Die Aufgabe von Vorgesetzten verändert sich und wird zunehmend anspruchsvoller. Die aktuelle Managementliteratur vermittelt den Eindruck, Vorgesetzte müssten vielfältige Eigenschaften und Kompetenzen geradezu übermenschlich in sich vereinen. Sie sollen visionär und innovativ sein und ihre Mitarbeitenden begeistern können. Gleichzeitig sollen sie gut organisiert sein, klare Strukturen und Prozesse schaffen sowie eine hohe Umsetzungskompetenz besitzen.

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Fachlich versiert zu sein allein genügt nicht. Man muss zugleich gut mit Menschen umgehen können. Ein guter Chef richtet den Blick einerseits nach aussen; er versteht Markt und Kunden fundiert und sieht Trends voraus. Der perfekte Chef wirkt andererseits aber auch nach innen; er organisiert das Team, interessiert sich für Mitarbeiter und deren Probleme und unterstützt sie in ihrer persönlichen und fachlichen Entwicklung – fair und individuell.

Der Weg zur idealen Führungskraft – eine Sackgasse

Welche Vorgesetzten können all diesen überzogenen Ansprüchen auch nur annähernd gerecht werden? Wir sind es gewohnt, die Lösung unternehmerischer Herausforderungen von Führungskräften zu erwarten. Der fundamentale Wandel auf wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, technologischer und politischer Ebene macht Führung ungenügend, die vor wenigen Jahrzehnten noch hervorragende Ergebnisse erzielte. Es genügt nicht, lediglich mehr oder Besseres desgleichen zu fordern.

Diese falschen Erwartungen führen dazu, dass Vorgesetzte sich selbst massiv unter Druck setzen. Weil allgemein bekannt scheint, welche Eigenschaften Vorgesetzte mitbringen sollen, haben Mitarbeiter immer wenig Toleranz für Fehler und Schwächen von Vorgesetzten. Bei Schwierigkeiten wandert der Fokus alleinig auf die Defizite bei einzelnen Kompetenzen – ohne die Gesamtleistung der Vorgesetzten zu würdigen. Die obere Unternehmensführung leidet selbst unter diesen überzogenen Ansprüchen – und erwartet dennoch deren Erfüllung von den ihr unterstellten Führungskräften. Dieses idealisierte Bild von Führungskräften hat uns alle in eine Sackgasse manövriert.

Die Entzauberung des Chefs

Bei allen anderen Aufgaben im Unternehmen gibt es heute Arbeitsteilung. Von keinem Buchhalter wird erwartet, dass er zugleich Marketingexperte ist. Kein Verkäufer muss auch gleichzeitig ein guter Produktentwickler sein. Warum lässt sich nicht auch Führung arbeitsteilig verstehen? Warum können die unterschiedlichen Führungsaufgaben nicht auf mehrere Schultern im gesamten Team verteilt werden? Warum können wir nicht den Zauber von Vorgesetzten nehmen, der sie zu Heilsbringern stilisiert und dabei alle anderen aus der Verantwortung nimmt?

Chancen zum Preis von Umdenken

Diese Entzauberung von Vorgesetzten vermittelt auf den ersten Blick einen enttäuschenden Beigeschmack. Entzauberung bedeutet: der Zauber ist weg. Das hat aber durchaus eine positive Wirkung und birgt grosse Vorteile für alle Beteiligten. Der Erwartungsdruck der Mitarbeitenden gegenüber ihrem Chef nimmt ab und Mitarbeitende erkennen, dass auch sie Verantwortung für gute Führung und gute Ergebnisse tragen. Dies erlaubt Vorgesetzten, von ihrem Podest herabzusteigen und fordert Mitarbeiter, sich Herausforderungen zu stellen. Und das verändert die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Vorgesetzten und Mitarbeitern. Die Rollen und damit verbunden die Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen werden neu verteilt. Mitarbeitern erhalten mehr Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten – eine Gelegenheit aber auch eine Verpflichtung.

Fazit: Mehr Verantwortung für jeden einzelnen

Diese Entwicklung birgt viele Chancen. Zugleich erfordert sie ein Umdenken aller Beteiligten. Macht muss neu gedacht werden, sowohl von den formell Mächtigen als auch von den formell Entmachteten. Jeder muss Verantwortung übernehmen und kann sich selbst und andere in der neuen Realität führen. Diese Revolution ist innerhalb von Unternehmen bereits in vollem Gange – noch ist sie wenig sichtbar.

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