Der Berg Golgatha, drei Kreuze, an dem mittleren hängt Jesus von Nazareth. Man sieht aber nur seine Füsse, im Zentrum des Bildes steht ein Mann mit einer Kladde, der sich mit dem Gekreuzigten unterhält. Welchen Tageslohn er bekomme, will er wissen, den für einen Statisten oder den für eine Sprechrolle? Für eine Sprechrolle, sagt der Mann am Kreuz, denn da verdient er mehr.
George Clooney muss Josh Brolin den Vortritt lassen
Wir befinden uns im Jahr 1951, in den Capitol Studios zu Hollywood. Wir befinden uns auf dem Set eines neuen Bibelschinkens. Und wir befinden uns im neuen Film der Gebrüder Coen, «Hail Caesar!», der am Mittwoch die Berlinale eröffnete und – so geht heute Marketing – am nächsten Donnerstag gleich in den Kinos antritt.
Mehr als die Füsse werden wir von Jesus nicht zu sehen bekommen. Die eigentliche Hauptrolle, wie in den meisten Bibelepen, gehört anderen. In diesem Fall einem römischen Legionär, der vom Heiden zum Gläubigen wird. Er sieht wie Clooney aus in seinem Schuppenpanzer. Es ist auch Clooney. Aber auch der spielt nicht die Hauptrolle in «Hail Caesar!». Die gebührt dem wunderbaren Josh Brolin, der schon George Bush in «W.» gegeben hat und den Vietnamveteranen in «No Country for Old Men». Hier kehrt er zu den Coens zurück und verkörpert – man kann es nicht anders sagen – Gottes Sohn.
Allerlei Katastrophen am Set
Womit wir bei der Hackordnung in der guten, alten Hollywoodzeit wären. Gottvater, das war der Studiobesitzer, der Geldsack. Der sass aber meist nicht an der West-, sondern an der Ostküste in New York, 4000 Kilometer entfernt. Das, was wir als «Studiochef» kennen, war sein Stellvertreter vor Ort. Nun haben wir schon viele Hollywoodmoguln auf der Leinwand gesehen, und die waren immer mit Machtspielchen beschäftigt und bestellten zwischendurch Starlets auf die Besetzungscouch.
Eddie Mannix, den Brolin spielt, hat dafür gar keine Zeit. Ständig ist er damit beschäftigt, kleinere und grössere Katastrophen auszubügeln. Sein Wassernixenstar (Scarlett Johansson), die schwanger ist, aber keinen Mann hat. Die Klatschkolumnistin (Tilda Swinton), die einen seiner Schützlinge mit einer schwulen Affäre zu erpressen versucht. Sein grösster Star (George Clooney), der mitten im Jesus-Dreh verschwindet und an keinem seiner üblichen Absturzplätze zu finden ist.
Fixer wird zur Sorgentante
Für solche Krisen hatten die Studios früher eigene Leute, Fixer genannt. Der berühmteste Fixer für MGM hiess – Eddie Mannix. Die Coens haben ihm ein Denkmal gesetzt, für das er sich bedanken kann. Denn erstens war er offenbar keine so angenehme Figur, wie Brolin sie spielt, und ausserdem haben die Coens den Fixer (üblicherweise mies beleumundet) und den Boss (der maximales Prestige genoss) in einem Charakter vereint.
Und je länger der Film dauert, desto mehr wird der Machtmensch zum Beladenen, bei dem alle ihren Problemmüll hinterlassen. Der irdische Gott, Sohn des himmlischen, soll es richten.
Vergnügliches zum Festivalstart
«Hail Caesar!» hat viel von einem idealen Berlinale-Eröffnungsfilm: ein halbes Dutzend Stars, die über den roten Teppich stiefeln (ausser den Genannten noch Ralph Fiennes, Frances McDormand und Channing Tatum), Film-im-Film-Anspielungen, welche die Kritiker zufriedenstellen, und ein vergnügliches Geschehen, das einen beschwingt in die langen zehn Festivaltage schickt.
In Berlin weiss man sonst recht gut, was einen erwartet – viel sozial Relevantes, kaum Filmkünstlerisches –, aber diesmal könnte es anders sein. Der Wettbewerb steckt voller un- oder wenig beschriebener Blätter, fast scheint es, als würde Festivaldirektor Dieter Kosslick (es ist seine viertletzte Berlinale) mutiger, denn dass er die Stars auf den Teppich bekommt, hat er zur Genüge bewiesen.
Zeitenwenden heute und damals
Vielleicht liegt es auch daran, dass sich die Medien und damit das Kino und damit die Festivals im grossen Umbruch befinden. Es ist noch nicht lange her, da bestand die einzige Konkurrenz für Festivals um neue Filme – in anderen Festivals. Heute balgen sie sich mit den Kinos, dem Fernsehen und den Streaming-Diensten. Und immer noch mit den anderen Festivals.
Es ist eine Zeitenwende, die man auch in «Hail Caesar!» beobachten kann, am Rande. Zu Beginn der Fünfzigerjahre waren die Studios noch die Herrscher der Filmwelt, aber der Boden unter ihren Füssen begann zu bröckeln. Das Fernsehen stahl Zuschauer, und Eddie Mannix wird von einem Headhunter des Flugzeugbauers Lockheed bedrängt, diese dem Untergang geweihte Branche zu verlassen und lieber solide Bombenflugzeuge zu bauen. Ein heutiger Abwerbeversuch müsste nur Lockheed durch Amazon ersetzen.
Wunderort der Menschheitsgeschichte
Man sollte die Analogien aber nicht zu weit treiben, der Film trägt es nicht. Es fällt zwar leicht, reale Namen hinter den Filmfiguren zu finden – Brolin ist eine Mischung zwischen Louis B. Mayer und Eddie Mannix, Clooney steht für Clark Gable, Johansson ist ein Amalgam aus Loretta Lynn und Esther Williams –, aber das sind heute bloss noch Fun Facts. Auch das «System Hollywood» muss nicht mehr demaskiert und der Begriff «Star» nicht mehr dekonstruiert werden, und so dürfen Joel und Ethan Coen ganz entspannt mit den Bausteinen der Filmgeschichte spielen, was es ihnen ermöglicht, kurz nach Jesu Kreuzigung auch ein sowjetisches U-Boot auftauchen zu lassen.
Und so machen sie aus dem Studiochef einen gestressten Manager, der vielleicht den schönsten aller Arbeitsplätze hat, inmitten einer Fabrik der Träume. Weil sie den ganzen Hollywooddiskurs als erledigt abgebucht haben – obwohl er, siehe Minderheitendebatte bei den Oscars, zuweilen neu aufflammt –, können sie mit leiser Wehmut in dieser Welt der falschen Kulissen und gefälschten Bilder schwelgen. Sie machen sich freundlich darüber lustig, aber tief in ihren Bildern liegt eine Hochachtung vor diesem Wunderort der Menschheitsgeschichte, der Hollywood einmal war. Es mag alles Lug und Trug gewesen sein, aber die Magie war wunderbar – und wirkt heute noch.
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Einen Vorgeschmack auf den neuesten Film der Coen-Brüder bietet der Trailer: