Wie konnte es sein, dass Julius Bär bei einem einzigen Kunden eine Konzentration von rund 40 Prozent des Private Debt-Buchs zulässt? Dieses umfasste rund 1,5 Milliarden Franken, rund 600 Millionen davon steckten in Krediten an Signa-Gesellschaften des gescheiterten Immobilieninvestors René Benko, welche Julius Bär nun komplett abschreibt.
Julius-Bär-Präsident Romeo Lacher räumte Fehler ein. Der Aufbau des Geschäfts mit solchen Krediten, die mit Cashflows von nicht-kotierten Firmen gesichert sind, sei vor rund fünf Jahren auf Kundenwunsch hin erfolgt. Doch das Wachstum habe den gesteckten Kontrollrahmen überfordert, sprich, die Kontrollen hätten mit dem Wachstum nicht Schritt gehalten. «Daher haben wir das Risiko des Exposures falsch eingeschätzt, dafür entschuldige ich mich», sagte Lacher in einer Telefonkonferenz.
Nun macht er tabula rasa: Philipp Rickenbacher nimmt als Chef der Privatbank seinen Hut. Am Mittwoch hatten bereits mehrere Medien über den Abgang Rickenbachers berichtet. Auch Verwaltungsratsmitglied David Nicol, Leiter des Risikoausschusses, verlässt die Bank und tritt bei der GV nicht zur Wiederwahl an. «Wir sind gemeinsam zum Schluss gekommen, dass ich meine Position zur Verfügung stelle, und wir sind zum Schluss gekommen, dass es im Interesse des Unternehmens ist, wenn ich zurücktrete», erklärte Rickenbacher. Bei seinem Auftritt in der Telefonkonferenz klang der scheidende Bär-Chef eher erleichtert als geknickt.
Ad interim soll sein Stellvertreter Nic Dreckmann die Bank führen, der bisher als Chief Operating Officer amtete. Dreckmann arbeitet bereits seit zwanzig Jahren für Bär. Doch offenbar hat er keine Chance, den Job dauerhaft zu machen. Laut Präsident Lacher lässt die Bank von einem Headhunter nach einem externen Kandidaten suchen.
Bonus gestrichen
Gleichzeitig macht die Bank in der Bilanz reinen Tisch und schreibt die Kredite voll ab. Das belastet den Jahresgewinn, der um 52 Prozent auf noch 454 Millionen Franken fiel. Bär kündigte an, sich aus dem Geschäft mit solchen Privatkrediten, wie sie an die Signa-Gruppe gingen, zurückzuziehen. Das Portfolio hatte insgesamt ein Volumen von 1,5 Milliarden Franken. Nach dem Abschreiber soll nun das verbleibende Kreditbuch von 800 Millionen Franken in den kommenden zwei Jahren abgewickelt werden. Trotz des Gewinnrückgangs soll die Dividende mit 2.60 Franken unverändert bleiben.
An der Börse kam das Grossreine-Machen gut an: Kurz nach Handelsstart legte der der Kurs um rund 4 Prozent zu. Bei Börsenschluss notierte das Papier lediglich noch rund 1 Prozent im Plus. Analysten warnen aber: Der Ausstieg aus dem hochmargigen Private-Kredit-Geschäft dürfte in Zukunft die Erträge belasten.
Doch Donnerstagmorgen stand das Aufräumen im Fokus: Im Zuge dessen sollen Geschäftsleitung und Verwaltungsrat für das Jahr 2023 «substanziell» weniger Vergütung bekommen, hiess es. Rickenbacher und fünf direkt an der Kreditentscheidung beteiligte Mitglieder der Geschäftsleitung bekommen keinen Bonus. Verwaltungsratspräsident Romeo Lacher und die Mitglieder des Risikoausschusses verzichten auf ihre aktienbasierte Vergütung.
15 Prozent Börsenwert verloren
Julius Bär hatte im November bestätigt, einem «europäischen Konglomerat» ein Kreditengagement über 606 Millionen Franken gewährt zu haben. Dabei handelt es sich um die inzwischen insolvente Signa-Gruppe des österreichischen Immobilieninvestors René Benko. Die Bank hatte in einem ersten Schritt damals Kreditrückstellungen von 82 Millionen Franken gebildet, davon 70 Millionen Franken auf das gefährdete Engagement.
