Vor Kurzem roch es zum ersten Mal nach Herbst. Ganz wenig nur, aber genug, um die Vorstellung nicht mehr als völlig abwegig erscheinen zu lassen, dass dieser lange Sommer irgendwann doch zu Ende gehen könnte.
Meinem Pfirsichbaum und seinen Früchten wünsche ich mit Rainer Maria Rilke noch «zwei südlichere Tage». Es könnten sogar ein paar mehr sein, denn die Pfirsiche sind noch steinhart und werden wohl in diesem Jahr nicht so süss und saftig wie sonst, weil es einfach zu trocken war. Aber grundsätzlich bin ich doch froh, dass der Sommer sich verabschiedet.
Herbst bereitet der langen Sommer-Party ein Ende
Gerade in Berlin kann einem der Sommer besonders auf die Nerven gehen. Tag und Nacht sind Horden von Menschen unterwegs, die ohne Rücksicht auf Verluste ihr Summer in the City-Gefühl ausleben. Mir fällt es schwer, in dieser permanenten Freiluft-Party eine Mediterranisierung der deutschen Alltagskultur zu erkennen, als kämen da wirklich die Teutonen aus ihren vermufften Stuben und lernten die Leichtigkeit des Seins in sonnenbeschienener urbaner Öffentlichkeit.
Ich freue mich darauf, dass in den Alleen bald wieder wie bei Rilke die Blätter treiben und nicht Plastiktüten und Pizzakartons.
Herbst läutet das Ende des Jahres ein
«Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr», heisst es im «Herbsttag». Das klingt ziemlich bedrohlich, zumal das Gedicht weiter geht mit «Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben». Als grosses Unglück erscheint das am Ende dann doch nicht, denn der unbehauste Einsame wird «wachen, lesen, lange Briefe schreiben» und unruhig in den Alleen hin und her wandern. Torschlusspanik, gar Todesangst fühlt sich anders an.
Der Herbst fördert beunruhigende Gedanken zumal bei denen, deren Lebensalter dieser Jahreszeit entspricht. Setzt man Lebenslauf und Jahreslauf gleich, kommt man angesichts erster Herbstnebel nicht daran vorbei, dass der Rest schnell abgewickelt ist.
Ernsthafter und intensiver
Zwischen der Erkältung, die ich mir auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober regelmässig hole und der panischen Suche nach dem Christbaumständer liegen nur Wimpernschläge. Der Herbst erinnert einen nachdrücklich an die eigene Endlichkeit. Er versöhnt aber auch damit. Im Herbst wird geerntet, was gereift ist.
Herbstgerüche sind viel ernsthafter und intensiver als Frühlingsdüfte. Apfelblüten sind ein Versprechen. Apfelmost ist ein gehaltenes Versprechen, das reine Glück. Endloser Sommer aber wäre für mich, einen Bewohner der gemässigten Zone, der grösste denkbare Schrecken.
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