Marco Huwiler, Instant Payment geht bei den ersten Banken über die Bühne. Senkt die Modernisierung von Zahlungssystemen und Transaktionsgeschwindigkeiten die Kosten für alle Beteiligten?

Unsere Studie «Competitive Switzerland» hatte zwar ein anders gelagertes Thema, dennoch hat generative KI (kurz Gen AI) einen Einfluss: Beide Technologien stehen nicht für sich alleine, sondern ermöglichen im Zusammenspiel eine intelligente Automatisierung.

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Was wir in den Zahlungssystemen sehen, ist eine neue, von der Technologie getriebenen Innovation, die Transaktionskosten senkt und gleichzeitig einen Kundennutzen generiert.

Consumer Experience ist das Zauberwort. Was kann eine Gen AI für Konsumentinnen und Konsumenten leisten?

Das Spektrum ist relativ breit. Es kommt natürlich darauf an, wie man KI einsetzt. Eine unbedachte Umsetzung kann auch einen negativen Impact haben. Doch bleiben wir bei den immensen Chancen: Die Möglichkeiten sind enorm, da es sich ja nicht nur um einen einzigen Use Case, sondern um deren viele handelt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Idee ist, mit all den Möglichkeiten Kundensupportprozesse, etwa ein Callcenter, in der Arbeitsweise stark zu verändern. Das heisst für Konsumentinnen und Konsumenten letztendlich: schnellere Antwortzeiten sowie bessere Antworten. 

Alles via KI?

Nicht zwingend. Gen AI kann auch Mitarbeitende eines Callcenters gut unterstützen. Nicht alles muss voll automatisiert sein. Die Zugänglichkeit von Informationen ist hierbei ein wichtiges Thema. 

Marco Huwiler (44) ist CEO von Accenture Schweiz. Vorher stand er an der Spitze des Geschäftsbereichs Financial Services von Accenture in der Schweiz und zeichnete dort verantwortlich für das Management und die Entwicklung der Einheiten Assekuranz, Banking und Kapitalmärkte. Darüber hinaus ist Huwiler Account Lead für einige der grössten Finanzdienstleistungsklienten von Accenture in der Schweiz. Huwiler stiess 2001 zu Accenture.

Wird auch die Verständlichkeit der Informationen erhöht?

Auf alle Fälle. Wenn ich nicht in einer der vier Landessprachen oder auf Englisch reden kann, habe ich heute ein Problem. Mit Gen AI kann ich das überspielen, da man plötzlich sprachagnostische Dienstleistungen anbieten kann. Geschwindigkeit, Qualität und Zugänglichkeit sind die drei Hauptvorteile.

Was leistet KI bei Versicherungen und Banken sonst noch für die Endkundschaft?

Die Personalisierung der Kunden-Experience. All diese Technologien zusammen ermöglichen eine stärkere Personalisierung und Relevanz. Das bedeutet: Die an mich adressierten Informationen sind für mich persönlich ausgewählt. Genau dies wird erst durch den Einsatz von Gen AI ermöglicht.

Ich bin momentan auf Schweizer Tournee bei Bankdirektoren und frage da natürlich, was Banken punkto KI realisiert haben. Meistens ist das Fraud Prevention, Fraud Detection. Das ist flächendeckend in Betrieb. Was gibt es sonst für Veränderungen aufgrund von KI im Bankenwesen?

Ich glaube, wenn wir jetzt vom klassischen KI-Einsatz – Deep Learning, Machine Learning – herkommen, dann sind dies die ersten Anwendungsfälle, auch bei Versicherern.

Was mit Gen AI dazu kommt, ist das Auffinden intelligenter Muster: Bilder analysieren, mittels Deep Learning Gesprächsmedien aufzeichnen und so weiter. Gen AI zielt auf unstrukturierte Daten. Dies eröffnet einen ganz neuen Strauss von Firmen- und Bankleistungen. Das zeigt unser Report auch auf.

Wo ist ein Einsatz heute schon möglich?

Überall dort, wo Menschen unstrukturierte Prozesse führen, sei es in einer Kundenberatung oder bei einem Hypothekarkreditantrag. Um das Potenzial von Gen AI auszuschöpfen, müssen solche Prozesse voll und ganz neu gedacht und aufgegleist werden. Innovationstreiber müssen sich zum Beispiel folgende Fragen stellen: Wie vergebe ich in Zukunft eine Hypothek, wenn ich all diese Möglichkeiten habe? Kann ich eine Aufgabe weniger sequenziell abarbeiten und in einem interaktiven, agilen Prozess viel schneller zu einem besseren Resultat kommen? 

Gibt es andere Anwendungsbereiche bei Banken und Versicherungen?

Es gibt einen Bereich, der speziell für Banken und Versicherungen wichtig ist, weil sie vom Geschäftsmodell her sehr IT-intensiv arbeiten: die Softwareentwicklung. Doch streng genommen kann man durch die ganze Wertschöpfungskette gehen. Es gibt praktisch keinen Bereich, in dem man Gen AI nicht gewinnbringend einsetzen kann.

Was sind die grundlegendsten Herausforderungen?

Banken wie auch andere Industrien müssen wegkommen vom Denken in einzelnen Use-Cases. Ein herkömmlicher Use-Case geht immer vom bestehenden Prozess aus. Das bisher typische Vorgehen war: Ich nehme mir einen Schritt vor und optimiere ihn. Das ist typischerweise auf Effizienz ausgerichtet. Das Problem dabei ist, im Prinzip arbeite ich immer noch gleich wie zuvor. Um davon wegzukommen, muss man komplett neu denken.

Und dann folgt die Effizienz auf dem Fuss?

Exakt. Ein gutes Beispiel ist das Underwriting bei Grossversicherungen. Dieses Geschäft wird hauptsächlich über Broker abgewickelt. Die Prüfung, welche Anfragen von Brokern und Versicherern beantwortet, ist relativ intensiv, weil man alles genau anschauen muss. Wenn sie diesen Prozess nun neu denken, kommen die Beteiligten viel schneller zu einer guten Entscheidung. Die Einzelfälle sind komplex, jeder ist anders.

Was sind die Vorteile bei einer Gen-AI-Anwendung?

In unserer Studie haben wir bei Accenture herausgefunden: Mit Gen AI können Unternehmen ihre Effizienz um etwa 22 bis 30 Prozent steigern, wenn sie diese früh genug implementieren. Mit gleichem Aufwand wird mehr Top-Line generiert. Das ist das Spannende an dieser Technologie. 

Wird das bereits umgesetzt?

Das ist nichts, was von heute auf morgen geschieht. Dafür müssen alle Mitarbeitenden auf diesen Weg mitgenommen werden. Die Art und Weise, wie Angestellte arbeiten, sieht morgen komplett anders aus. 

Das heisst, das Banking und das Versicherungswesen, wie wir es heute kennen, wird in zehn Jahren nicht mehr so existieren und komplett umgekrempelt.

Es wird restlos umgepflügt. So viel ist heute schon sicher. Offen ist nur, wie schnell dies passiert. Die Frage wird sein, wie rasch Konsumentinnen und Konsumenten die Veränderungen adaptieren. Und auch: Welche Unternehmen nutzen die Chance? Das werden wir sehen.

Was heisst das für die einzelnen Unternehmen? Gibt es einen riesigen Gap zwischen denen, die sich so etwas leisten können, und denen, die weniger Ressourcen haben?

Es ist eine ähnliche Ausgangslage wie bei vielen anderen Technologien. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Technologiesprünge können eine Chance für kleinere Institute sein, die schnell lernen und ihre Chancen nutzen. Grössere Institute verfügen zwar über mehr Ressourcen für Investitionen, haben dafür aber oft grössere organisatorische Hürden, um die Veränderung mitzugehen.

Was ist der Matchpoint, das Entscheidende?

Entscheidend werden die Mitarbeitenden sein. Sie muss man wie gesagt unbedingt mit auf die Reise nehmen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. In unserer Studie besprechen wir das unter dem Titel «People-centric Approach».

Können Sie das näher erläutern?

Im Prinzip geht es darum, übereffizient zu denken. Nicht einfach zu sagen: Ich spare 20 Prozent Aufwand und entlasse darum ein paar Leute, weil ich dann profitabler bin. Sondern wer längerfristig denkt, erkennt die Chance, ein besseres Produkt, einen besseren Service für die Konsumentinnen und Konsumenten zu generieren. Daraus resultiert spannende Arbeit für Mitarbeitende. Und es zahlt sich auch für die Firma aus.

Was bedeuten diese Veränderungen aus Arbeitnehmendensicht?

Unsere Studie hat gezeigt, dass die Offenheit der Leute sehr gross ist, sich mit dem Thema auseinandersetzen und neue Fähigkeiten zu erlernen. Lebenslanges Lernen ist mit all den Technologiesprüngen, die immer schneller kommen, ein absolutes Muss.

Die technische Jobarchitektur der Zukunft wird komplett anders aussehen. Es kommen ganz viele neue Aktivitäten dazu. Und das Bündel von Aktivitäten wird neu zusammengesetzt werden. Genau das ist das Spannende.

Sie meinen, die heile, fröhliche Arbeitswelt kommt bestimmt?

