Egal, wie der Kampf um Athen ausgeht, ob die Griechen in der Euro-Zone bleiben oder ihren Austritt erklären, wir sollten den Nachkommen der Hellenen jetzt schon dankbar sein.

Mit ihrem Eigensinn, ihrer Sturheit und Querköpfigkeit haben sie sich selbst möglicherweise keinen Gefallen getan, dafür aber haben sie den Zaungästen am Rande der Arena brutal und radikal klargemacht, was die Europäische Union ihrem Wesen nach ist: keine Wertegemeinschaft, wie von ihren Anhängern immer behauptet wird, sondern ein ideologisches Konstrukt, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, den Selbsterhalt zu sichern, ein Kartenhaus ohne Ausgang, ein Neuschwanstein der Lüfte, dazu geschaffen, den Bauherren zu huldigen und pompöse Feste zu feiern.

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So haben wir, quasi nebenbei, erfahren, dass ein Land, das den Euro angenommen hat, aus der Euro-Zone gar nicht austreten kann. An diese Möglichkeit haben die Konstrukteure des Euro nicht einmal gedacht, auch nicht daran, dass ein solcher Knebelvertrag schlicht sittenwidrig ist.

Jede Heizdecke, die bei einer Kaffeefahrt gekauft wurde, kann zurückgegeben werden, in Irland werden katholisch geschlossene Ehen von zivilen Gerichten geschieden, der Vatikan annulliert Ehen, die unter Vortäuschung falscher Tatsachen eingegangen wurden.

Homogenisierungswahn made in EU

Nur der Vertrag von Maastricht mit dem der Übergang von der EG zur EU und die Einführung einer Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen wurden, soll bis ans Ende aller Tage gelten, wie die Zehn Gebote oder das Kleingedruckte bei der Telekom?

Der EU liegt eine absurde Idee zugrunde: dass man über eine begrenzte politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus die Lebensverhältnisse in den Mitgliedsstaaten homogenisieren kann.

Etwas, das schon innerhalb eines Landes wie Deutschland extrem schwierig ist, wo es nicht einmal gelingt, die Ferienzeiten in den einzelnen Bundesländern so abzustimmen, dass ein Verkehrschaos vermieden wird, soll innerhalb eines komplexen und vielfältigen Gebildes funktionieren, von Estland bis Portugal, von Finnland bis Griechenland.

Das wichtigste Instrument dieser Homogenisierung ist der Euro, der wirtschaftliche Unterschiede ausgleichen soll – Arbeitslosigkeit in einem Land, Vollbeschäftigung in einem anderen. Positive Handelsbilanz hier, negative gleich nebenan.

Was würde Woody Allen zu dieser Ehe sagen?

Kein Mensch freilich käme je auf die Idee, ein Autorennen zu veranstalten, an dem alle Typen von Rennautos teilnehmen sollten, vom Gokart bis zur Formel-1-Rakete. Das Ergebnis wäre absehbar, nur die Veranstalter würden so ein Rennen als einen «Sieg der Chancengleichheit» bejubeln.

Innerhalb der EU hat diese Art der «Chancengleichheit» dazu geführt, dass es «im Süden Europas eine Situation gibt, die der grossen Depression der Weltwirtschaftskrise ähnelt». Das sagt der Ökonom Max Otte, der im Jahre 2006 die Finanzkrise vorhergesagt hat und dafür ausgelacht wurde.

Das Lachen hielt nicht lange an, 2008 war die Krise da. Und sieben Jahre später ist die EU noch immer damit beschäftigt, die Krise zu managen. Mehr noch, die Krise ist praktisch das Einzige, was die EU und die Euro-Zone zusammenhält.

Wenn die Ehe «der Versuch ist, die Probleme zu zweit zu lösen, die man alleine nicht hätte», wie Woody Allen sagt, dann ist die EU ein Gruppenexperiment, dessen Teilnehmer mit den Problemen fertigwerden müssen, die ihnen erspart geblieben wären, wenn sie sich der Gruppe nicht angeschlossen hätten.

Nichts anderes als eine verschleppte Insolvenz

«Wir werden in eine Rettungsgemeinschaft gepresst», sagt der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, kein Ökonom, aber ein Mann mit gesundem Menschenverstand.

In dieser Situation, die einer verschleppten Insolvenz gleichkommt, kommt die Kanzlerin daher und sagt: «Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.» Einige Zeitgenossen runzeln ob dieser Plattitüde die Stirn, die meisten aber nicken zustimmend. Klingt gut.

