Die Räder müssen sich weiterdrehen – das gilt gleichermassen für das Design wie für jede andere unternehmerische Expertise. Im Strudel von Zeitgeist, technologischem Fortschritt und gesellschaftlicher Entwicklung hat Stillstand keine Chance. Dieser hyperaktiv rotierende Gestaltungswille ist sicher auch einer der Gründe, warum gerade Design als Paradedisziplin des Turbokapitalismus gelten kann und seinem Genom aus Algorithmus und Gier in kommunikativer und produktgestalterischer Hinsicht Vorschub geleistet hat.
Ich bin seit den 1980er Jahren mittendrin und tatsächlich: Die Designwelt war während dieser Zeit mehrheitlich wohlmeinender Protagonist der saturierten Doppel D Zukunftsgläubigkeit aus Dynamik und Darwinismus. Dass Design immer am rastlosen Rad der Zeit dreht, liegt allerdings in der Natur der Sache – Design ist Prozess, Prozess ist Design. Wie ich finde, ist das eine ebenso einfache wie wichtige These, die den oft unterstellten Opportunismus von Gestaltung in einem weicheren Licht erscheinen lässt.
In ewiger Drehung und Bewegung
Auch wenn es esoterisch klingt: Natur, Mensch und Geist sind die molekulare DNS eines ganzheitlichen Gestaltungsprozesses. Dass der Bildausschnitt, mit dem Kommunikations- oder Produkt-Designer auf die Welt blicken, unendlich klein wie gross gezoomt werden kann, wussten schon Ray und Charles Eames. Das haben die zwei mit ihrem genialen Film «Powers of Ten» visualisiert. Am Ende und Anfang des Zoombereichs steht ganz formal gesehenen ein Kreis – immer getrieben und in Bewegung. Ob Milchstrasse oder Elektron, alles dreht und bewegt sich.
Wir, die Derivate des Runden sind nicht umsonst getrieben von einer kreisenden Dynamik. So hat das Bedürfnis nach seriellem Design unser eigentliches Dynamisierungstool zur Welt gebracht: das Rad. Gefässe aus Ton, schneller zu generieren als von Hand zu formen, waren der Nukleus des axial gehaltenen Rades.
Kommt das Rad erst ins Rollen...
Wann das Rad aus der Horizontalen in die Vertikale kippte, weiss ich nicht. Aber schon die nicht lenkbaren und primitiven Vollholz-Karren boten eine Möglichkeit zur räumlichen Vernetzung und Entgrenzung, die jedes Gigabyte-Glasfaserkabel alt aussehen lassen. Daniel Goeudevert, VAG Vorstand und Protagonist der Prä-Lopez – Geiz ist geil Mentalität – kommentierte einst kritisch: «Wer Strassen sät wird Verkehr ernten.» In einer Vor-Zeit, in der Überbevölkerung und der allgegenwärtige Verkehrsinfarkt keine Rolle spielten, liesse sich dieser Satz freilich ganz anders interpretieren.
Ich sehe da förmlich Gehirne monadischer Bronzezeit-Existenzen, die durch ein grösseres Bewegungsumfeld eine Art intrazerebraler Transfusion von Omega-3-Fettsäuren verabreicht bekamen. In der Folge hält das Rad-Design der Zeit niemanden mehr auf. Laufflächen, Speichen, Felge et cetera entwickeln sich entsprechend ihrer Rotationsgeschwindigkeit immer schneller. Es geht darum, den Widerstand zu verringern – anfänglich nicht um die Stromlinie wohl aber um die Verringerung der Reibung am Boden.
Einsatz für mehr Drehfreudigkeit
Aber aktuell zoome ich mal ganz wie in «Powers of Ten» ins Private zurück. Der um sich greifende designdominierte Dynamisierungswille reichte vor 40 Jahren bis in mein Kinderzimmer und fand mit dem Einzug der Hot Wheels seinen Höhepunkt.
Im Mattel-Universum trafen sich im Auftrag des Spielzeug Tycoons Elliott Händlers der Raketeningenieur Jack Ryan und der Autodesigner Harry Bradley, um sich der zu langsam drehenden Räder in der Spielkiste anzunehmen. Da lagen bei den meisten Jungs in der Regel die formal schönen Corgi-Toys oder Siku-Modelle herum, deren axiale Drehfreudigkeit nach vehementem Anschieben schon nach wenigen Zentimetern ein jähes Ende fand.
