Roger Reist, welche generellen Bedürfnisse tragen KMU an Ihre Bank heran?
Das erste Bedürfnis in einer Bankbeziehung ist immer Solidität, Sicherheit und Zuverlässigkeit. Das sind die Grundbedürfnisse. Von der Produktseite her wollen KMU die relevanten Abdeckungen haben, das ist in der Regel nicht sehr komplex: Sie haben beispielsweise kein weltweites Cash-Pooling, bei dem sie sehr grosse Limiten brauchen. Aber KMU wollen eine gute Produktabdeckung haben und effiziente Prozesse, zum Beispiel ein effizientes E-Banking.
Eine Metzgerei oder ein kleiner Handwerksbetrieb haben andere Bedürfnisse als Maschinenhersteller, die ins Ausland exportieren …
Ja, da muss man differenzieren. Der Begriff «kleine und mittlere Unternehmen», kurz KMU, umfasst ein breites Spektrum an unterschiedlichsten Firmen. Dies reicht von einem selbstständig Erwerbenden, der vielleicht noch einen Angestellten hat, bis zu einer grösseren Firma, die hundert Mitarbeitende beschäftigt.
Wie kann eine Bank so unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen?
Sie brauchen als Bank eine gewisse Grösse, damit sie überhaupt Investitionen tätigen können, um eine kompetitive Produktpalette anbieten zu können. Da haben wir bei der Raiffeisen einen grossen Vorteil. Wir haben 219 Raiffeisenbanken, die im Grunde genommen selbst KMU sind und damit auch ihre Freiheiten haben, beispielsweise bei der Kreditvergabe.
Was heisst das?
Wenn Sie drei Raiffeisenbanken anfragen, ist es gut möglich, dass Sie drei unterschiedliche Offerten für Ihren Kredit erhalten. Das zeigt: Unsere Raiffeisen-Genossenschaften sind unternehmerisch unterwegs. Gewisse Sachen geben wir von der Raiffeisen Schweiz vor, wie zum Beispiel die Produktpalette – bei der jeweiligen Ausgestaltung geniessen die Raiffeisenbanken aber Freiheiten. Dieses Setup hilft uns, die lokale Verankerung zu pflegen.
Roger Reist ist Leiter Departement Firmenkunden, Treasury & Markets bei der Raiffeisen Schweiz.
Einerseits kennen wir die Kundinnen und Kunden vor Ort. Anderseits haben wir eine Produktpalette, die nicht einer kleinen Bank, sondern einer grossen Bank entspricht. Das hilft sicherlich, die unterschiedlichen Bedürfnisse der KMU abzudecken. Wenn Sie KMU oder auch Grossunternehmen mit komplexeren Ansprüchen haben, die beispielsweise Exportfinanzierungen oder Anleihen am Kapitalmarkt emittieren und schwierigeren Zahlungsverkehr abwickeln wollen, ist das ein Vorteil. Denn die Raiffeisen kann das alles aus einer Hand anbieten.
Grösseren KMU, gerade exportorientierten Firmen, fehlt nach dem CS-Aus eine zweite Grossbank. Springt die Raiffeisen als zweitgrösste Bankengruppe nun in diese Bresche?
Zuerst muss man sagen: Der Wettbewerb funktioniert gut im Firmenkundengeschäft in der Schweiz. Neben uns gibt es die Kantonalbanken, die Regionalbanken und die UBS. Für die grossen Firmenkunden, die Multinationals, haben sie die BNP, die Société Générale, die Deutsche Bank et cetera.
Dennoch fällt eine Grossbank weg …
Ja. Wir haben KMU und auch grosse Unternehmen, die wir früher als Kundinnen und Kunden gewinnen wollten, die jetzt proaktiv auf uns zukommen. Sie sagten uns damals, sie hätten bereits zwei Bankbeziehungen. Jetzt wird die CS in die UBS integriert und fällt aus diesem Grund weg. Die Unternehmen wollen oftmals eine zweite Bankbeziehung, jemanden, der die CS ersetzt. Wir spüren durchaus vermehrtes Interesse, ob es jetzt um FX-Lösungen, Leasing-Lösungen oder Kapitalmarktdienstleistungen geht. Und ja: Wir können sehr viele Dinge, die eine CS angeboten hat, unserer Kundschaft ebenfalls bieten.
Dieser Artikel ist Teil der Market Opinion «Von KI über Data bis Mobile – diese Veränderungen stehen im Digital Banking an», die in Zusammenarbeit mit ti&m realisiert wurde.
Können Sie die Anzahl Neukunden beziffern?
Insgesamt haben wir 221’000 Firmenkunden, die das gesamte Spektrum vom kleinsten bis zum grössten Unternehmen umfassen. Im Jahr 2023 haben wir sicher über 200 mittelgrosse und grosse Firmen akquiriert, die einen CS-Bezug hatten.
Was bedeutet das für Ihre Abteilung? Da kommt horrende Mehrarbeit auf Ihre Abteilung und die Raiffeisen-Genossenschaften in der ganzen Schweiz zu. Haben Sie Leute eingestellt?
Insgesamt haben wir in der Raiffeisen Gruppe im Jahr 2023 etwa fünfzig Firmenkundenberaterinnen und -berater neu eingestellt. Das Firmenkundengeschäft, das ich verantworte, ist für die mittelgrossen und grossen Unternehmen zuständig. Dort haben wir fünf Firmenkundenberater zusätzlich eingestellt – und wir sind noch am Rekrutieren.
