Herr Quensel, in der Studie heisst es, dass die letzten zwei Jahre für die Bankenbranche die besten seit der Finanzkrise waren. Warum steht die Branche trotz dieser Gewinne immer noch am unteren Ende des Kurs-Buchwert-Verhältnisses?

Der Erfolg der Banken kann global mit zwei unterschiedlichen Linsen betrachtet werden: Mit Blick auf Gewinnkraft stand der Sektor im Jahr 2023 sehr gut da, denn Bankengewinne befanden sich im Vergleich mit anderen Industrien sowie auch an der eigenen historischen Performance gemessen auf einem Höhepunkt. Betrachtet man aber die Rentabilität, ergibt sich ein anderes Bild. Das ist die Perspektive von Investoren – sie gleichen Gewinn und Kapitalkosten ab. Letztere sind für traditionelle Banken als Folge ihrer Eigenkapitalanforderungen zur Stabilitätssicherung im Vergleich zu anderen Industriesektoren hoch. Daraus resultiert eine tiefere Rentabilität (nur 10,5 Prozent Return on Tangible Equity (Rote) – in der Schweiz liegt der Wert sogar tiefer bei 8,1 Prozent), was wiederum zu tieferen Aktienbewertungen von Banken im Industrievergleich führt. Ein Pfad für verbesserte Rentabilität ist der Fokus auf weniger risikobehaftete und damit weniger kapitalintensive Geschäftsfelder, wie die Vermögensverwaltung. 

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Sie beschreiben, dass Banken durch kluge strukturelle Anpassungen und exzellente Umsetzung gewinnen. Welche spezifischen strukturellen Änderungen halten Sie für die erfolgversprechendsten in den kommenden Jahren?

Banken brauchen strukturelle Veränderungen für langfristigen Erfolg. Eine Möglichkeit ist die Verlagerung von transaktionalen Kundeninteraktionen in die digitalen Kanäle zur besseren Verfügbarkeit, aber auch zur Steigerung der Effizienz. Eine andere Chance ist, personalisierte Lösungen mit mehreren Produkten in Kombination zu ermöglichen, statt lediglich das Angebot einzelner Produkte. Beide Veränderungen bedingen den Wandel des Betriebsmodells durch höhere Technologisierung und Automatisierung, wozu auch Innovationen in KI zählen. Damit gehen auch neue Anforderungen an die Talentprofile einher: Fähigkeiten in Daten und Technologie werden nach dem Vorbild US-amerikanischer Spieler an Bedeutung gewinnen. Dies wird zusätzlich zu dem natürlicherweise anstehenden Generationenwechsel an Talent in der Branche erfolgen. 

Sie erwähnen, dass der «Managementquotient» für langfristige Erfolge entscheidend ist. Wie können Banken diesen Wert konkret steigern, und welche Fallstricke gilt es zu vermeiden?

Das Management ist verantwortlich für den Erfolg von Veränderungen, welcher von der Richtigkeit und Klarheit der Entscheidung sowie von einer konsequenten Umsetzung abhängt. Veränderungen, die nach kurzer Zeit infrage gestellt, revidiert oder angepasst werden, schaffen keinen Wert. Als Beispiel: Um die Skalierbarkeit strukturell zu verändern, sollte eine Automatisierung diszipliniert implementiert werden. Dies bedingt die Erhöhung von Technologieinvestitionen über einen längeren Zeitraum hinweg, aber gleichzeitig auch das Einfordern der Veränderungen in der Organisation und in Prozessen, zum Beispiel einzelne Produkte nur auf der digitalen «Strasse» anzubieten oder Ressourcen im manuellen Betrieb zur Kompensation der Technologieinvestitionen abzubauen. 

Trotz hohen Investitionen in die Technologie bleibt das Produktivitätswachstum hinter den Erwartungen zurück. Welche Herausforderungen sehen Sie für Banken im Einsatz von KI, um hier Fortschritte zu erzielen?

Das Produktivitätswachstum aus Technologie ist oft durch die Umsetzung gehemmt. Wir beobachten bei den Banken die Herausforderung, dass Prioritäten für Technologieinvestitionen Bottom-up und mit unklarem strategischem Wert definiert werden, dass die Effektivität in der Entwicklung von Technologie tief ist und somit die Kosten hoch sind und dass die angestrebte Veränderung im Geschäft nicht kontrolliert und nachgehalten wird. Ähnliches trifft auf die KI zu. Nur 5 bis 10 Prozent aller entwickelten KI-Use-Cases der letzten Monate fanden ihren Weg in die Live-Umgebung und erzeugen heute Wert. Um KI erfolgreich zu machen, müssen Investitionen auf Aktivitäten mit strategischem Wert fokussieren, zum Beispiel auf die Skalierbarkeit von Kundeninteraktionen mit KI-Assistenten. Solche Tools brauchen aber harmonisierte und mindestens teilweise automatisierte Prozesse als Grundlage. Eine tiefe Prozessmaturität hemmt die Wirkung von KI substanziell. Wir empfehlen daher, gezielt weniger KI, aber dafür integriert mit der End-to-End-Prozesssicht sowie Veränderungen zum Beispiel an Produkten, an der Risikoeinwertung und an der Organisation anzuwenden.