Man muss nur etwas richtig wollen, dann geht es auch. «Die Welt als Wille und Vorstellung.» Schopenhauer grüsst aus der Gruft. Die Kanzlerin habe «die Sache an sich gezogen», schreiben die Kommentatoren ohne jeden Anflug von Ironie.

Griechenland hatte schon einmal einen deutschen Regenten, Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach, der das Land von 1835 bis 1862 regierte. König Otto I. wurde immerhin von der griechischen Nationalversammlung zum Staatsoberhaupt gewählt, er residierte in Athen. Angela I. reicht die Fernbedienung.

Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Fragt sich nur, wohin

An allen Instanzen und Institutionen vorbei hat sie beschlossen, Griechenland zu retten, so als gäbe es keine Abkommen, die den Umgang der Staaten untereinander regeln.

Wozu haben wir die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank, den Internationalen Währungsfonds, wozu wählen wir ein Europaparlament, wenn am Ende des Tages die Kanzlerin bestimmt, wo es langgeht?

In dem Satz «Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg» steckt ein autoritäres Potenzial, eigentlich schon eine totalitäre Gebrauchsanweisung. Dass der Wille das Einzige ist, worauf es ankommt, davon war auch die deutsche Generalität überzeugt, als sie Ende 1942 allen Verlusten zum Trotz den aussichtslosen Kampf um Stalingrad fortsetzte.

Ebenso die Führung der DDR, die noch im November 1989 nicht wahrhaben wollte, dass sie abgewirtschaftet hatte. Nein, wo ein Wille ist, da ist nicht immer auch ein Weg, es sei denn, er wird mit diktatorischer Härte durchgesetzt.

Viel Pathos, viel Hysterie

Wie mit frei gewählten Abgeordneten umgangen wird, die sich dem Machtwort der Kanzlerin widersetzen, das haben soeben drei Mitglieder der CDU-Fraktion anschaulich beschrieben. Sie hatten es gewagt, gegen die Rettungspakete zu stimmen, und wurden daraufhin kaltgestellt.

Es wurde sogar versucht, «die Geschäftsordnung (zu) ändern, damit im Bundestag keine Abweichler ... mehr zum Euro-Thema sprechen können», erinnert sich der Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, der sich solche Offenheit nur leisten kann, weil er in seinem Wahlkreis mit über 50 Prozent der Stimmen direkt gewählt wurde.

Es geht derzeit nicht darum, Griechenland zu retten. «Es geht», sagt Claudia Roth, «um das Projekt Europa, unsere europäische Idee», ein höheres virtuelles Gut. Ausserdem wäre ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone «ein unkalkulierbares Risiko für die Weltwirtschaft». Mit weniger mag sich die grüne Vizepräsidentin des Bundestages nicht zufrieden geben.

Von einem «unkalkulierbaren» Faktor spricht auch der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, meint aber etwas anderes. Im griechischen Parlament sitze eine Neonazi-Partei, «echte Nazis, richtige Freunde des Führers», die könnten Unruhen anzetteln. Er glaube auch, «dass Griechenland, wenn es nicht mehr im europäischen Verbund wäre, zu einem unkalkulierbaren Partner würde», es könnte sich China oder Russland an den Hals werfen.

Wir sitzen im falschen Zug

Ja, Hysterie gehört zum Handwerk. Wenn der Euro scheitert, scheitert nicht nur Europa, dann wird auch die Akropolis nach Sibirien oder in die Provinz Shandong verlegt. Deswegen muss «das Projekt Europa, unsere europäische Idee» gerettet werden, wie ein Schiff, das in Seenot geraten ist.

Aber es ist nicht Europa, das kieloben treibt, sondern die EU, eine bürokratische Vision von Europa, die den Praxistest nicht bestanden hat. Dafür lebt in ihr der Geist der DDR weiter: «Vorwärts immer, rückwärts nimmer!»

Ein alter Jude sitzt in einem Zug, sagen wir von Limanowa nach Dabrowa in Galizien. Keine lange Strecke, aber es ist ein langsamer Personenzug, der an jeder Station hält. Und jedes Mal bricht der alte Jude in lautes Wehklagen aus. «Allmächtiger, ich bin verloren, was soll ich nur machen ...»

Schliesslich erbarmt sich einer der Mitreisenden. «Was haben Sie denn, kann ich Ihnen helfen?» «Mir kann niemand helfen», sagt der alte Jude mit Tränen in den Augen, «ich sitze im falschen Zug, und mit jedem Halt wird die Rückreise länger.»

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