Fällt Ihnen das Rekrutieren im jetzigen Umfeld leichter?
Es fällt uns leichter als auch schon. Wir konnten den einen oder die andere von der CS einstellen. Aber es ist bei weitem nicht so, dass die Hälfte der Leute von der CS kommt, sondern sie kommen von verschiedenen Banken.
Lange hat man kleine KMU wie Handwerksbetriebe übers Retail-Banking und Private Banking laufen lassen – und nicht explizit als KMU abgeholt. Offenbar, weil es für Banken zu wenig einträglich war, extra für diese Klientel explizit ein Extraangebot einzurichten. Sehen Sie das auch so?
Ich kann nicht für unsere Mitbewerber sprechen. Aber die Raiffeisen hat ein Firmenkundenteam, das wirklich nur für Unternehmer gedacht ist. Dennoch kann es vorkommen, dass man nach wie vor KMU in einem Mischportfolio mit Privatkunden betreut. Es kommt darauf an, welche Bedürfnisse eine Kundin oder ein Kunde hat. Nicht jeder Firmenkunde muss von einem dezidierten Firmenkundenberater betreut werden. Das würde sich auch nicht lohnen.
Wie sieht es mit den digitalen Angeboten für KMU aus?
Wir haben hier bei der Raiffeisen in den letzten Jahren deutlich investiert. Seit wenigen Jahren bieten wir die «KMU E-Services» an, eine Banking-Plattform, die verschiedene Module umfasst, die KMU gemäss ihren Bedürfnissen zusammenstellen können. Es umfasst den Zahlungsverkehr, Cash-Pooling und Multibanking. Wenn Sie mehrere Bankbeziehungen haben, können Sie diese dort zudem aggregieren. Da haben wir eine sehr gute Nachfrage.
Ist die Plattform KMU E-Services mit dem Treuhänder und der Buchhalterin der KMU gekoppelt?
Nein, diesen Zugriff müsste die Firma dem Treuhänder selbst ermöglichen.
Aber es wäre theoretisch möglich, dass man dann auch die ganzen Steuerangelegenheiten bei Ihnen erledigt?
Nicht auf KMU E-Services. Wir haben aber ein automatisiertes Tool für Jahresrechnungen und so weiter, die dann schneller bei uns geprüft werden können.
Wer stellt die Software bereit?
Das ist eine Eigenlösung. Aufgrund unserer Grösse lohnt sich das bei einer Kundenbasis von 3,69 Millionen Privatkunden und Privatkundinnen sowie über 221’000 Firmenkunden. Eigene Lösungen decken die Bedürfnisse unserer Kundschaft optimal ab. Und der Erfolg gibt uns recht: Wir haben allein im vergangenen Jahr 4500 neue Firmenkunden und davon 237 grosse Unternehmen dazugewonnen.
Worauf fokussiert die Raiffeisen bei KMU?
KMU sind unsere Kernkundschaft. Wir haben nach wie vor 784 Standorte in der Schweiz. Viele der KMU haben das Bedürfnis für einen physischen Ansprechpartner. Sie wollen nicht in ein anonymes Callcenter ins Ausland anrufen, wenn sie ein Problem haben oder wenn sie eine Beratung brauchen. Sie wollen jemandem, den sie kennen – und nicht alle sechs Monate einen neuen Ansprechpartner bei ihrer Bank haben. Das ist wichtig, und davon werden wir bei der Raiffeisen auch nicht abrücken.
Was passiert auf der technischen Seite? Daniel Ott, Head Banking Strategy & Senior Advisor und als Head Product Management des Bankensoftware-Entwicklers ti&m in Zürich skizziert Möglichkeiten und die technischen Entwicklungen rund um Banking für KMU und besonders für ganz kleine Betriebe. Zum Interview geht es hier.
Die Digitalisierung macht neue Angebote möglich. Was macht die Raiffeisen hier?
Unsere Strategie ist klar: Wir fahren zweigleisig. Das digitale Angebot wird ausgebaut, die physische Präsenz vor Ort bleibt bestehen, damit es eine hybride Beratung gibt. Auf der Produktseite haben wir KMU E-Services. Aktuell sind wir dran, das E-Banking für alle Kundinnen und Kunden zu modernisieren, wozu bereits eine Pilotphase läuft. Aktuell beteiligen sich etwa 10’000 Leute an diesem Pilot – Mitarbeitende, aber auch Kundinnen und Kunden. Die Neuerung steht dann auch kleineren Firmenkunden zur Verfügung.
Was sind die Herausforderungen in Ihrem Geschäft in den kommenden zwei Jahren?
Die grösste Herausforderung ist sicher das wirtschaftliche Umfeld. Die CS verschwindet, und die UBS will sich vielleicht bewusst von gewissen Kunden trennen, um Risiken zu vermeiden. Ausserdem können KMU von sich aus eine andere Bank suchen, falls sie ihr Geschäft auf mehrere Bankbeziehungen stützen wollen. Es ist ein anspruchsvolles Umfeld, und dementsprechend müssen wir vorsichtig sein, damit wir bei der Raiffeisen keine schlechten Risiken übernehmen. Auf der Produktseite werden wir ein grösseres Angebot bereitstellen und ein neues E-Banking einführen sowie KMU E-Services und unser Firmenkundengeschäft weiter ausbauen.