Nein. Es wird nicht alles smooth gehen. Es wird Branchen geben, die Leute entlassen. Darum muss man sicherstellen, dass gute Weiterbildungsmöglichkeiten gegeben sind. Das ist über ganz normale Programme möglich, die es bereits gibt. Ich sehe die Entwicklung recht optimistisch. Alle bisherigen Technologiesprünge führten letztlich zu besseren und produktiveren Jobs. 

Der ganze Umbau bringt Risiken mit sich. Worauf muss die Banken- oder Versicherungsseite achten?

Es ist ein unglaublich wichtiges Thema. Wir nennen das «Responsible AI», einen verantwortungsvollen Umgang mit der AI. Da geht es nicht nur darum, einen Charter zu definieren, sondern eine umfassende Sicht zu generieren entlang verschiedener Aspekte.

Es gibt ganz viele Bereiche, etwa auch das Thema Nachhaltigkeit, die man in diesem Zusammenhang angehen muss. Firmen müssen zudem unglaublich strukturiert mit Risiken rund um Datenqualität oder Fairness umgehen.

Cyberkriminalität ist ein weiteres Thema. Dort sind Versicherungen und Banken historisch recht weit.  

Und wenn eine KI Fehler produziert? Diese Gefahr besteht doch auch.

Absolut. Und es ist nicht nur eine Gefahr, dass falsche Resultate kommen können, sondern es ist ein Fakt. Gen AI ist nicht per se intelligent. Sie kann lediglich unglaublich gut voraussagen, was das nächste Wort ist. Aber sie weiss nicht, was richtig oder falsch ist. Das ist die ganze Technologie dahinter.

Was müssen Firmen tun, um ihr Risiko zu minimieren?

Wenn ich die Technologie aufsetze, ist es ganz wichtig, die zukünftigen Prozesse so zu gestalten, dass immer der Mensch im Spiel ist und letztendlich die Verantwortung hat.

Die Firmen haben ausserdem die Aufgabe, transparent zu sein. Wo verwenden sie welche Technologien? Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas keinen Sinn ergibt, dann kann ich immer noch jemanden physisch anrufen.

Wer eine Gen AI mit Daten trainiert, die sehr spezifisch für den verwendeten Kontext sind, hat Vorteile. Denn so reduziert sich die Wahrscheinlichkeit von Fehlern dramatisch. Wenn dennoch ein Fehler passiert – seien wir ganz ehrlich: Das geschieht heute auch, nur menschengemacht. 

Wie weit sind Schweizer Unternehmen bei der Einführung dieser neuen Technologie im Vergleich zum Ausland?

Grundsätzlich sind die meisten Firmen, auch international, immer noch am Experimentieren. Es gibt praktisch keine Bank mehr, die mit generativer KI noch nichts macht. Aber die wenigsten skalieren bereits. Im internationalen Vergleich skalieren in der Schweiz 2 Prozent der Unternehmen. Global liegt dieser Wert für Gen AI bei 7 Prozent. Schweizer Firmen sind also etwas langsamer in der Skalierung.

Würden Sie diese Aussage auch auf die Versicherungsbranche ausdehnen?

Ja, das gilt auch für die Versicherungen hierzulande.

Was ist denn am Schweizer Markt anders als im EU-Markt.

Ich glaube nicht, dass es sich bei den erwähnten Unterschieden nur um Marktgründe handelt. Es ist wahrscheinlich eine Mischung von beidem. Die Innovationsfähigkeit über die letzten zehn bis zwanzig Jahre hat etwas damit zu tun, aber auch der Fakt, wie solide die Firmen aufgestellt sind. Es ist typisch: Wo kein Druck herrscht, gibt es weniger Innovation. Man kann positiv formulieren: Mit einer gewissen Zurückhaltung aus einer Position der Stärke schaut man sich die Sache genau an.

Ich glaube, das Wichtige ist, dass man die Entwicklung nicht verpasst. Wenn die zögerliche Haltung jedoch länger andauert, kann der Unterschied gross werden. Letztendlich ist klar, gerade im Bankenbereich hilft die Regulierung. Ausländische Banken können gar nicht so viel vom Markt übernehmen. Im Moment zumindest noch nicht.

Und in anderen Branchen?

Dort kann es eine Bedrohung sein, denkt man etwa an die Pharmabranche. Wenn ein Unternehmen dort die Umstellung auf KI verpasst, immer zu gleichen Kosten in der Medikamentenentwicklung arbeitet, sind andere Firmen rund um den Globus plötzlich signifikant günstiger. Die Konsequenz: Irgendwann bin ich weg vom Markt. Da interessiert es niemanden, ob die Konkurrenten in einem anderen Land sitzen.