«Äh, oh, Wahnsinn, was soll ich nur sagen? Ich danke dem Regisseur, meinen Produzenten, dem Kameramann, dem Oberbeleuchter, dem Sender, dem Senderredakteur, meiner Agentin und natürlich meinem lieben Mann, ohne den das alles nicht möglich gewesen wäre.» Aus jedem Drehbuch wäre dieses Gewürge sofort herausgestrichen worden. Und wäre das eine Durchlaufprobe einer Frank-Elstner-Show gewesen, der als perfektionistisch bekannte Altmeister hätte die Dame von der Bühne gebrüllt.

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Obwohl der Deutsche Fernsehpreis aus exakt diesem vorangestellten Grund nicht mehr auf grosser Bühne und nicht mehr mit viel Sendezeit verliehen wird, konnte der geneigte Gebührenzahler selbst in der auf 45 Minuten zusammengeschnittenen Sparausgabe der diesjährigen Trophäenvergabe am Abend des 2. Februar im ZDF miterleben, dass sich so gut wie nichts geändert hat. Die vorgetexteten Plattitüden der Laudationes und das Gestammel der seltsamerweise überaus überraschten Preisträger wechselten sich weiterhin ab, als hätte man nichts dazugelernt. Und durch die Verstümmelung der Veranstaltung auf ein zuckriges «Leute heute»-Format ist die Aussenwirkung sogar noch fataler geworden: Niveau scheint hier nur noch als Randerscheinung gestattet.

Wie aus der Zeit gefallen

Am schlimmsten: Allzu oft wirken derartige Veranstaltungen – mit Ausnahme ihrer Informationskategorien und einiger weniger hellgeistiger Preisträger mit Rückgrat – wie aus der Zeit gefallen. Während die Welt da draussen in Flammen steht, feiert man in einem goldenen Kokon sich selbst, die Ecken und Kanten sind bereits im Vorhinein auf Verdauungsgrösse zusammenkonferiert worden, das Seating der Prominenz erscheint wichtiger als die Show, und auf dem Weg zum Ort des Geschehens suchen viele Damen die Kameras nur, weil sie gesponserte Mode spazierentragen, die sie nachher zum Sonderpreis behalten dürfen.

Karl Lagerfeld hat dazu 2014 folgende Provokation zu Protokoll gegeben: «Der Red Carpet wird langsam langweilig. Da werden auf Festivals Filme gezeigt über Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen leben, vergewaltigte Dorfmädchen und das alles, und dann posieren die Frauen auf dem roten Teppich in Fishtail-Kleidern wie die Edelnutten.»

Meine Provokation: Was ginge verloren, würde man sämtliche Film- und Fernsehpreise der Welt einschmelzen! Den Bambi! Die Lola! Den Cesar! Sogar den Oscar! Niemand würde etwas vermissen. Aber das allein ist eine Dystopie. Eine Utopie wird daraus, wenn der weltweite Award-Stopp Startschuss wäre für eine ganz andere Art von Siegerehrung.

Mankind Award ersetzt alle Preisverleihungen

Denken wir uns genau dorthin: die letzte Oscar-Verleihung. Sie geht in die Geschichte ein. Nicht weil sie die letzte ist und alle noch lebenden Oscar-Gewinner zu einem Megaselfie zusammenkommen dürfen. Sondern weil Leonardo DiCaprio auf der Bühne des Dolby Theatres in Los Angeles den Staffelstab an die Initiatoren des Mankind Awards weitergibt. Der Mankind Award. Er ersetzt alle anderen Preisverleihungen der beteiligten Nationen und wird Menschen auszeichnen, die sich mit ihrer Hingabe, ihrem Einsatz, ihren Ideen, ihren Erfindungen um die Menschheit verdient gemacht haben oder Hilfe dabei brauchen, ihre visionären Projekte zu realisieren.

Nicht weinen: Die blitzlichtverwöhnte Hautevolee der Welt wird durchaus eine Rolle spielen können. Aber die Stars stehen nicht mehr im Mittelpunkt. Sie dienen maximal als Botschafter, laudatieren denjenigen, die für ihr vorbildliches Engagement Respekt verdienen – und geehrt werden nicht bloss mit Trophäen, sondern mit Preisgeldern in Millionenhöhe. Für die ebenso in Kategorien verliehenen Titel können sich die Nominierten bewerben, oder sie werden vorgeschlagen.

