Jürg Kallay, seit über zwanzig Jahren führen Sie Swissprivate. Hat es sich für Sie gelohnt, ein Family-Office zu gründen?
Ja, definitiv. Wir haben von Anfang an jedes Jahr Gewinn gemacht. Wobei ich natürlich nicht behaupten kann, dass ich gleich viel verdient hätte wie zum Beispiel ein Sergio Ermotti. (schmunzelt) Aber wir waren immer profitabel, dank dem simplen Umstand, dass wir nicht viele Investitionen tätigen mussten. Das Teuerste waren die Möbel und Computer, ansonsten sind es die Personalkosten.
Die Firmengründung hat sich für mich aber aus einem persönlichen Grund noch viel mehr gelohnt: Ich war schon immer gerne unternehmerisch tätig und bin gerne mit Kundschaft zusammen. Ich konnte also das tun, was ich am liebsten tue.
Sie geniessen Ihre Arbeit im Family-Office also in vollen Zügen?
Es war natürlich nicht jeden Tag einfach nur schön, das ist es ja nirgends. Zeitweise braucht es Nerven. Das Anstrengendste in unserem Business ist, in schlechten Zeiten Ruhe zu bewahren. (runzelt die Stirn) Ja, das ist eigentlich das Anstrengendste von allem.
Wie schaffen Sie es in schlechten Zeiten, Ruhe zu bewahren?
Da hilft einzig die Erfahrung etwas. Mit dreissig war das noch anders als heute. Unterdessen habe ich schon ein paar Finanzmarktkrisen erlebt. Das klingt jetzt vielleicht etwas zu abgeklärt und will keineswegs heissen: Es kommt nichts mehr, was mich schockieren könnte. Aber ich kann es wahrscheinlich gelassener hinnehmen.
Welche Krise ist Ihnen noch gut in Erinnerung?
Das Lehman-Brothers-Aus. Jeden Tag ist es schlimmer geworden. Irgendwann am Donnerstag denkst du dir, dass es nicht noch übler werden kann. Trotzdem wird es am Freitag abermals schlimmer. Dann dachte ich mir: Ende 2008 ist es vorbei – nur ging es dann im ersten Quartal 2009 weiter im Krisentakt.
Doch jede Krise endet irgendwann. Warren Buffett hat einmal geschrieben: «Es wird der Tag kommen, an dem man denkt: Wie günstig hätte man in diesem Moment Aktien kaufen können.» Und tatsächlich war es so.
Sie haben Zürich ganz bewusst als Firmensitz gewählt. Was macht ein Family-Office in Zürich aus?
Ich hätte auch Zug wählen können. Ich wohne in Zürich und bin zehn Jahre lang nach Zug gependelt, wo ich für die Beisheim-Gruppe tätig war. Aber pendeln wollte ich nicht mehr. Das hat sehr viel mit Lebensqualität zu tun. Und hier am Zürichsee lebt man gut.
Ich reise beruflich viel. Von Zürich aus ist das angenehm. Im Leben – und das ist sehr persönlich – muss man irgendwo einen Mittelpunkt haben, eingebunden sein. Irgendwo brauchen alle, wie man heutzutage so schön sagt, einen Cluster. Nicht nur für mich, auch aus Kundensicht ist es schön, wenn man nach Zürich fliegen kann, anschliessend fährt man mit der S-Bahn in die Stadt, läuft noch ein paar Schritte – und ist da.
Hat Swissprivate einen Vorteil vom Standort Zürich?
Ja. Bei den Steuern zwar sicher nicht, aber beim ganzen Rest ist das eindeutig so. Da bin ich lieber in Zürich als in Zug.
Was ist denn der grosse Unterschied?
Die Anbindung. Man ist in einer Grossstadt. Nichts gegen Zug, ich kenne es sehr gut, weil ich selber lange dort war. Aber Zug hat verglichen mit Zürich doch eher Dorfcharakter.
Wie vermögend müssen Ihre Kundinnen und Kunden sein?
Die ideale Bandbreite liegt irgendwo zwischen 20 und 60 Millionen. Das macht aus Effizienz- und Kostengründen am meisten Sinn. Aber wir haben auch Kundinnen und Kunden, die etwas weniger oder mehr Vermögen haben. Ab 200 oder 300 Millionen machen das viele Leute selber oder stellen jemanden dafür ein. Und Milliardärinnen und Milliardäre machen sowieso ihr eigenes Ding.
Swissprivate bietet gemäss Beschreibung «eine von Banken unabhängige Aussenbetrachtung». Wie muss ich mir das vorstellen? Sie können ja die Finanzwelt auch nicht neu erfinden.
Nein, absolut nicht. Aber die Frage, die sich der Kundschaft stellt, ist: Wie interpretiere ich die jeweiligen Zahlen meiner Bank? Wenn jemand in einem gemischten Depot 5 Prozent plus gemacht hat, muss man fragen: Ist das jetzt gut oder schlecht? Ein Banker wird sicher argumentieren, das sei hervorragend.
