Felix Graber, Sie waren CEO ad interim bei diversen Regionalbanken. Wie sind Sie dazu gekommen?

Vor knapp dreissig Jahren bin ich als Berater bei Regionalbanken eingestiegen, nachdem ich vorher als Banker in- und ausländische Banken kennengelernt und Betriebsökonomie studiert hatte.

Das war nach der Immobilien- respektive Bankenkrise?

Es gab eine Regionalbankenberatung als Folge der 90er-Jahre-Krise, in der es den Regionalbanken nicht so gut ging. Ich bin in dieses Beratungsbusiness eingestiegen und habe dort vor allem als Qualitätsmanager die ersten Schweizer Regionalbanken zur damals anstehenden ISO-9001-Zertifizierung geführt. Vor dreissig Jahren war das der Pioniergeist. Es gab ein halbes Dutzend Banken, die das gemacht haben. Und ich konnte mir hier offenbar einen Namen machen. 

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Und dann?

Irgendwann im Jahr 2004 kam aus heiterem Himmel ein Anruf. Ich war in den Ferien. Es hiess: «Wir haben ein Führungsproblem.» Ein abrupter Führungswechsel bei einer kleinen Sparkasse stand an. Man brauchte jemanden, der die Bank während ein paar Monaten führen sollte.

Sie haben zugesagt?

Ein Verwaltungsratsmitglied, das mich bei anderen Projekten kennengelernt hatte, meinte, ich sei der Geeignete. Ich sagte, ich hätte noch nie eine Bank geführt. Doch der Verwaltungsrat meinte, dass das überschaubar sei und der bisherige Leistungsausweis für mich spreche. Es gehe darum, das Team zu stabilisieren. Klar, ich kannte das System und das Umfeld. So rutschte ich rein. Es folgten – zu meiner positiven Überraschung – bisher fünf Banken, die den «Feuerwehrmann Graber» engagierten.

Was war das Erste, das Sie als CEO ad interim jeweils gemacht haben?

Das Erste ist, hinzustehen und zu sagen: «Ich bin kein Manager, der aus dieser Bank etwas anderes machen will, als sie es bereits ist. Sondern ich bin im Auftrag des Verwaltungsrates hier, um für Ruhe und Stabilität zu sorgen. Und ich höre euch zu. Und gemeinsam suchen wir den Erfolg.»

Zur Person Felix Graber

Felix Graber ist Betriebsökonom und Inhaber der Qualityconsult AG in Luzern. In der Regionalbankenszene hat er sich einen Namen als CEO auf Zeit und Troubleshooter in Führungskrisen auf der operativen Ebene gemacht.

Felix Graber war CEO a. i. der Sparkasse Engelberg (2004), CEO a. i. der Bank Sparhafen Zürich AG (2011), CEO a. i. der Spar+Leihkasse Riggisberg AG (2013/2014), CEO a. i. der Clientis Sparkasse Sense (2015), Geschäftsführer des Spirit-Bankennetzwerks (16 Regionalbanken, 2015/2016), CEO a. i. der Esprit Netzwerk AG (IT-Netzwerk für 26 Banken, 2019/2020) und CEO a. i. der Bank BSU Genossenschaft Uster (2021/2022). 

Läuft der Einstieg als CEO ad interim immer ähnlich ab?

Je nach Grösse der Bank. Wenn Sie fünfzig, sechzig Leute haben, können Sie nicht mit allen in den ersten paar Tagen sprechen. Aber die Schlüsselpersonen holt man sofort ab. Ich muss ja wissen, wo der Schuh drückt. Man hat den Auftrag, die Bank über die nächsten Monate zu stabilisieren und dabei die Strategie nicht aus den Augen zu lassen.

Was sind die Gründe, warum holt man Sie als Troubleshooter?

Die sind sehr unterschiedlich. Bei der Sparkasse Engelberg, meinem ersten Mandat, hatte ein Bankverwalter die Bank vierzig Jahre lang geführt. Die beiden jungen Nachfolger wurden zwei Jahre lang eingearbeitet. Doch als die Stabübergabe durch war, wollten die beiden die Bank so umbauen, dass sich das Personal nicht mehr damit identifizieren konnte. Der Verwaltungsrat goutierte diese Brecheisenmethode überhaupt nicht und trennte sich sehr schnell von der Führungscrew. Dort bin ich dann eingesprungen.

In einem anderen Fall ging es darum, dass der Direktor seine Ziele nicht mehr erreichte und offenbar unterschiedliche Auffassungen zur Zielerreichung bestanden. Dort zog man eine relativ forcierte Ablösung durch. Ich wurde an die VR-Sitzung mit dem Mandat aufgeboten, den Direktor abzulösen. Dieser erfuhr erst an der VR-Sitzung von seiner Absetzung. 

