Blackberry-Chef John Chen ist ein schwieriger Fall für seine Kommunikationsleute. «Er hält sich leider nicht immer an das, was abgesprochen ist», sagt einer von ihnen. Was so viel heissen soll wie: Chen plaudert zu offen. Und meist schiebt er noch ein Grinsen dazwischen, als wolle er deutlich machen, dass er sich seiner Überschreitungen sehr wohl bewusst ist.

«Irgendwann im nächsten Jahr müssen wir das Gerätegeschäft profitabel machen», sagte er kürzlich. Sonst müsse er sich Gedanken machen, was er auf seinem Posten so anstelle. Da war er wieder, der Moment, in dem sich seine Berater auf die Lippen beissen.

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Fast unter der Wahrnehmungsgrenze

Dass Chen die Smartphone-Produktion auf den Dauerprüfstand stellt, ist nicht verwunderlich. Denn der einstige Smartphone-Pionier fällt und fällt. Nichts scheint ihn dabei aufzuhalten. Im jüngsten Quartal gingen die Hardware-Umsätze noch einmal um ein Viertel zurück.

Gerade einmal 800'000 Geräte wurden verkauft. Sah der Marktforscher IDC den Blackberry-Marktanteil Mitte 2012 noch fast bei 5 Prozent, sind es inzwischen nur noch sehr magere 0,3 Prozent. Blackberry ist kurz davor, unter die Wahrnehmungsgrenze zu fallen.

Nun wagen die Kanadier einen Schritt, der bislang undenkbar erschien. Das neuste Gerät mit der Bezeichnung Blackberry Priv läuft ausgerechnet mit der Android-Software des Konkurrenten Google.

Eine Alternative zu Android gibt es nicht

Und das, obwohl Blackberry im vergangenen Jahr mit viel Tamtam das eigene System BB10 eingeführt hatte. Beobachter fragen sich deswegen: Ist das eine Kapitulation oder ein Neustart?

Erst einmal ist dieser Schritt weitgehend alternativlos. Es gibt mehrere Gründe für den tiefen Fall von Blackberry, darunter die späte Erkenntnis, dass Nutzer bereit sind, ihre Geräte über einen Touchscreen zu nutzen. Doch am Ende gab es noch eine viel grössere Hürde: Den Blackberry-Geräten fehlten schlichtweg die Anwendungen.

Nun können auch Blackberry-Nutzer Unterhaltung finden

Der hauseigene App-Store war mit zu vielen Lücken versehen. Insbesondere fehlten Social-Media- und Entertainment-Apps. Entwickler stellten sich bei dem minimalen Marktanteil der Blackberry-Geräte die Frage, wozu sie dort ihre Zeit verschwenden sollten.

Mit dem neuen Android-Gerät vervielfacht sich die Auswahl für Blackberry-Nutzer. In Googles Play Store gibt es mehr als eine Million Anwendungen, die nun auch auf dem Blackberry Priv laufen. Die Zeit der Lücken ist damit vorbei.

Doch wie wollen sich die Kanadier unterscheiden? Es gibt keinen Mangel an Smartphone-Herstellern, die auf Android setzen. Plötzlich tummelt sich Blackberry neben Samsung, Huawei, Lenovo, LG, Sony. Die Liste lässt sich noch viel weiter führen. Wirklich profitabel im Smartphone-Markt sind im Grunde nur Apple und Samsung unterwegs.

Bei der Sicherheit sind die Kanadier führend

Und doch setzt Chen darauf, mit dem Blackberry Priv all jene zurückzuholen, die von Blackberry zur Konkurrenz gewechselt sind. Tatsächlich hat Blackberry sein neues Gerät mit allerlei Sicherheitstechnologien versehen, für das die Kanadier bekannt sind. Hier können sie den Goldstandard der Branche für sich in Anspruch nehmen.

Allerdings haben auch Apple und Samsung hier ordentlich aufgeholt. Blackberry behauptet, besser zu sein. Auf dem Priv können Nutzer über eine eigene App sehen, welche Anwendungen zu welcher Zeit auf welche Informationen zugreifen. Das Abfischen von Adressen oder Ortsdaten bleibt also nicht mehr unbemerkt.

Grosser Stolz auf die Tastatur

Seit September vergangenen Jahres hat Blackberry drei neue Geräte auf den Markt gebracht. Das Betriebssystem BB10 wurde nicht zuletzt wegen seiner Produktivitätstools von den Kritikern gelobt.

Eine Unified Inbox sammelt an einer Stelle alle Nachrichten – E-Mail, SMS und andere Benachrichtigungen – zusammen. Diese Funktion gibt es nun auch auf dem Android-Smartphone.

Besonders stolz ist Blackberry jedoch auf seine Tastatur, die unter dem 5,4 Zoll grossen und an den Seiten gebogenen Touchscreen hervorgeschoben werden kann. Im Test fühlte sich das sehr solide an. Das Gerät ist trotzdem äusserst dünn und stabil gehalten.

Echte Tastatur bedient ein Kundenbedürfnis

Damit ist das Blackberry Priv das einzige aktuelle Android-Smartphone mit einer echten Tastatur, die zugleich als Trackpad genutzt werden kann, weil man mit den Fingern auf ihr beispielsweise nach unten wischen kann, um auf Webseiten zu scrollen.

«Priv ist die Antwort für alle früheren Blackberry-Nutzer, die eine physische Tastatur vermissen und mehr Apps wollen», sagt Chen. Auch sonst hat Blackberry sein Priv ordentlich ausgestattet: Die Rückkamera filmt in der vierfachen HD-Auflösung (4K) und nimmt Fotos mit 18 Megapixel auf.

Eigenes Betriebssystem wird beibehalten

Die Frontkamera ist allerdings mit zwei Megapixel im Vergleich eher schwach bestückt. Das Amoled-Display ist mit 544 Bildpunkten pro Zoll sehr scharf, der Prozessor arbeitet mit sechs Kernen.

Blackberry legt seine Hardware-Zukunft nun erst einmal in das Android-Handy. Parallel soll das bisherige Betriebssystem BB10 weiterentwickelt werden, nicht zuletzt, weil Blackberry viele Kunden in sicherheitsrelevanten Branchen und Behörden hat, die Wert auf Sicherheitszertifizierungen legt, die das Priv noch nicht bieten kann. Ob es aber tatsächlich neue Blackberry-Smartphones mit dem BB10-System geben wird, ist fraglich.

Erfolg des neuen Modells ist ein Muss

Einen Grossteil seines Umsatzes macht Blackberry nach wie vor mit dem Verkauf seiner Geräte. Dass soll sich aber ändern. Chen setzt vielmehr auf das Geschäft mit Software und Diensten, also Software- und Lizenzeinnahmen.

Hier steuert Chen im nächsten Jahr einen Umsatz von 500 Millionen Dollar an. Beobachter sprechen von einem sehr ambitionierten Ziel.

Trotz allem muss das Blackberry Priv ein Erfolg werden. Andernfalls dürfte das Gerät den endgültigen Abschied vom Hardware-Geschäft einläuten. Zumindest beim Preis geht das Unternehmen auf volles Risiko – und zielt wohl eher auf Business-Nutzer, die das Priv aber auch als privates Gerät nutzen wollen.

In Deutschland kostet das Blackberry Priv 779 Euro, wenn es im Laufe des Monats in die Läden kommt. Auch hier war John Chen äußerst ehrlich. Das Blackberry Priv stehe für Privacy, also Datenschutz, sagte er. Und natürlich für Privileg.

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