Und was finden Sie?
Wir schauen da genauer hin und stellen präzisierende Gegenfragen: Warum warst du nicht stärker in Amerika engagiert? Warum hast du nicht mehr von dem oder von diesem im Portfolio geführt? Unser Job ist das Einordnen der Resultate der Bank und der Strategie. Wir kontrollieren zudem, ob sich Fehler eingeschlichen haben.
Was machen Sie in Ihrem Family-Office anders als eine Bank?
Der Mehrwert, den wir bieten, besteht aus zwei Dingen: Erstens setzen wir voraus, dass man nach intensiven Gesprächen für einen Kunden die ideale Strategie und das Risiko beurteilen kann. Grundsätzlich gilt ja: Wer in Aktien investiert war, hat gewonnen. Nur: Die meisten Menschen haben nach wie vor Angst vor Aktien. Da hilft unsere Expertise.
Zweitens finanzieren wir uns fast durchwegs durch die bei den Banken erzielten Kostenreduktionen; die Kundin hat also keine Zusatzkosten, aber einen Effizienzgewinn.
Wie gehen Sie vor?
Zunächst gilt es, die Kosten der Finanzinstitute da und dort zu reduzieren. Das sind dann unsere Einnahmen. Wir unterziehen das Portfolio einer detaillierten Überprüfung – etwas, das im Grunde genommen ja jeder machen müsste.
Die meisten Leute wissen halt noch nicht, dass es Family-Offices gibt, die genau für diese Aufgaben da sind. Ich glaube, im Ausland ist dieses Bewusstsein schon viel stärker. In Singapur und den USA boomen Family-Offices geradezu.
Und wie schaffen Sie es, die Kosten so zu reduzieren, dass Ihre Kundschaft günstiger wegkommt?
Dank unseren langjährigen, sehr guten Beziehungen zu den Banken reicht meist ein Telefonat. Die Banker sagen zum Beispiel: «Es kostet 0,7 Prozent.» Dann entgegnen wir vielleicht: «Ich würde sagen, 0,5 Prozent reichen auch.» Es ist weder Rocket-Science noch Hexerei.
Haben Sie so etwas wie eine gewisse Marktmacht?
Vielleicht indirekt. Klar, bei gewissen Banken haben wir das. Aber es ist nicht so, dass wir mit einem Wechsel drohen. Das ist nicht das Thema, auch wir suchen langjährige, tragfähige Beziehungen, bei denen alle Beteiligten auf ihre Kosten kommen.
Konkret: Ich gehe zu einer Bank und sage: «Wir haben ein Angebot. Wir machen gerne bei euch weiter, aber ihr müsst mit den Kosten entgegenkommen.» Dann dauert es meistens einen Tag – und dann klappt es. Die Banken gehen darauf ein. Auch Bankerinnen und Banker wollen niemanden verlieren und idealerweise jemanden als Neukunden gewinnen.
Wir bei Swissprivate wollen keine externen Vermögensverwalter sein, sondern unsere Unabhängigkeit bewahren, die ein starkes Plus für uns darstellt. Wir streben in der Regel ein Dreieck mit der Bank, der Kundin und uns an. Wir müssen ein gutes und ein gut organisiertes Team sein. Dann sind alle happy: die Kundin, die Bank und wir.
Warum zahlen Kundinnen und Kunden in Ihren Augen in der Regel zu viel? Ist die Marge der Banken einfach zu hoch? Oder ist die Konkurrenzsituation unter den Finanzinstituten nicht intakt?
Erstens ist die Marge immer noch sehr hoch, ja. Und zweitens haben viele Leute keine Ahnung, wie sich die Gebühren zusammensetzen und wofür sie alles bezahlen.
Wenn man beispielsweise einen Liter Milch für 4 Franken verkauft, muss diese schon von ganz, ganz glücklichen Kühen stammen. Denn den Milchpreis können wir alle noch abschätzen. Aber beim Banking? Was ist hier Standard?
Klar, es gibt eine Broschüre, und dort stehen die Konditionen drin. Nur, wer weiss konkret, was es wirklich kostet? Als Laie ist es praktisch unmöglich, das zu verstehen.
Können Sie anhand eines Beispiels erörtern, wie Sie vorgehen?
Letztes Jahr haben wir einen neuen Kunden beraten. Wir haben die Gebühren gesenkt und unsere Kosten so rausgeholt. Die Banken waren trotz Gebührenreduktionen immer noch sehr interessiert, mitzumachen. Wir haben dann alle drei statt nur einer Bank beibehalten.
Unser Grundgedanke dahinter ist einfach: Ende Jahr beurteilen wir, wie sich für den Kunden alles entwickelt hat. Im nächsten Jahr geben wir dann entweder allen drei Banken eine Chance, oder wir reduzieren auf zwei. Eigentlich schäme ich mich fast. (schmunzelt) Denn es ist wirklich keine Rocket-Science, was wir hier machen.