Absetzungen sind nie schön …

Manchmal aber nötig. Bei der Spar+Leihkasse Riggisberg gab es ebenfalls einen Führungswechsel mit einem jungen, neuen Bankverwalter. Der Verwaltungsrat war in Aufbruchstimmung, auch weil der Neue als dynamischer CEO Wachstum und ein modernes Image versprach. Doch hatte sich diese Bank mit Krediten ausserhalb des Kantons verrannt – bis der VR die Reissleine ziehen musste.

Und bei der Bank BSU in Uster war es ein krankheitsbedingter Ausfall des CEO. Ich sollte eigentlich nur überbrücken, bis er zurückkommt. Doch es kam anders. Schliesslich habe ich seinen Nachfolger eingearbeitet.

Was sind die grössten Herausforderungen, die man als CEO ad interim meistern muss?

Alle Banken, die ich führen durfte, haben eine saubere Strategie. Aber das Umsetzen über die operative Führung kam aus verschiedenen Gründen ins Stocken. Also bestand mein Auftrag darin, an der langfristigen Strategie festzuhalten und das Team auf diese Ziele auszurichten.

Jetzt haben Sie einen breiten Überblick über die Regionalbankenszene bekommen, in verschiedenen Kantonen, in verschiedenen Wirtschaftsräumen. Was ist die Quintessenz, die Sie daraus ziehen?

Alle Banken haben ihre eigene DNA. In ihrer Region haben sie allesamt eine Ausstrahlung als seriöse Finanzdienstleister. Bei den Mitarbeitenden merkt man eigentlich keinen grossen Unterschied: Sie sind professionell, oftmals seit vielen Jahren in der Bank tätig und regional verwurzelt. Differenzen gibt es jedoch aufgrund der Konkurrenzsituation, der Mitbewerber vor Ort.

Wie wirkt sich das aus?

Uster beispielsweise ist völlig overbanked, in dieser Stadt ist quasi jede Bank präsent. In einem solchen Umfeld ist die Marge wesentlich tiefer im Hypothekargeschäft. Anders zeigt sich die Situation etwa in Engelberg oder Riggisberg. Dort sind die jeweiligen Banken Grundversorger in ihren Regionen und Dörfern mit mehr oder weniger grösseren Chancen. Man hat weniger Mitbewerber, und die Kundschaft ist sehr loyal, was sich auch wirtschaftlich positiv auswirkt.

Mit welchen Problemstellungen müssen kleinere Banken umgehen können?

Die Daseinsberechtigung einer Regionalbank ergibt sich primär durch die Kundenbedürfnisse. Die meisten Hauptbankbeziehungen sind heute in den attraktiven Alterssegmenten 45 bis 65 zu finden, und auch diese Gruppe ist grundsätzlich sehr loyal. Die Herausforderung ist, wie man auch in Zukunft an Hauptbankbeziehungen mit der jüngeren Generation kommt, da diese primär den Erstkontakt im digitalen Raum knüpfen und wohl erst ab 30 bis 35 anlässlich eines Eigenheimwunsches – wenn es gut kommt – mal bei einer Bank anklopfen. Der digitale Wandel und die Ansprüche an einen fortschrittlichen Arbeitgeber sind Problemstellungen bei der Personalrekrutierung und Weiterbildung. Es stehen Pensionierungen und Generationenwechsel an, welche rechtzeitig zu planen sind.

Was unterscheidet kleine Banken dennoch voneinander?

Diese Frage stellte ich mir natürlich auch. Der Unterschied liegt im Gestaltungswillen der Organe. Wie dynamisch ist ein Verwaltungsrat? Ist er mehr verwaltend, bewahrend oder dynamisch, wagt er den Aufbruch, und denkt die Geschäftsleitung unternehmerisch? Mut, Innovation versus Tradition. Am Schluss bestimmt das die Führungskultur. Der Unterschied ist faktisch der Gestaltungswillen, den der Verwaltungsrat hat – und ob er zusammen mit der Geschäftsleitung ambitiöse Ziele erreichen will. Es geht aber auch um den «Tone from the top», also darum, welche Führungskultur gelebt wird.

Haben Sie schon Verwaltungsräte angetroffen, bei denen Sie das Gefühl hatten: Diese Person ist der Verantwortung in diesen Gremien nicht gewachsen?

Selbstverständlich trifft man das vereinzelt an. Man kommt in ein Gremium und merkt, dass die Verwaltungsräte dankbar sind, wenn man den Verwaltungsrat unterstützen und coachen kann und spezifisches Fachwissen zuführen kann. Glücklicherweise bilden sich zwischenzeitlich alle Verwaltungsräte regelmässig weiter, und mit Blick auf neue Ansprüche an ein Senior-Manager-Regime wird die Professionalisierung weiter zunehmen müssen.

