Während der Schweizer Detailhandel seit Jahren im Krebsgang ist, erobern ausländische Onlineanbieter ein immer grösseres Stück davon. Dies verstärkt den Druck auf die traditionellen Läden, die im Internethandel auf keinen grünen Zweig kommen.
In den vergangenen fünf Jahren hätten sich die Ausgaben von Schweizer Kunden bei ausländischen Onlineanbietern verdreifacht, sagte Professor Ralf Wölfle von der Fachhochschule Nordwestschweiz, der den «E-Commerce Report 2018» verfasst hat, am Dienstag an Rande einer Präsentation im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Dagegen seien die Umsätze der einheimischen Versand- und Onlinehändler lediglich um die Hälfte gestiegen.
Traditioneller Detailhandel schrumpft
Insgesamt haben Schweizer im vergangenen Jahr Onlinebestellungen im Volumen von 8,85 Milliarden Franken getätigt, wie aus Schätzungen des Verbandes des Schweizerischen Versandhandels (VSV) und des Marktforschungsinstituts GfK Switzerland hervorgeht. Das sind 10 Prozent mehr als im Vorjahr.
Demgegenüber ist der gesamte Schweizer Detailhandel im vergangenen Jahr erneut geschrumpft und dürfte nach GfK-Schätzungen noch knapp 92 Milliarden Franken ausmachen. Damit halte der Rückwärtsgang seit 2010 an, heisst es im E-Commerce-Report 2018.
Ein Viertel für Ausländer
Von diesen 8,85 Milliarden Franken, welche Schweizer Kunden für Waren im Internet ausgeben, entfielen mittlerweile 21 Prozent auf ausländische Anbieter. «Die Entwicklung zeigt, dass ausländische Anbieter stark überproportional am E-Commerce-Boom in der Schweiz profitieren und substantiell Marktanteile gewinnen.» Die Einkäufe bei Internethändlern aus anderen Ländern hätten um gut 19 Prozent auf 1,85 Milliarden Franken zugenommen.
Dies dürfte auch im laufenden Jahr so weitergehen: Der E-Commerce werde voraussichtlich wieder 8 bis 10 Prozent wachsen bei einem stagnierendem Gesamt-Detailhandel. Und es profitieren nicht alle: Während die Nummer Eins im hiesigen Onlinehandel, Digitec Galaxus, weiter kräftig wächst, haben Coop und die Swisscom bei ihrer Handelsplattform Siroop den Stecker gezogen.
Das Fatale sei, dass die ausländischen Anbieter in diesem Jahr bereits bis zu einem Viertel des Onlinemarktes abdecken würden nach einem Fünftel im vergangenen Jahr, sagte Wölfle: «Das ist schlecht für den Schweizer Handel, weil er an Kaufkraft verliert.»
Online auf keinen grünen Zweig
Die traditionellen Detailhändler kämen indes online auf keinen grünen Zweig. Bestand früher der erste Schritt eines Kaufs in der Entscheidung für einen Händler, bei dem man das Produkt suchte, ist es heute umgekehrt: Zuerst gingen die Interessenten ins Internet, um das Produkt zu suchen, und entschieden sich erst dann für den Händler. Auf dieses veränderte Verhalten der Kunden hätten sich die traditionellen Detailhändler nicht eingestellt, befand der E-Commerce-Report.
«Traditionelle Anbieter erwarten, dass die Kunden gleich im ersten Schritt auf ihre Webseite kommen», hiess es. Das sei aber immer weniger der Fall. «Faktisch erwarten die Händler weiterhin, dass ein Kunde zu ihnen ins Geschäft kommt und etwas vom dort Ausgestellten kauft», heisst es im Report. Derzeit kämpfe jeder Detailhändler online für sich alleine.
Die Alternative wäre, dass eine Interessensgemeinschaft des Schweizer Detailhandels für den Aufbau einer gemeinsamen Plattform zusammenkäme. Dies habe beispielsweise der deutsche Buchhandel mit Allianz für das E-Book Tolino gemacht, um sich gegen den Kindle von Amazon zu behaupten.
Zu langsam
Der Schweizer Detailhandel sei aber zu langsam, nutze den Vorteil der Nähe zum Kunden zu wenig und stecke in den bisherigen Strukturen fest, bilanzierte Wölfle. So würden die Schweizer nichts unternehmen, um das mühsame Retourschicken von online bestellter Ware, die einem nicht gefällt, zu erleichtern.
Wohin die Reise geht, zeigt der Modeanbieter Zalando in Deutschland. Dort könnten Teilnehmer beim Kundenbindungsprogramm Zalando Plus ihre Retouren kostenlos abholen lassen. «Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis es ein solches Angebot auch in der Schweiz geben wird.» Bis der Schweizer Detailhandel das merke, dürfte es noch viele Jahre dauern, sagte Wölfle: «Bis dahin haben sich Schweizer Kunden an diesen Service gewöhnt.»
Aber nicht nur Zalando macht der hiesigen Branche zu schaffen. Als Damokles-Schwert gilt im Detailhandel Amazon. Der US-Riese bedient die Schweiz bisher nur nebenbei, ohne spezifische Angebote für das Nicht-EU-Land. Zudem drängen die chinesischen Anbieter mit ihren Billigprodukten auf den Schweizer Markt, die derzeit noch von Posttarif-Subventionen und der Steuerbefreiung für Kleinstsendungen profitieren.
(sda/mbü)