Ein Seufzer geht durch die Community, und in Russland werden mal wieder die verbalen Flammenwerfer positioniert. Warum? Der schwule Filmregisseur Bill Condon hat verraten, die Real-Neuverfilmung von Disneys «The Beauty and the Beast» enthalte nicht nur den ersten offen gleichgeschlechtlichen Charakter im Universum der Maus, dieser bekomme am Ende sogar einen «exclusively gay moment». Tja, das stimmt auch wirklich, falls man dabei nicht gerade mit der Wimper klimpert, so kurz ist dieser Augenblick.

Die Propaganda hat also funktioniert. Der Film ist in den Schlagzeilen, nicht nur die Schwulen und Lesben diskutieren eifrig, wie gay der nun sei, in Moskau forderte der Abgeordnete Witali Milonow, mitverantwortlich für die Formulierungen des Gesetzes gegen «homosexuelle Propaganda», dass der Film verboten werden müsse.

So weit gehen die russischen Behörden zwar nicht, aber er wird erst ab 16 Jahren zugelassen werden. So kann Disney trotzdem noch daran verdienen und sich gleichzeitig als besonders liberal feiern lassen. Gerade in Russland, wo man eben das Gesetz gegen Gewalt in der Ehe zugunsten der Männer entschärft hat, scheint es freilich niemanden zu stören, dass sich die Titelheldin Belle in ein ziemlich büffelartiges Wesen verliebt.

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Zeichentrickfilme mit nicht so subtiler schwulen Ebene

Schwule bei Disney – da kann man eigentlich nur abwinken: Was für ein uralter rosa Hut! Logisch, dass ausgerechnet die so quietschbunte, schräge, schrille, exaltierte Zeichentrickwelt des stramm konservativen, im Blick auf das Dollarzeichen aber meist toleranten Walt von Anfang an die schwulen Kreativen angezogen hat. Hier konnte man noch mehr Queen sein als sonst in der selbst schon ziemlich schwulen Filmstadt Los Angeles. Nur zeigen durfte man es nicht allzu offensichtlich.

Dabei haben gerade die Disney-Themenparks ihre vielen LGBT-Mitarbeiter seit Langem schon offener behandelt, es gibt (wenn auch nicht offiziell beworben) immer am ersten Juni-Samstag in Orlando den «Gay Day in the Magic Kingdom», 2017 bereits zum 19. Mal.

Vieles geschickt codiert

In Hollywood wurde immer schon vieles geschickt codiert. Die abendfüllenden Disney-Animationsfilme, die für ein Publikum unterschiedlichster Generationen immer perfekter auf mehreren Ebenen funktionieren mussten, haben meist auch eine gar nicht so subtile schwule Ebene. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass Dumbo, dieser so ängstliche, sanfte, völlig unmännliche Elefant, schon 1941 von einem Ballett rosafarbener Elefanten halluzinierte?

Ein Jahr davor waren die ebenfalls Spitze tanzenden Flusspferde in «Fantasia» ein Fest für die schwule Gemeinde, und bereits im zweiten Disney-Langfilm «Pinocchio» (1940) wurde dessen animalischer Sidekick, Jiminy Grille, mit Gamaschen, Zylinder und Stockschirm als tänzelnde Hommage an Fred Astaire angelegt, durchaus mit ein paar schwulen Fragezeichen versehen.

Außerdem galt vom ersten Disney-Klassiker «Schneewittchen» (1937) an: Die Helden sind meist Außenseiter – so auch im aktuellen Blockbuster die emanzipierte, lesende Belle, die so gar nicht in die Dorfgemeinschaft passt, dazu ihr als verrückt geltender Vater und das von den Einwohnern in einer intoleranten Hexenjagd («wir mögen nicht, was wir nicht verstehen») bedrohte Biest sowieso.

Auch über die ohne Frauen auskommenden «Schneewittchen»-Zwerge gab es später Gerüchte; besonders über den weich verspielten Happy. Und ist nicht die Stiefmutter als Urmodell aller Disney-Bösewichte eigentlich eine Dragqueen? Wie ihr reales Vorbild, die männliche wie männermordende Joan Crawford, immer noch als Damenimitation herhalten muss.

Der Bösewicht Scar war äusserst exaltiert

Malefitz in «Dornröschen» (in der Realverfilmung von der gern auch mit lesbischen Partnerinnen liebäugelnden Angelina Jolie gespielt) und Cruella de Vil («101 Dalmatiner») wurden ebenfalls als Transen konnotiert, besonders aber die Seehexe Ursula in «Arielle, die Meerjungfrau», dem Film, mit dem 1989 die sogenannte Disney-Renaissance als Wiederbelebung eines eigentlich abgeschriebenen Studios begann.

Arielle und ihre Schwesterfilme wurde komplett als Zeichentrickmusicals aufgezogen, als der Komponist Alan Menken und der schwule, 1991 an den Folgen von Aids gestorbene Textdichter Howard Asman zur Disney-Truppe stiessen. Und auch der intrigante Scar im «König der Löwen» (1994) gibt sich extrem exaltiert – ist aber wiederum nur eine Parodie auf Shir Khan aus «Dschungelbuch».

Erstes Disney-Broadway-Musical

Die gezeichnete Version von «Beauty an the Beast» (1991) wurde damals in ihrer überbordenden, durchaus queeren Rokokopracht das bunt und rosarot glitzernde Gegenstück zum grotesk-düsteren Filmklassiker Jean Cocteaus, der 1946 in seiner poetischen Visualisierung des Märchens von Jeanne-Marie Leprince de Beaumont seinem Liebhaber Jean Marais als Biest ein schwules Denkmal gesetzt hatte.

Konsequenterweise mutierte das Material dann 1994 zum ersten Disney-Broadway-Musical. Bis heute haben es etwa 25 Millionen Menschen weltweit gesehen. Und jetzt wird auch für diejenigen, die mit dem Titel den Zeichentrickfilm ihre Kindheit assoziieren, die Verwertungskette um ein weiteres Glied bereichert. Mit drei neuen Songs und ein paar anderen Wendungen der Geschichte.

Das neue «Beauty and the Biest», statt schlanker 84 Minuten über zwei Stunden lang und wahlweise in 3D, trägt nicht nur an seiner epischen Breite, in der megapixelmässig die Mauern wuchern, lebendige Gegenstände blinken und sich geschmeidig bewegen. Manchmal wird es zur selbstzweckhaften Achterbahnfahrt durch den virtuellen Raum. Selbst die herrliche Production Number «Be our Guest» fällt da kaum noch aus dem Künstlichkeitsrahmen.

Von grossen Namen nicht blenden lassen

Und man soll sich von den vielen grossen Namen in der Besetzungsliste nicht blenden lassen: Emma Thompson als Teekanne, Ewan McGregor als Leuchter, Ian McKellen als Uhr, Stanley Tucci als neu hinzugekommenes Cembalo und Audra McDonald als Schrank werden erst zum Schluss wieder menschlich. Kevin Kline als Papa blickt meist unterfordert gütig, und Emma Watson als Belle ist ein wenig kratzbürstiger als ihre Animationsvariante. Ansonsten muss man eben opulente Märchen und Happy Ends mögen.

Und die schwule Figur? Die echten Männer bleiben hier sowieso blass, der am Ende gar nicht so schöne Märchenprinz Dan Stevens, aber auch der in Massen selbstsüchtige Gaston, der Belle hinterhersteigt und ausgerechnet vom schwulen Schauspieler Luke Evans verkörpert wird. Der wiederum wird von dem heterosexuellen Akteur John Gad angeschmachtet. So viel zu gespielten und echten Geschlechterordnung.

Das Coming-out des besten Nebenrollen-Freundes mit Namen LeFou («der Narr»), der kugelrund schnappatmet wie Dirk Bach selig – das ist der «gay moment», als er im allgemeinen Tanz plötzlich einen Kerl an der Hand hält, dem vorher schon ein Frauenfummel gefallen hat.

So zelebriert Disney laue Schwulen-Klischees, die schon seit den schwarz-weissen Hollywood-Tagen der effeminierten Butler Edward Everett Horton oder Eric Blore altbacken anmuten. Und selbst Regisseur Bill Condon war 1998 als Oscar-Drehbuchpreisträger für «Gods and Monsters» über das Leben des schwulen «Frankenstein»-Regisseurs James Whale schon viel, viel weiter.

So müssen wir also weiter auf die erste lesbische Disney-Prinzessin warten. Aber halt: War das nicht 2014 die «Frozen»-Eiskönigin Elsa? Da hat es uns nur keiner verraten!

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