Schreitet bei den Bank-VR-Mitgliedern die Professionalisierung voran?

Es hat positive Veränderungen gegeben. Die Professionalität hat zugenommen, und das bankspezifische Fachwissen hat zwischenzeitlich mit Zuwahlen und Weiterbildungen in den Gremien ein neues Level erreicht. Wichtig ist dabei: Es kommt überhaupt nicht auf den Beruf an. So sitzen bei Regionalbanken auch Landwirtinnen und Landwirte im Verwaltungsrat. Absolut brillante Leute, mit zwei Bachelor-Abschlüssen, die einen Landwirtschaftsbetrieb führen, sich aber mit hohem Engagement und spezifischen Kenntnissen aktiv einbringen können. Das ist extrem wertvoll. Ich diskutiere deshalb überhaupt nicht über Berufsgattungen. Das Engagement für das Mandat und das Verantwortungsbewusstsein sind entscheidend.  

Eine Akademisierung tut nicht not?

Es gibt zum Teil Themen, bei denen man fachspezifisches Wissen in den Verwaltungsrat integrieren sollte. Mindestens einen Juristen, einen Wirtschaftsprüfer im Gremium zu haben, ist durchaus sinnvoll und auch weit verbreitet. Die Finanzmarktaufsicht Finma macht auch Druck diesbezüglich. Aber eigentlich geht es nicht um Berufsgattungen als solches, sondern um die Art und Weise, wie man in Gremien Probleme löst und ob man im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen trifft und dabei die Verantwortung als oberstes Organ wahrnimmt. Da habe ich bei allen Banken ein gutes Gefühl – und ich kenne fast alle Verwaltungsräte der Regionalbanken.

Als junger Berater war ich noch in Sitzungszimmern, wo Zigarren geraucht wurden und Weisswein auf dem Tisch stand. Heute zieren Früchtekörbe und Laptops das Sitzungszimmer. Es hat sich sehr viel gewandelt. 

Wie haben sich die Banken in den letzten Jahrzehnten verändert?

Wir hatten ja eigentlich eine Konsolidierung in den 1990er-Jahren nach der Immobilienkrise. Vor der Bankenkrise gab es noch über 200 Regionalbanken – und da sind wir relativ schnell auf etwa 80 zurückgekommen.

In den letzten zwanzig Jahren sank die Zahl weiter auf heute 60. Viele Banken sind seinerzeit im Valiant-Konzern aufgegangen. Dieser besteht zwischenzeitlich aus rund 50 ehemaligen Regionalbanken. Sie haben heute 80 Standorte und 1000 Mitarbeitende. Die Valiant hat relativ viel zu dieser Konsolidierung beigetragen, aber auch Acrevis beispielsweise in der Ostschweiz, die heute sechs, sieben Banken unter einem Dach vereint. Zudem sind Zusammenschlüsse nicht die einzige Alternative: Lösungen können auch ohne Aufgabe der Selbstständigkeit gefunden werden, sei es beispielsweise innerhalb der Clientis- oder Esprit-Gruppierungen.

Viele Chefs von Regionalbanken machen wegen der Finanzmarktaufsicht Finma die Faust im Sack. Sie haben Angst, überreguliert zu werden. Was sagen Sie dazu?

Ich verstehe diese Angst. Trotzdem wird keine Regionalbank wegen Regulation verschwinden. Sie werden immer einen Weg finden. Der Regulator, die Finma, hat den Auftrag, für die Stabilität des Finanzplatzes gewisse Pflöcke einzuschlagen.

Doch die Kosten steigen.

Klar, hat das finanzielle Konsequenzen. Man muss das Abwehrdispositiv für Risiken und ein internes Kontrollsystem ausbauen, vermehrt spezifische Revisionen erstellen, die immer intensiver werden. Das ist die Herausforderung, da diese zusätzlichen Ansprüche nebst dem Tages- respektive Kundengeschäft kleine Organisationen belasten.

Die Finma hat aber schon vor Jahren mit dem Kleinbankenregime und der differenzierten Aufsicht versucht, zumindest gewisse Erleichterungen zu schaffen. Und in der Tat sieht man das in der Revisionsintensität, in den Reportingpflichten. Das gibt es Erleichterungen für kleinere Banken, aber die vergisst man zwischenzeitlich gerne wieder, da immer wieder neue Themen am regulatorischen Horizont auftauchen.

Wie stark spielt das CS-Aus hier eine Rolle?