Die Hot-Wheels-Innovation des Rades im Massstab 1:64 traf auf eine vorherrschende 1:1-Realität aus Ballonreifen auf Speichenfelgen oder Weisswandreifen mit Radkappen und definierte die Ikonographie der rotierenden Dynamisierung völlig neu. Die neuen Spielzeugräder, die als Achse eine Klaviersaite benutzen, drehten sich schneller als alle anderen, waren enorm breit und faszinierten mit turbinenartigen Chrom-Felgenaufdrucken. Die Rotation im Kinderzimmer wurde zum faszinierenden Design-Erlebnis dynamikbegeisterter und reibungsarmer zukünftiger Mitglieder einer mobilen Gesellschaft.
Inklusive der Mär unbegrenzter Mobilisierung
Seitdem sind Generationen von Autobenutzern und Designern auf grosse und breite Räder als Mass aller Dinge geprägt. Eine Art Hot-Wheel-Doktrin ist seitdem fester Bestandteil einer Kaufentscheidung für alles auf vier motorisierten Rädern. 35-60-jährige überlegen es sich dreimal, ob sie mit schwarzer, raddeckelbewehrter 15-Zoll-Felge oder mit polierter 20“ plus Aluminiumversion dem Asphalt die Kilometer abringen.
Die materialstrotzende, am besten von Chip Loose gestaltete Felge, kann nicht gross genug sein. Der Reifen dagegen ist bis heute der Garant für Bodenhaftung und symbolisiert die Nähe zur Scholle, die trotz des legendären Pirelli-Kalenders in einer Welt scheinbar unbegrenzter Beschleunigung und Virtualisierung keinen Platz mehr findet. Dagegen wird die Felge als polierte Drehwurm-Turbine immer mehr zum Derwisch-Design-Element und Botschafter eines sich immerwährend um sich selbst drehenden Markenmantras: BMW «Dynamik beginnt im Kopf» – als Satellit mit Meteoriteneinschlagspotential gibt es die Mär unbegrenzter Mobilisierung dazu.
Dass ungeahnte Rad-Grössen dabei der Funktionalität und Intelligenz einen kapitalen Lagerschaden bereiten, liegt auf der Strasse. 32-Inch-DUB-Floaters-Custom-Wheels sind der ungewollt ironische Abgesang auf den Hot Wheels Doppel D Traum meiner ökonomisierungsgläubigen Generation.
Weg von aalglatter Opportunität
Gut dabei: Perversion gehört zum Prozess, definiert nicht selten eine Bifurkation, und die rollt gegenwärtig mit viel Drehmoment auf uns zu. Michael Sailstorfers rotierender Reifen im Bunker der Sammlung Boros setzt seit Jahren auf perverse Reibung an den monumentalen Schutzräumen unserer Geschichte und eben nicht auf ökonomisches Gleiten.
Die Design Avantgarde hat von diesen künstlerischen Positionen gelernt und setzt ebenfalls nicht mehr auf eine aalglatte Opportunität, die fleissig aufräumt und alles noch so kritisch bewertete bewegungslos ins konforme Raster packt. Präferiert wird ein kritischer Diskurs, der Reibung an den tektonischen Platten unterschiedlicher Persönlichkeiten als kreatives Potential zur Veränderung identifiziert hat.
Ganzheitliche Sicht für den Planeten
Kreisläufe werden immer weniger als dynamischer Wettbewerb, sondern als die von William McDonough designte Cradle-to-Cradle-Achse verstanden, deren intellektuelle Fliehkraft den Diskurs bis zu den gequälten Rohstofferzeuger-Aussenposten unserer rollenden Prosperität schleudert.
Virulentes Design basiert auf dieser ganzheitlichen Sicht und entdeckt zu meiner Befriedigung gegenwärtig gesellschaftliche Relevanz und Nachhaltigkeit ganz ohne Breitreifen. Das ist bitternötig, denn die Basis unserer Mobilität im Denken wie im Handeln ist unser Planet und der braucht weniger Narben, die ein ungezügeltes ökonomisches Profil hinterlässt.
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