Seit Bekanntwerden dieser Kredite hat Julius Bär 15 Prozent seines Börsenwertes verloren, was weit über den möglichen Kreditausfall hinausgeht. Anlegerinnen und Anleger waren geschockt, dass die als stabil angesehene Privatbank in Tat und Wahrheit Kreditgeschäfte tätigte, die eher einer Investmentbank zu Gesicht stehen würden – die also zum Beispiel Firmenkredite vergeben, die mit Aktien einer nicht kotierten Gesellschaft besichert sind (Single Stock Lending). Zudem kamen Fragen auf, warum die Bank mehr als die Hälfte ihres Volumens im Geschäft mit solchen Privatkrediten an einen einzigen Kunden – die Signa-Gruppe – vergeben hat. Auch die Finma hat in diesem Fall eine Untersuchung gegen die Bank eingeleitet.
CEO geht, Präsident bleibt
Das wurde nun Rickenbacher zum Verhängnis. Er war im Herbst 2019 Chef der Privatbank geworden, um sie nach Geldwäschereiskandalen um die Fifa und den venezolanischen Ölkonzern PDVSA wieder in ruhigere Gewässer zu führen.
Mit den Abgängen des CEOs und eines Verwaltungsrats sichert sich dagegen Bankpräsident Romeo Lacher seine Position. In dieser trägt Lacher die Verantwortung dafür, dass sich die Privatbank strategisch in riskante Kreditgeschäfte vorgewagt hat. Das Geschäft wurde vor rund fünf Jahren aufgebaut. Zudem sind die Millionenkredite an die Firmen von Benkos Signa-Imperium auch bei Lacher über das Pult gegangen – er wusste über die Risiken Bescheid, griff aber offenbar nicht ein.
Auch ohne den Benko-Abschreiber hat die Julius Bär weniger verdient: Der um Sonderfaktoren bereinigte Konzerngewinn sank um 10 Prozent auf 947 Millionen Franken. Damit verfehlte die Bank die Analystenerwartungen.
Wer wird neuer CEO?
Grund für den Gewinnrückgang seien hohe Investitionen, etwa in neue Berater und Beraterinnen. So wuchs der Personalbestand um 535 Vollzeitkräfte auf 7425 Stellen. Die Anzahl der Kundenberaterinnen und -berater stieg netto um 95 auf 1343. Zudem litt die Bank unter der Passivität der Kunden, der Erfolg aus dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft sank um 2 Prozent.
Der Wirbel um die Benko-Kredite hat aber offenbar das Neugeschäft nicht beeinträchtigt: So belief sich der Nettoneugeldzufluss auf 12,5 Milliarden Franken. Das entspricht einer Wachstumsrate von knapp 3 Prozent. Mit dem Wert traf die Bank immerhin die Erwartungen der Analystinnen.
Die Eigenkapitalausstattung ist mit 14,6 Prozent Kernkapitalquote (genannt CET1-Quote) mehr als solide und liegt über der von der Bank festgelegten Grenze von 14 Prozent, ab der Aktienrückkäufe und damit Sonderausschüttungen möglich sein sollen. Dennoch verzichtete der Verwaltungsrat, ein neues Rückkaufprogramm anzukündigen; dieses wird jedoch für den weiteren Jahresverlauf in Aussicht gestellt.
Trotz des Befreiungsschlags vom Donnerstag dürfte so schnell keine Ruhe bei Julius Bär einkehren. Denn nun wird sich die Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, wer neuer CEO der Privatbank wird. Bank-Präsident Lacher betont, dass mit der Berufung eines neuen, externen Chefs kein Strategieschwenk verbunden sei. Mehr denn je wolle sich Julius Bär auf das Geschäft mit der Vermögensverwaltung fokussieren, es seien keine neuen Ausflüge in neue Geschäftsbereiche wie das Firmenkundengeschäft geplant.