Die letzte Reaktion der Finma nach dem CS-Debakel ist eine logische Reaktion einer Behörde, die selber unter politischer Beobachtung steht. Doch fehlt aus meiner Optik in der Finma zwischenzeitlich etwas Pragmatismus. Im Moment spürt man einen Herbststurm heraufziehen. Auch gegenüber kleineren Banken, obwohl dort die Risikolage sehr überschaubar und das Reputationsrisiko für den Finanzplatz klein ist. 

Also haben Sie durchaus Verständnis für die Sorgenfalten von Regionalbanken-CEOs? 

Ja, ich verstehe die Sorgen. Aber es muss keiner Angst haben, dass er wegen der Regulation zugrunde geht.

Mir scheinen die Finma-Leute momentan etwas weiter weg von der Basis zu sein als auch schon. Sie haben das Gefühl, dass hinter jedem Baum ein Hund begraben liegt, obwohl mit Blick auf die Professionalisierung der Bankorgane, die sehr komfortable Liquiditätssituation und die solide Kapitalisierung der Schweizer Retailbanken kein Grund zu übermässigen Sorgen besteht. Auch nicht bei einer Regionalbank. 

Sie kennen als ehemaliger CEO des Esprit-Netzwerkes auch die Ansprüche kleinerer Banken an einen solchen Dienstleister sehr gut. Welche Forderungen werden an Esprit herangetragen?

Die Bedürfnisse dieser 25 an Esprit angeschlossenen Banken in sehr unterschiedlicher Grösse sind punkto Leistungsfähigkeit und skalierbarer Informatik grundsätzlich sehr ähnlich. Alles muss 7/24 laufen, sicher gegen Angriffe und Pannen sein. Die IT muss über alle möglichen Schnittstellen zu Drittsystemen verfügen. Damit die Banken ihre Mobile-Apps andocken, das E-Banking aufsetzen, ein Schätzungstool anhängen können und und und. Das sind die gemeinsamen Grundbedürfnisse.

Der Unterschied fängt aber bei der auszuwählenden Geschwindigkeit eines Projekts an. Das ist immer der Spagat. Gewisse wollen First Mover sein. Andere sagen, sie seien lieber Late Follower.

Wie bringt man das auf einen Nenner?

Das Netzwerk hat zwischenzeitlich gelernt, wie man mit unterschiedlichsten Geschwindigkeiten umgehen muss. Das ist extrem anspruchsvoll. Darum heisst diese Strategie auch Orchestratorenstrategie.

Esprit gelingt es recht gut, diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden. Es gibt Pflichtprojekte für alle. Da geht es etwa um die Sicherheit der IT. Und dann gibt es Wunschprojekte.

Wir haben zwischenzeitlich verschiedene Streams gemacht – falls eine grössere Bank Geld in die Hand nehmen will, um beispielsweise eine App zu entwickeln, die dreien von 25 dienlich ist. Später können dann andere aufspringen. 

Die Triage, das Machbare vom Wünschbaren zu unterscheiden, stelle ich mir schwierig vor. 

Das ist in der Tat eine grosse Herausforderung, weil es eigentlich überall Alternativen gibt. Ich habe es vorhin angesprochen, die Informatik war früher sehr heterogen. Ganz früher hatte es bei einzelnen Banken noch die IT im Keller. Regionale Informatikverbünde mit vier, fünf Banken in der Umgebung waren da angehängt, obwohl das Konkurrenten auf dem Markt waren.

Und heute?

Obwohl die meisten Regionalbanken das gleiche Kernbankensystem haben, gibt es unterschiedliche Provider und Zulieferanten von Drittsystemen. Und ein grosser gemeinsamer Nenner sind natürlich nach wie vor die Provider-Verträge – vorwiegend Swisscom oder Inventx für Kernbankenapplikationen. Bei Umsystemen oder spezifischen Applikationen gibt es viele Alternativen – gemeinsam ist ihnen jedoch, dass das Preisschild tendenziell immer grösser wird, da die Systeme technologisch erneuert und weiter gehärtet werden müssen.

Sie sind als Bankrat und Vorsitzender des Strategieausschusses bei der Aargauischen Kantonalbank. Risiken im Finanzgeschäft sind ja permanent ein Thema bei jeder Bank. Aber wie erkenne ich ein Risiko? Es sagt ja nicht: «Hallo, ich bin ein Risiko, schau mich bitte an, behalte mich im Blick.»

Genau. Und dazu kommt: Risiken wandeln sich. Hätten sie vor 25 Jahren gesagt, Cyberrisiken, E-Banking-Hacken sei ein grosses Risiko, hätten viele gelacht. Doch heute? Zwischenzeitlich sind die operationellen Risiken, also auch Cyberrisiken, omnipräsent. Das Risiko hat sich mit der technologischen Entwicklung schleichend manifestiert und ist heute eines der Toprisiken im Banking.