Jetzt möchte ich gerne noch etwas über Ihre Kundschaft erfahren. Sind das mehrheitlich Leute von der Goldküste?
Unsere Kundschaft besteht ausnahmslos aus Privatpersonen oder Firmen, die einer Privatperson gehören. Im institutionellen Geschäft möchte ich nicht mitmischen, das ist nicht unser Gebiet.
Und unsere Kunden stammen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland, alle sprechen Deutsch. Wir müssen mit niemandem in einer Fremdsprache korrespondieren.
Haben Sie das absichtlich so gehalten?
Nein, das hat sich so ergeben, weil ich deutschlandorientiert war. Ich habe mich immer im deutschsprachigen Umfeld bewegt.
Es ist ja nicht so, dass jeden Tag jemand bei uns anklopft. In den letzten 21 Jahren haben wir nur einen einzigen Kunden verloren, weil die Kundenbeziehung einfach mühsam wurde. Er wollte ständig detaillierte Auswertungen und Begründungen von uns. Da haben wir gesagt: Das geht so nicht, lassen wir es besser …
Sie sind jetzt 62 Jahre alt. Denken Sie ans Aufhören? Oder werden Sie wie Otto Beisheim bis achtzig Jahre oder älter aktiv im Business sein?
Es gibt zwar in meinem Freundeskreis die ersten Frühpensionierten. Einer von ihnen ist immer auf Mallorca am Golfen. Aber wenn meine Gesundheit es zulässt, bleibe ich aktiv im Geschäft. Was ich mache, mache ich gerne. Und ich weiss nicht, ob ich den ganzen Tag nur Golfspielen oder Velofahren vertragen würde. (schmunzelt)
Das wäre zu langweilig?
Es würde mich einfach nicht befriedigen und ausfüllen. Gerade in der heutigen Zeit, in der sich auf der Welt alles bewegt und die Frage, wie es herauskommt, nicht nur bezüglich Trump, auch in Deutschland, oder dann die Änderungen der Vorzeichen in vielen Bereichen – das ist doch fantastisch, wenn man an so etwas teilhaben kann.
Nicht nur zu Hause zu sitzen und Zeitung zu lesen, sondern solche Themen auch mit einem Kunden zu diskutieren – ich bin ja viel unterwegs, und da sind über die Jahre viele Freundschaften mit Kunden entstanden – das möchte ich nicht missen.
Was treibt Sie an?
Das Interesse an der Sache und das Interesse an Menschen. Mich interessiert, was ich mache.
Noch ein Blick auf den Schweizer Finanzplatz …
Es gibt immer noch keinen besseren Finanzplatz für Private als Zürich. Damit meine ich vor allem die Anzahl Anbieter und Dienstleister im Finanzsektor.
London, New York oder Singapur mögen im Assetmanagement oder anderen Bereichen die bessere Adresse sein, doch im Private Banking oder Private Wealth ist Zürich, ist die Schweiz unschlagbar.
Was ist in Ihren Augen wichtig für den Standort Schweiz?
Das Wichtigste ist politische Stabilität. Da liegen rückwirkend geltende Erbschaftsteuerinitiativen komplett schief in der Landschaft! Das tut der Schweiz nicht gut.
Wohlgemerkt, ich war immer ein grosser Fan der direkten Demokratie. Wir stimmen ab. Und wenn abgestimmt wurde, tritt das Beschlossene rund ein Jahr später in Kraft. Aber eine rückwirkende Erbschaftssteuer? Das geht gar nicht – und wäre ein schlechtes Signal.
Was gibt es für Herausforderungen am Schweizer Finanzplatz?
Natürlich würde man sich wünschen, dass es weniger Regulierung gibt. So sind zum Beispiel externe Vermögensverwalter mit tausend regulatorischen Vorschriften und damit verbundenen Kosten konfrontiert. Das hätte man anders lösen können.
Klar, es gab ein paar schwarze Schafe. Aber 95 Prozent arbeiten korrekt. Ich finde, man sollte viel mehr die Fehlbaren bestrafen, anstatt mit generellen Regulatorien allen das Leben schwer zu machen.
Sie haben Experten im Haus, die im Bankregister für Finanzdienstleister registriert sind. Ist das wichtig für Sie?
Für uns ist es eigentlich nicht wichtig. Unser Geschäft basiert im Endeffekt zu 99 Prozent auf Vertrauen, auf nichts anderem.
Wir haben vor Kurzem eine Wachstumsstrategie definiert und in Angriff genommen. Wir sind strukturell und auch personell so aufgestellt, dass wir das Kundenvolumen verdoppeln oder verdreifachen können. Wir müssen einfach schauen, dass wir jedes Jahr gute Arbeit abliefern, dann wird sich der weitere Erfolg automatisch einstellen.