Zur Person

Jan Quensel ist Partner bei McKinsey in Zürich und Leiter der Swiss Banking Practice.

Wie beeinflussen Neobanken und nicht traditionelle Wettbewerber die Profitabilität der etablierten Banken, und was können Banken tun, um ihre Marktposition zu schützen?

Neobanken beeinflussen einzelne Produkte stark, für die Banken als Sektor sind sie aber noch nicht existenzgefährdend. Zu den Stärken von Neobanken zählen zum einen der Preis, zum anderen die Kundenerfahrung: digital, praktikabel und günstig. Insbesondere bei einfachen Produkten sind Neobanken für etablierte Häuser eine ernsthafte Konkurrenz. Banken haben aber ihrerseits zwei Stärken: Sie sind ein effizienter Partner als Anbieter einer Vielzahl von unterschiedlichen Produkten, und sie meistern komplexere Kundenanfragen, für die es Beratung benötigt, wie etwa Fragen zu Investitionen oder zum Kreditgeschäft. Hinzu kommt der wichtige Faktor Vertrauen – und hier liegen etablierte Banken nach wie vor vorne. Kundinnen und Kunden gehen bei traditionellen Banken von einer höheren Kompetenz und einer höheren Resilienz aus. 

Um die aktuelle Rentabilität beizubehalten, müssten Banken ihre Kosten weitaus schneller senken als bisher. Wo sehen Sie Potenziale für nachhaltige Effizienzsteigerungen ohne Abstriche beim Kundenservice?

Kostendisziplin allein wird nicht ausreichen, um Margenreduktion, Inflation und laufend höhere Technologieinvestitionen abzufangen. An der Kundenfront erwarten wir kurz- bis mittelfristig aber vor allem eine Steigerung der Produktivität und damit eine bessere Skalierbarkeit, um mehr Kunden und Kundinnen gleichzeitig zu betreuen. Einen Abbau im Retailfilialnetz wie in ausgewählten Märkten im Ausland sehen wir in der Schweiz noch nicht. Somit muss die Kostensenkung primär aus dem Mid- und Backoffice kommen. Dabei spielen Hebel wie Vereinfachung und Verschlankung des Angebots, Automatisierung und der günstigere Einkauf externer Leistungen eine bedeutende Rolle. Im Übrigen schliessen sich Effizienz und Qualität aber nicht aus. Viele der Anpassungen im Backoffice erzeugen eine bessere Erfahrung für Mitarbeitende und Kundschaft und reduzieren teilweise auch die Risiken. 

Der Bericht legt nahe, dass sinkende Zinsen die Rentabilität der Branche gefährden könnten. Wie bereiten sich Banken auf ein Umfeld mit potenziell fallenden Zinssätzen vor?

Die Banken sind mit sinkenden Zinsmargen konfrontiert, jedoch auf einem Niveau noch deutlich über dem Null- respektive Negativzinsszenario der Vorjahre. Depositen und Kredite bleiben daher eine Priorität, benötigen aber eine laufend eine an das Zinsumfeld angepasste Optimierung der Margen. Gleichzeitig bauen eine Mehrheit der Banken das Geschäft mit Anlagen aus. Diesbezüglich braucht es Innovationen, die dem Kunden Mehrwert bieten, zum Beispiel den Zugang zu alternativen Anlagen oder Lösungen für die Altersvorsorge. Für ein besseres Kundenverständnis und damit eine umfassendere Abdeckung mit Produkten und Services ist zudem die Nutzung von Daten wichtig.  

Welche Rolle spielen nachhaltige und ESG-Initiativen in der strategischen Ausrichtung der Banken? Und sehen Sie hier zukünftig einen grösseren Einfluss auf die Bewertung der Branche?

Das regulatorische Umfeld und die Investoren haben ESG fest in der Industrie verankert. Die neuen Branchenstandards werden auch zukünftig für Anpassungen auf der Produkt- und Vertriebsseite sorgen. Das Kundeninteresse an Anlagen ist aber aufgrund der Herausforderungen in der Performance dieser Produkte teilweise abgeflaut. Als unbestritten wichtig erachten wir aber die Verantwortungen von Banken im Rahmen von Green Transition Financing. Dies bedeutet aufgrund des grossen Bedarfs an Finanzierung eine Chance für Innovation und neue Kundenlösungen. Für Klimatechnologien, Energietransition und Infrastruktur werden Institutionen benötigt. Die Banken agieren hier als Vermittlerinnen und Ermöglicherinnen für Investitionen und Finanzierung. Somit werden sie gleichzeitig neue Ertragsquellen erschliessen und einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten.

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