China hat sich in den letzten 30 Jahren zum weltweit bedeutendsten Produktionsstandort entwickelt und ist daher für Wachstum und Inflation global  entscheidend. Allerdings sind in den letzten zwei Jahren binnenwirtschaftliche Faktoren für China sehr viel wichtiger geworden, denn das Land ist in eine Bilanzrezession eingetreten und dürfte über 2024 hinaus darin verharren. 

Der Gastautor: Christian Gattiker, Leiter Research und Chefstratege, Julius Bär

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Was ist eine Bilanzrezession?

Der Begriff wurde von Richard Koo, Chief Economist bei Nomura, geprägt; er beschrieb damit ein wirtschaftliches Umfeld, in dem die Akteure vorrangig bestrebt sind, Schulden zurückzuzahlen statt zu investieren. Damit geht eine Stagnation der Wirtschaft einher,  da sich wirtschaftliche Gewinne überwiegend verflüchtigen, weil sie hauptsächlich zur Tilgung von Schulden eingesetzt und nicht wieder investiert werden.

Für China bedeutet dies, dass Hauseigentümer die Hoffnung auf eine Erholung des Marktes für Wohnimmobilien aufgegeben haben. Nach einem jahrzehntelangen Boom bei Wohnimmobilien sitzen Privatpersonen nun auf einem Berg von Hypothekenschulden  und verwenden alle verfügbaren Einnahmen dafür, ihre Schulden abzuzahlen. Das ist schlecht für China selbst, da seine Wachstumsaussichten dadurch begrenzt werden – ähnlich, wie es in den USA und in Europa nach den letzten grossen Krisen der Fall war).
Diese Situation hat aber auch globale negative Auswirkungen, da sie die Wachstumsaussichten für sämtliche Volkswirtschaften begrenzt, die stark mit der chinesischen Wirtschaft verbunden sind. Das gilt beispielsweise für die Schwellenländer (natürlich in der asiatischen Nachbarschaft, aber über die Rohstoffmärkte auch in anderen Regionen) sowie für Europa, das als Hauptlieferant von langlebigen Verbrauchs- und Investitionsgütern fungiert. Das belastet zwar das Wachstum, aber der deflationäre Druck auf die globalen Güterpreise dürfte begrenzt sein, weil diese deflationären Effekte unter Umständen durch die geopolitische Agenda ausgeglichen werden, die viele Unternehmen dazu veranlasst, nach Alternativen zu einem rein chinesischen Angebot zu suchen.

Was könnte das Risiko entschärfen, sodass der chinesische Wohnimmobilienmarkt die Weltwirtschaft weniger belastet?

Hilfreich wäre ein breit angelegtes, schlagkräftiges Paket politischer Massnahmen, das die Hauseigentümer entlastet, die Käufer wieder an die Wohnungsmärkte zurückbringt und zugleich die Privathaushalte ermutigt, ihre Konsumausgaben zu steigern.

Allerdings: Nach den Signalen, die bis Ende November 2023 aus Peking kamen, sind die bisher vorgeschlagenen Massnahmen zwar darauf ausgerichtet, eine Implosion der Binnenwirtschaft zu verhindern, aber noch weit davon entfernt, die gesamte Konjunktur  anzukurbeln. Insofern stellt China weiterhin eine Belastung und weniger eine Unterstützung dar. Es sei aber auch erwähnt, dass das Interesse der chinesischen Behörden an gross angelegten Stimulusmassnahmen zwar begrenzt ist, sie aber immer noch viel Spielraum für proaktive Stimulusmassnahmen haben, die die Wirtschaft vor einem ausgeprägten Abwärtstrend schützen könnten.