailänder Scala zwei Interimsjahre vor uns, in denen vor allem abgewickelt wird, bevor ab 2017 Markus Hinterhäuser, der neue Intendant, es als Heilbringer richten soll. Aber ob er es überhaupt vermag, angesichts der dort besonders angespannten Budgets?

Das Schauspiel wiegt sich diesen Sommer sehr im Gefälligen, das Konzertprogramm ist profillos und den drei Opernpremieren fehlt weitgehend die Aura des Einmaligen. Nur Wolfgang Rihms «Die Eroberung von Mexico», eine Idee des Dirigenten Ingo Metzmacher, mit Peter Konwitschny am Regiepult, als Ersatz für eine nicht fertig gewordene Uraufführung, macht wirklich neugierig. Eigentlich ein Armutszeugnis.

Sich neu Formatieren

Und trotzdem: Es ist voll, man gönnt es sich, hat kein schlechtes Griechenland-Gewissen. Vor allem will man – am See, am Hügel und in der Gasse – abtauchen, versinken in eine andere, vielleicht sogar märchenhafte Welt der Kunst und der Musik, jenseits von Krise und Griesgram. Festspiel – bei allem eitlen Treiben, sich zeigen, die anderen anschauen, auch ein Innehalten, ein in sich Hineinhören in die Resonanzräume des Humanen. Machen uns Festspiele zu besseren Menschen? Sicher nicht, aber sie erlauben in ihrer totalen Konzentration, in ihrem Losgelöstsein vom Alltag, gern in ländlicher oder kleinstädtischer Umgebung, ein sich Sammeln, sich neu Formatieren für das, was unweigerlich wieder kommen wird.

Wird Angela Merkel nach vielen Stunden Wagner-Wonnen eine andere Grexit-Kanzlerin sein? Sicher nicht. Aber sie hat, freiwillig, erlebt, dass es noch ein anderes, stundenlanges sich Konzentrieren gibt, als nur das der endlosen Brüsseler Verhandlungsrunden.

Parsifal und der Sommer

In Bayreuth, Bregenz und Salzburg da muss man nicht mit unsicheren Zeitgenossen wie Wladimir Putin umgehen, da verheissen die Komponisten und Schreiber von einst und jetzt einen vorhersehbaren Zugang zu anderen Welten, bisweilen auch einen überraschenden, gar kontroversen. Es mag dabei auch um Existenzielles gehen. Doch am Ende fällt immer der Vorhang, wird geklatscht, war alles nur Spiel – im besten Falle mit einer höheren Wahrheit.

Warum tun wir uns das aber ausgerechnet in der Hitze des Sommers an? Smoking bei 30 Grad, Fastkreislaufzusammenbrüche im unklimatisierten Festspielhaus, Gewitterstürme, die über den Bodensee fegen, ist das die Katharsis, das reinigende, aufrüttelnde Wetter, das wir suchen? Ausser in Bayreuth, wo eine Wagner-Oper, insbesondere «Parsifal», noch als Ersatzgottesdienst gilt, wo die schüchternen Neu-Klatscher nach dem ersten Akt erbarmungslos niedergezischelt werden, ist das Festspiel allerdings nicht selten ein Surplus.

Man schwärmt aus in die Sommerfrische, hin zu den Seen und Wiesen, den Altstadtcafés, den Gastgärten. In Bayreuth hat man die auch, aber nur vor 16 und nach 22 Uhr. Hier gilt's eben – zumindest terminlich immer noch – der Wagner-Kunst. Ein Ritual, an dem keiner rütteln mag.

Die Festspiele verlieren an Nimbus

Sicher, die Festspiele verlieren an Nimbus, Facebook-Fotos, böse Twitter-Kommentare lassen uns teilhaben an ihrem Innenleben, auch die Intrigen bleiben nicht mehr geheim, der Klatsch blüht, die Indiskretion glüht. Kunsttempel des Hehren, des Wahren, Schönen und Guten sind das schon lange nicht mehr. Eher Orte der modischen Partizipation. Jeder kann eine Meinung haben, alle dürfen sich ereifern, aber dann, wenn es dunkel wird, haben sie wieder zu schweigen, erleben sie den Rausch der kollektiven Versenkung, den unwiederholbaren Augenblick eines Bühneneffekts, eines gelungenen Tons einer erschütternden Szene.

Im Moment erlebt – und vorbei. Verstärkt und vor 7000 Leuten auf der Seebühne, genauso wie in Wagners Festspielhaus, wo die Klänge aus dem Nichts kommen und auch die Szene seltsam weltentrückt scheint. Und auch in Salzburg kommt der Moment, wo die Roben vergessen sind, und das Handy endlich aus ist.

Bis dann die Buhstürme prasseln, die Beifallswogen rollen. Das Ende der Vorstellung, es ist auch die Rückkehr in die Welt, noch bevor es wieder in den Alltag geht. Festspiel als kleine Flucht, als rational geplante Auszeit. Die nur deswegen funktioniert, weil sie nach Regeln abläuft, weil sie endlich ist.

Und doch: im besten Fall kommt man als anderer Mensch zurück. Unterhalten. Erhoben. Bereichert. Ganz selten auch verärgert. Auch das ist menschlich, allzu menschlich.

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