Herz jeder Verleihung ist eine als unschaffbar eingeschätzte Herausforderung, derer sich jedoch ein mutiger Mensch angenommen hat. Man denke da nur an den holländischen Studenten Bojan Slat, der die extreme Vermüllung der Meere nicht mehr einfach hinnehmen wollte und inzwischen mit dem Prototypen eines schwimmenden Plastikfilters erfolgreich ist. Warum sollte einer wie Slat vor einem weltweiten Milliardenpublikum nicht den Hauptpreis aus den Händen von Leonardo DiCaprio entgegennehmen?

Was hätte mehr Effekt?

Kommen wir zurück ins Zeitalter des Ähs und Öhs, auf die Bühne des Deutschen Fernsehpreises. Und fragen wir uns: Ist das alles ein Unsinn oder doch denkbar? Welche Variante würde ein Publikum wohl eher erreichen? Was hätte mehr Effekt? Eine Werbeveranstaltung bliebe eine Show wie der Mankind Award, aber eben eine für Nächstenliebe, Menschlichkeit, Empathie, Friedfertigkeit, Versöhnung, Zuversicht und – nicht zu vergessen – für Kreativität und Innovation.

Einer, der den Sinn von derartigen Events als Innovationsbeschleuniger bereits erprobt hat, ist Peter Diamandis. Seit 1995 lobt der Amerikaner jährlich den X Prize aus, einen Technologie-Award, um die vielen klugen Köpfe auf diesem Planeten dazu zu animieren, nicht allzu träge zu werden. «Die Menschen sind genetisch so veranlagt, dass sie konkurrieren – um einen Partner, im Sport, bei der Arbeit», erklärt der Ingenieur. «Wettbewerbe mit einem Anreiz zwingen die Menschen, unter vorgegebenen Rahmenbedingungen ein klares Ziel zu verfolgen. In Wettbewerben, in denen der Sieger alles abräumt, gehen Menschen grössere Risiken ein. Sind genug Konkurrenten dabei, vollbringen die Erfolgreichen gezwungenermassen etwas Neues.»

Die ganz grossen Probleme lösen

Peter Diamandis machte in den vergangenen Jahren selbst mit utopischen Plänen von sich reden, indem er seine Pläne offenbarte, ins All aufbrechen zu wollen, um dort Rohstoffe abzubauen. Er versichert, dass er mit dem X Prize philantropische Absichten verfolge. Den Award verleiht er in verschiedenen Disziplinen, dem Sieger winken Millionensummen.

«Es geht nicht darum, eine Welt des Überflusses zu erschaffen», sagt er. «Es geht nicht um Durchbrüche, die ein Luxusleben ermöglichen, sondern um solche, die sieben Milliarden Menschen ein Leben voller Chancen eröffnen. Die ihre Grundbedürfnisse nach Trinkwasser, Nahrung, Energie und Gesundheit befriedigen. Es geht darum, die ganz grossen Probleme zu lösen. Probleme, die Milliarden Menschen betreffen und innerhalb von zehn Jahren gelöst werden könnten, wenn sich einige Menschen auf sie konzentrieren würden.»

Für seinen X Prize hatte Peter Diamandis übrigens eine historische Inspirationsquelle. Vorlage war der mit 25'000 Dollar dotierte Orteig-Preis, der 1919 vom New Yorker Hotelbesitzer Raymond Orteig ausgelobt wurde. Das Geld sollte derjenige bekommen, der es als erstes schaffte, ohne Zwischenlandung 5800 Kilometer von New York nach Paris (bzw. von Paris nach New York) zu fliegen. Bekannterweise gelang das Charles Lindbergh acht Jahre später in 33,5 Stunden mit seiner neunzylindrigen und 223 PS starken Propellermaschine «Spirit of St. Louis». Er war einer von neun Wettbewerbern, die von dem Preisgeld gelockt worden waren.

Es gibt nichts zu verlieren

Wieso sollten sich die Protagonisten der Entertainmentbranche, die ja von Berufs wegen die Gnade haben, ein Riesenpublikum zu erreichen, nicht zu solch einem disruptiven Kurswechsel entschliessen können? Es gibt doch nichts zu verlieren. Da draussen, ausserhalb des Glamours, jedoch sehr viel. Und es sässen plötzlich auch diejenigen wieder mit im Boot, die die bisherigen Onanieveranstaltungen gemieden haben, weil sie sich für die eigene Branche und deren Oberflächlichkeiten so schämten.

Am 4. März wird in Hamburg die Goldene Kamera verliehen. Sie ist aus vergoldetem Sterlingsilber. Das könnte man wunderbar einschmelzen.

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