Die Glückwünsche kamen nach wenigen Stunden via Twitter. Google-Chef Sundar Pichai war unter den Gratulanten, ebenso wie Microsoft-Chef Satya Nadella und Investmentbanker Frank Quattrone. Doch es war nicht das Ergebnis der tagelangen Verwaltungsratssitzung, zu der sie Yahoo-Chefin Marissa Mayer gratulierten. Es war die Geburt ihrer Zwillinge am Donnerstagmorgen.
Manchmal liegen Glück und Ärger nah beieinander. Am Tag zuvor nämlich musste Mayer noch eine schallende Ohrfeige hinnehmen. Der Verwaltungsrat des Unternehmens hatte kurzerhand einen wesentlichen Bestandteil ihrer Wiederbelebungsstrategie für den einstigen Internetpionier über den Haufen geworfen: den Verkauf der milliardenschweren Yahoo-Beteiligung am chinesischen Konzern Alibaba.
Zwar hält das Aufsichtsgremium an Mayer als Chefin fest, doch für die Vorzeigefrau der Web-Wirtschaft wird die Luft nun sehr dünn. Dabei klang alles so schön, als Mayer im Februar ihren Geistesblitz der Öffentlichkeit vorstellte.
Steuersparplan geht nicht auf
In einer vermeintlich cleveren Finanztransaktion sollte der 15-Prozent-Anteil, den Yahoo am chinesischen Internetriesen Alibaba hält, an eine unabhängige Investmentgesellschaft übertragen werden. Der Gewinn könne so steuerfrei mit einer milliardenschweren Sonderdividende an die Yahoo-Aktionäre weitergegeben werden, hiess es damals. Das könne Mayer etwas Zeit verschaffen, um Yahoo wieder auf Wachstum zu trimmen.
Doch es ist alles ganz anders gekommen. Die US-Bundessteuerbehörde wollte die Steuerfreiheit für dieses kreative Konstrukt nicht garantieren, und die Investoren bekamen kalte Füsse. Denn ihr Yahoo-Anteil steht und fällt mit der Beteiligung in Asien, neben Alibaba gehört auch noch Yahoo Japan dazu. Ohne diese Teile ist der Konzern an der Börse praktisch wertlos.
Mayer wird zur Abwicklerin
Nun versucht es Yahoo andersherum. Der Alibaba-Anteil – immerhin 31 Milliarden Dollar wert – bleibt, das Kerngeschäft des Unternehmens wird aber verkauft. An wen und zu welchem Preis, bleibt offen. Mayer wird so zur Abwicklerin. Offiziell klingt das aus ihrem Mund so: «2016 werden wir unseren Fokus enger ziehen und für unsere Investitionen Prioritäten setzen, um die Profitabilität und das langfristige Wachstum zu treiben.»
Will heissen: sparen, sparen sparen. Mayers Aufgabe wird es sein, Rest-Yahoo für einen Käufer so hübsch wie möglich zu machen. Aber ist Marissa Mayer überhaupt die Richtige dafür?
Aufsehen erregend kurze Elternzeit
Vor dreieinhalb Jahren liess sich Yahoo dafür feiern, die damals 37-Jährige von Google weggelockt zu haben, wo sie zuletzt für die Kartendienste verantwortlich war. Seitdem schafft sie es, regelmässig Aufsehen zu erregen. Kurz nach ihrem Amtsantritt bekam sie ihr erstes Kind, unterbrach ihre Arbeit aber nur kurz. Während sie Mitarbeiter aus dem Homeoffice ins Grossraumbüro zurückholte, liess sie sich auf der Chefetage eine Kinderkrippe installieren.
Spätestens nachdem sie sich in einem spektakulären Kleid kopfüber auf einer Chaiselongue liegend für die amerikanische Modezeitschrift «Vogue» abbilden liess, dürfte sie auch über die Internetgemeinde hinaus bekannt sein. Im Geschäft zeigt sie keine glückliche Hand.
Zwar investierte sie viel Geld in Zukäufe, allein der Blog-Anbieter Tumblr kostete mehr als eine Milliarde Dollar. Doch der Umsatz fällt weiter. Den Konkurrenten Facebook und Google hat sie kaum etwas entgegenzusetzen. Konnte Yahoo bei ihrem Amtsantritt noch 3,2 Prozent aller digitalen Werbeausgaben für sich gewinnen, werden es nach Schätzung von eMarketer in diesem Jahr nur noch zwei Prozent sein.
Immer noch Gemischtwarenladen
Tatsächlich ist Mayer wenig kreativ. Im Suchmaschinengeschäft setzt sie auf eine Zusammenarbeit mit Google und Microsoft. Sie liess Apps für mobile Geräte entwickeln und investierte viel Geld in neue Videoinhalte und Werbetechnologien. Im Grunde will sie alles nur ein wenig besser machen als bisher. Das reicht aber nicht.
Die Zeit der grossen Internetportale, auf denen Nutzer am besten ihre ganze Onlinezeit verbringen sollen, ist längst vorbei. Nur bei Yahoo nicht. Dort gibt es ein Mail-Angebot, einen Fotospeicherdienst, Webseiten für Finanzen, Sport, Dating, Wetter, Nachrichten, Reise, Gesundheit und, und, und.
Yahoo ist nach wie vor ein Gemischtwarenladen. Das führt zwar in der Summe dazu, dass die Website in den USA nach Google und Facebook zu den am häufigsten besuchten Angeboten gehört. Doch Umsatz und Besucherzahl wachsen nicht mehr.
Möglicherweise kann Mayer mit einem rigorosen Sparkurs und einer stärkeren Fokussierung das Geschäft profitabler machen, doch grösser und wachstumsfreudig wird es dadurch nicht. Der Aderlass an Topmanagern dürfte weitergehen. Schon musste Mayer den Weggang ihrer Marketingchefin Kathy Savitt und der Entwicklungschefin Jacqueline Reses verkraften. Auch gibt es erste Zweifel, ob das zurückbleibende Investmentvehikel wirklich steuerfrei bleibt. Möglicherweise muss Yahoo erneut umplanen.
Abschied mit goldenem Handschlag?
Was wird dann aus Marissa Mayer? Einer ihrer Hauptverbündeten im Verwaltungsrat, der PayPal-Mitgründer Max Levchin, hat bereits seinen Rückzug aus dem Gremium bekannt gegeben. Über mögliche Käufer wird kräftig spekuliert. Der Telekomkonzern Verizon soll unter den Interessenten sein, aber auch die Private-Equity-Firma TPG Capital und die Medienkonzerne News Corp. und IAC.
Sollte Mayer am Ende wegen eines Verkaufs gehen, würde sie grosszügig belohnt werden, obwohl der Aktienkurs in diesem Jahr um fast ein Drittel eingeknickt ist. Das Magazin «Fortune» taxiert ihr Abfindungspaket auf aktuell 108 Millionen Dollar.
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