Es gibt geschichtliche Ereignisse, die würden uns nicht mal interessieren, wenn sie uns, respektive Menschen, die uns von ihnen berichten könnten, aus dem fünften Stock eines Hotels aufs Autodach fallen würden. Es waren zum Beispiel einmal zwei Kriege, die dauerten zusammengenommen ein Dutzend Jahre, kosteten Hunderttausende das Leben und waren glücklicherweise so weit weg, dass die Erinnerung an sie so bald verblasste, dass sie sich bis heute nicht davon erholt hat.

Von den Tschetschenienkriegen, von Grosny, von schwarzen Witwen im «Tatort» zu erzählen ist jedenfalls ähnlich mutig, wie vor Millionen in einer pfälzischen Amateurtheatertruppe mittels vergifteter Croissants morden zu lassen. Das Gähnen der anderen ist einem eigentlich gewiss.

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Der Kommissar hat eine Geliebte und ein Problem

«Kriegssplitter», der elfte Fall für die Luzerner Kommissare Flückiger und Ritschard, die grauen Mäuse unter den «Tatort»-Ermittlern, tut aber genau das. Und genau nicht. Und das kommt so:

Der Reto Flückiger hat sich mit seiner bis dahin schattenhaften Geliebten im Hotelbett einigermassen verausgabt, steht auf dem Balkon, guckt über die Stadt. Da stürzt von oben ein Mann herunter aufs Dach eines Autos.

Der war investigativer Journalist und auf der Spur eines tschetschenischen Terroristen, der wie ein guter Onkel mülltrennend und inkognito am Vierwaldstättersee vor sich hin lebt.

Alles geht schief

Nach dem Fenstersturz hat nicht nur der Reto eine neue Front im Leben (die Geliebte ist natürlich verheiratet). Auch Luzern. Die russische Botschaft schaltet sich ein, ein tschetschenischer Terrorist zieht mit schallgedämpfter Wumme herum.

Eine junge Tschetschenin – ebenfalls bewaffnet – lässt sich einschleusen. Ihr kurz nach der Geburt von ihr getrennter Zwillingsbruder lebt im Grünen und in Frieden mit Kind und Frau. Alles geht schief.

Sie fahren aneinander vorbei, begegnen sich, verpassen sich, schiessen aufeinander. Kriegssplitter sind sie alle. Tragen sie mit sich herum – die Gewalt, aus der sie geboren sind, die sie einst entfesselt haben, die sie einholt im Nieselregen, im Grau von Luzern.

Leise knirscht das Stück in den Angeln

Mit Experimentalfilmerei hat Tobias Ineichens routinierte Inszenierung nichts zu tun. Es ist ein schlankes, bilderstarkes, dramaturgisch und psychologisch mitunter leise in den Angeln knirschendes Themenstück geworden.

Tschetschenien, was wirklich geschah im Kaukasus, scheint zwar auf. Nachhilfeunterricht jedoch findet kaum statt. Weil «Kriegssplitter» zwar ein Gefecht um die historische Wahrheit der Geschichte ist, diese Wahrheit aber im Kern ziemlich elegant und berührend heruntergebrochen wird aufs Private, auf das, was jene Geschichte eben aus Menschen machen kann.

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