Ich erinnere mich noch gut an jenes Weihnachtsessen, das zu einem Eklat eskalierte. Alle hatten schon kräftig Champagner intus, als sich der Grafiker und die Sekretärin in die Haare gerieten. «Monika», schrie schliesslich der Grafiker, «du bist eine miese Ratte!» Im Streit ging es um den Verdacht, die Sekretärin schwärze ihre Arbeitskollegen beim Abteilungsleiter an. Das trug ihr die Diffamierung als «miese Ratte» ein.

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Der abschätzige Vergleich mit der Tierwelt war in diesem Fall allerdings deplatziert. Die Ratte ist vieles, aber mies ist sie nicht.

Hilfsbereite Artgenossen

Es gibt ein bekanntes Experiment der Uni Chicago. Von einer Rattengruppe sperrten die Forscher einzelne Tiere in Glaszylinder, die sich nur von aussen öffnen liessen. Die eingesperrten Tiere stiessen Hilferufe aus. Nach einer gewissen Trainingszeit schafften es die Ratten von ausserhalb, mit der Schnauze einen Hebel hochzuheben und die eingesperrten Kollegen zu befreien.

Interessant daran war, dass die Ratten die Rettungsaktionen durchführten, obwohl sie dafür keine Motivation wie zusätzliches Futter bekamen. Die Forscher sprechen darum von «Altruismus» oder gar «Empathie» bei den Viechern.

Ein Auge für Struktur

Tatsächlich ist es unter Biologen eine heitere Diskussion, welche Tiere den Menschen ähnlicher sind – die Primaten oder die Ratten? Einiges spricht dafür, dass es die Ratten sind.

Ratten gehören zu den wenigen Kreaturen, die wie Menschen zu abstraktem Denken fähig sind. Sie können sich zum Beispiel Tonfolgen merken und erkennen sie auch dann, wenn sie um ein gutes Stück nach oben oder unten transponiert werden. Sie merken sich nicht einfach die Töne, sondern die Struktur ihrer Abfolge. Ratten können auch Sprachen wie Holländisch und Japanisch unterscheiden.

Wie sonst nur die Primaten verfügen die Ratten zudem über die sogenannte Metakognition. Sie können ihr eigenes Wissen kritisch hinterfragen. Sie können beurteilen, ob es sich beispielsweise lohnt, für mehr Futter höhere Risiken einzugehen. Aus demselben Grund entwickeln sie Stress und schlechtes Gewissen.

Menschenähnlichkeit als Nachteil

Pro Jahr werden in Schweizer Laboratorien etwa 500'000 Ratten und Mäuse eingesetzt. Viele überleben es nicht.

Dass die Ratten als Versuchstiere so beliebt sind, hat wieder mit ihren Parallelen zur humanen Rasse zu tun. Wenn man sie in einer blinkenden Casino-Atmosphäre um Futter spielen lässt, gehen sie extrem hohe Risiken ein. Ratten, die schon in jungen Jahren regelmässig Alkohol konsumieren, saufen auch im höheren Alter mehr als früher abstinente Tiere. Wenn man ihnen die Süssigkeiten wegnimmt, haben sie Entzugserscheinungen. Und nach gutem Sex lachen sie.

Manche Experimente mit Ratten misslingen dagegen. Auch mit ausgetüftelten Behandlungen gelang es nicht, schwule Ratten wieder zu heterosexuellem Verhalten zu bekehren.

Mit Champagner zu mehr Köpfchen

Wenn man also im Betrieb oder sonst im Leben als Ratte bezeichnet wird, darf man das durchaus als Kompliment interpretieren. Man zeigt menschliche Züge.

An unserer missglückten Weihnachtsfeier hatten manche vielleicht einfach etwas zu viel Champagner getrunken. Auch dafür liefern uns die Nagetiere eine gute Entschuldigung.

In einem Test wurde einer Gruppe von Ratten regelmässig Champagner eingeflösst. Eine zweite Gruppe bekam nur Wasser. Nach sechs Wochen wurden die zwei Gruppen auf ihre Gedächtnisleistung getestet.

Die Champagner-Ratten gewannen haushoch.

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