Es ist Sommer und plötzlich sind sie da, dem Garagen-Hades entstiegene Mechanikwunder auf zwei Rädern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die hollandaffine Dame von Welt fährt den Flachlandklassiker mit Kind und Korb am besten von Gazelle, Gazelle oder Gazelle. Schlecht zu lenken wegen eines kilometerlangen Nachlaufes, zudem sauschwer als wäre es aus Wasserrohren gebaut, aber an optischer Eleganz kaum zu überbieten. Die angegrauten Herren mit Stil bevorzugen funktionale Non-Design-Fahrräder in einem Farbton, der sonst nur den vierrädrigen PS-Monstern im Besitz Brilliantenlünetten-bewaffneter Zampanos vorbehalten bleibt: Mattschwarz.

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Dazwischen Konstruktionen, die einer Stabheuschrecke mit Carbonkappe ähneln und als Technik-Lustschaukel mit offensiven Federelementen an sonnigen Wochenenden optisch um sich werfen. Als Gegenmodell der veganernahen Fraktion fungieren die auf Reduktion geeichten Singlespeeder, deren leidensfähige Pedalierer sich einer historisierenden Leichtgewichts Askese hingeben - im Extremfall bis zur Selbstaufgabe mit zeitfahrrad-ähnlichen, stopperfreien Fixies. Es ist ein buntes Treiben, das mir in allen Varianten ein frühsommerliches Vergnügen bereitet und wie ein Dynamisierungs-Diskurs unterschiedlicher Designvorstellungen anmutet.

Wichtiger Protagonist der Industrialisierung

Das Fahrrad war mit seiner Vielgestaltigkeit immer ein Teil gesellschaftlicher Bewegung. Aber vergessen wird heute gerne, dass dieser zweirädrige Öko-Fetisch ein wichtiger Protagonist der zweiten Welle der Industrialisierung war. Nach dem Pferd und höchst seltsamen Versuchen mit hölzernen Laufrädern - auch Draisine genannt - schneller unterwegs zu sein, erblickte 1885 das RoverII-Rad das kettenübersetzte Licht der trüben Welt aus rauchenden Schornsteinen und Kohleförderung. Es machte die Probleme wett, die das Hochrad, als skurrile High-Society-Konstruktion mit verirrtem Schwerpunkt, für den Piloten mit sich brachte. Die Leute kamen jetzt mit Schnellfuss («Velocipède») zur Arbeit und konnten durchaus mit den schwachbrüstigen Motorfahrzeugen mittels ihrer Muskelkraft mithalten. Das erste Verkehrsmittel für die breite Masse war geboren.

Das Design folgte fortan und ganz im Sinne des Kollektives dem mechanischen Anforderungen. Rahmenbeschriftungen waren nahezu unbekannt, allenfalls das goldenen Linieren war ein erstes objektorientiertes und verklärendes Grafikdesign. Insbesondere in der Plakatgestaltung dieser Zeit kommt die romantische Interpretation des Radfahrens zum Tragen. Bis heute sind die, mit weissen Spitzen-Gewändern und grossen Hüten bevölkerten Belle-Époque-Poster beliebtes Motiv in jedem dekorationsverliebten Wiener Caféhaus-Ambiente.

Die Wirklichkeit war weniger romantisch

Die Wirklichkeit freilich war weniger romantisch. Der Fluch der Industrialisierung gehörte zu Fahrrad, wie der Reifen zur Felge - dort wo es um Metall, Gummi und Leder ging war auch die Kanone nicht weit. Die ersten Hersteller waren deshalb in der Regel auch Rüstungsschmieden, die ihre Produktionskapazitäten auslasten wollten. Ein Beispiel dafür war das von Steyr eingeführte Waffenrad, das die rüstungsorientierte Verarbeitungskompetenz in Friedenszeiten in die Fahrradtechnik einbrachte. In der Regel waren diese Fahrräder schwarz und mit historisierenden, typografischen Elementen geschmückt.

Nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich das. Der Aufbau und die Implementierung eines angelsächsisch geprägten Kapitalismus beförderten vorerst eine Art spielerische Kompetition. Fahrräder wurden als bürgerlich daherkommende Sportgeräte mit Nutzwert gestaltet - bunter lackiert, mit Rennlenkern versehen, ohne auf die Funktionalität eines Gepäckträgers, Schutzbleche oder die Beleuchtung zu verzichten. Das Emblem verbleibt bei diesen bürgerlichen Geschossen von Motobecane, Peugeot oder Bauer wie eine miniaturisierte Kühlerfigur auf der vorderen Schutzblechhälfte. Irgendwie eine tragische Gallionsfigur, die für eine verlorengegangene Relevanz im Individualverkehr steht. In den urbanen Modellen war von nun an neben der entfesselten Motorisierung kein Platz für Pedale - die peinlichsten Fahrradchimären im Reich der fossil befeuerten Dynamisierung sind die mit Weisswandreifen, Tanks und schweren Chromelementen dekorierten Cruisermonster der 50er Jahre in den USA (zum Beispiel Huffy Radio Bike). Auch die statischen, serifenbetonten Schriften auf den Radrahmen wurden von den dynamisch-kursiven Schrifttypen der Automobilwelt verdrängt.

Wilde Kapriolen mit Fuchsschwanz und Bananensattel

Spätestens den 60ern und 70er galt das normale Fahrrad als Ausgeburt der Spiessigkeit. Das Design wollte neue Zielgruppen erschliessen und schlug wilde Kapriolen mit Fuchsschwanz und Bananensattel. Das Schwinn Stingray oder Bonanzarad war nichts weniger als eine brave, orange lackierte Absage der Jugend an das elterliche Hamsterrad des wirtschaftlichen Aufstiegs. Nicht mehr das Steher-Rennen an der Rolle mit freien Blick auf den Auspuff war gefragt, sondern der pedallierende Easy Rider. Kaum waren die Bonanzajungs erwachsen, generierten sie sich deshalb ein Fahrrad, das es erlauben sollte verloren gegangenes Terrain in den Bergen und in der autofreundlichen Stadt zurückzugewinnen - das Klunkerz, der Urvater des heutigen Mountainbikes.

Eine Bewegung die es in sich hatte, waren doch bisher die Rennräder das passende Design-Accessoir für die Freizeitgestaltung des kompetitiven Aufsteigers. Jetzt kamen Räder und Anbau-Teile aus dopeverqualmten Hinterhofwerkstätten, die wenig gesellschaftskonforme Herren wie Gary Fisher, Joe Breeze, Mike Sinyard, Tom Ritchey oder Charlie Kelly mit lautem Gelächter die Berge herunterjagten. Ein ganz neues urbanes Fortbewegungsmittel entstand, das die heute allgegenwärtige Rückkehr des Fahrrades in die Randsstein und Abgas verseuchten Metropolen einleutete.

Heute gesuchte Oldtimer

Die Räder dieser Zeit sind heute gesuchte Oldtimer. Ein Fat Chance Yo Eddy, Klein Attitude oder Brodie Sovereign geniessen einen ultimativen Kultstatus, der mitunter mehr Aufsehen erregt als ein Bentley von der VW-Stange. Mit dem Mountainbike-Design der Gegenwart hat das allerdings nichts zu tun. Die industrielle Dimension hat wieder in der Zweiradwelt ökonomisch Fuss gefasst. Heute bestimmen 3-4 Rahmenfabriken einen Grossteil der global produzierten Räder und die thermoplastdominierten Rahmen-Designs schliessen manufakturelle Prozesse aus. Auch die Rahmentypografie und Farbgebung orientieren sich eher an kompetitiv-marktschreierischen Dynamisierungsversuchen, die ähnlich wie ein Paar Ski daherkommen. Das ehemals zur Wiederentdeckung urbaner Lebensräume entstandene innovative Werkzeug MTB definiert sich heute als technikverspieltes Sportgerät und ist weit entfernt vom Entschleunigungstool der Ökonomisierungs-Outlaws. Trotzdem im Individualverkehrsmodell der Zukunft sollte nicht so sehr über eine autogewordenen Elekromobilität nachgedacht werden, sondern über eine urban orientierte Fahrradpolitik, deren ökologischer Fussabdruck so klein wie möglich gerät.

Keine zweite industrielle, wohl aber die erste ernstzunehmende ökologische Revolution wäre die Folge und wie immer ist das Fahrrad und dessen Formgebung pedalierend mittendrin.

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