Will man den Zustand Europas begreifen, muss man die Union mit den Augen Wladimir Putins betrachten. Vor zwei Jahren brach die «Euromaidan»-Bewegung die Ukraine aus dem post-sowjetischen Reich heraus. Es war eine Sternstunde Europas, zugleich die grösste Demütigung Putins, und er antwortete darauf mit maximaler Gewalt: Annexion der Krim, Krieg gegen die Ukraine – und mit dem Entschluss, die EU zu zerbrechen. Diesem Ziel ist er gefährlich nahegekommen.

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Putins Hauptwaffe gegen Europa ist nicht das Militär, das sich in der Ukraine wie in Syrien als Papiertiger erweist. Seine Hauptwaffen sind der europäische Nationalismus und Rassismus. Wo sich anti-europäische und fremdenfeindliche Bewegungen regen, da regt sich auch die Sympathie für Putins autoritären Staat.

Sogar Polen spielt dem russischen Präsidenten in die Hände

Grossbritanniens Ukip und Frankreichs Front National verhindern gemeinsam im EU-Parlament die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in Russland. Ungarns Viktor Orbán propagiert eine «illiberale» Demokratie nach russischem Vorbild. Pegida-Demonstranten rufen «Putin, hilf!», AfD-Strategen schwadronieren von einer «bismarckschen» Rolle Deutschlands zwischen Ost und West.

Selbst penetrant antirussische Nationalisten wie die neue polnische Regierung spielen mit antieuropäischer Rhetorik Putin in die Hände. Und wenn François Hollande den europäischen Bündnisfall ausruft und allenthalben auf lauwarme Betroffenheit stösst, dann spielen auch proeuropäische Regierungen ihren Gegnern in die Hände.

Was könnte Marine Le Pens antieuropäische Suaden mehr entkräften als eine starke Reaktion der EU? Was nutzt ihr mehr als der Anblick Hollandes als Bittsteller bei Putin?

Nur Deutschland darf nicht Egoist sein

Angesichts des Rassismus und Nationalismus in Osteuropa reden einige von einer «Orbánisierung» des Ostens. Aber ganz Europa orbánisiert sich. Osteuropa ist nicht Vergangenheit, sondern die zukünftige Norm.

In Deutschland glaubten viele, die Nation durch die EU überwinden zu können; überall sonst will man die Nation durch die EU stärken. Entweder das gelingt, oder der Nationalismus zerstört die EU.

Ein Land kann sich einen kleinlichen nationalen Egoismus nicht leisten: Deutschland. Nicht aus moralischen Gründen. Sondern weil das sofort das Aus für Europa bedeuten würde, von dem wir am meisten profitieren. Angela Merkel hat das wohl begriffen, wenn auch spät.

Sie hat im Interesse der Osteuropäer und gegen die deutsche Industrie Sanktionen gegen Russland organisiert. Sie hat den Flüchtlingsdruck auf Ungarn drastisch reduziert, trotz Orbáns Undank und Widerstand aus der eigenen Partei. Sie lockert das Austeritätsregime gegen Griechenland. Sie schickt Tornados nach Syrien. Warum kann sie nicht kommunizieren, weshalb sie das alles tut?

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