Hätten alle nach den Regeln gespielt, würde an dieser Stelle kein Porträt über Thomas Jordan (58) zu lesen sein. Der 1,90-Meter-Hüne stand lange im Schatten von Philipp Hildebrand (58), der 2010 zum jüngsten Nationalbankpräsidenten der Geschichte gekürt worden war.
Der gewiefte Kommunikator Hildebrand, vor seiner Zeit bei der Nationalbank (SNB) Hedgefonds-Manager, verlieh der altehrwürdigen Institution neuen Glanz. Er war ein Shootingstar, so etwas wie der Barack Obama der Schweiz – bis er Anfang 2012 jäh verglühte.
Hildebrand stolperte über Vorwürfe von Insiderhandel. Seine Frau hatte im August 2011 über sein Konto 504'000 US-Dollar gekauft – wenige Wochen bevor die SNB den Euro-Mindestkurs von 1.20 Schweizer Franken einführte.
Skandal ebnet den Weg
Der Skandal erschütterte die Nationalbank in den Grundfesten. König Hildebrand musste am 9. Januar 2012 abdanken – an seine Stelle trat Thomas Jakob Ulrich Jordan, ein Ökonomieprofessor, der sein ganzes Berufsleben in Universitäten und der SNB verbracht hatte.
Jordan ist alles andere als ein brillanter Redner, seine Botschaften liest er mit monotoner Stimme vom Blatt. Das Scheinwerferlicht scheint ihn eher zu blenden, als zum Strahlen zu bringen. Seine Ansprachen erinnern mehr an Angela Merkel als an Obama.
Persönliches bleibt privat
Zehn Jahre im Amt haben seine Auftritte kaum verändert. Auch seine Aussagen wiederholen sich, immer und immer wieder. «Unsere Geldpolitik ist auf Erhalt der Preisstabilität ausgerichtet», so sein Mantra. Persönliche oder politische Aussagen gibt es kaum, Homestorys schon gar nicht. SonntagsBlick hat es deshalb nicht einmal gewagt, ihn für ein persönliches Porträt anzufragen.
Für die Öffentlichkeit ist diese Verschlossenheit wenig attraktiv. Ökonomen aber bezeichnen diese Eintönigkeit als Jordans grösste Stärke: «Ein guter Zentralbanker muss langweilig sein», sagt einer, der viele Jahre beim Bund gearbeitet hat. Er sieht in Jordan die Inkarnation dieses Ideals: «Er ist ein unpolitischer Technokrat ohne persönliches Sendungsbewusstsein.»
Gespräche mit Weggefährten zeigen, dass Jordan da keine Rolle spielt, sondern tatsächlich so ist. «Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mit Thomas je ein Gespräch über Hobbys oder private Interessen hatte», sagt ein früheres Mitglied des SNB-Bankrats.
Jean-Pierre Danthine (71), der von 2010 bis 2015 zusammen mit Jordan im dreiköpfigen SNB-Direktorium sass, äussert sich ähnlich: «In Sitzungen und auch bei gemeinsamen Mittagessen haben wir kaum über etwas anderes gesprochen als Geldpolitik. Obwohl wir mehr als fünf Jahre zusammengearbeitet haben, weiss ich wenig über seine privaten Interessen.»
Die Familie ist das Einzige, was Befragten über den Privatmenschen Jordan einfällt. Seine Frau Jacqueline, die später Englischdozentin wurde, lernte er gegen Ende der Schulzeit in seiner Heimat Biel BE kennen, wo er mit zwei Brüdern als Sohn eines Oberrichters aufwuchs und das zweisprachige Gymnasium Alpenstrasse besuchte.
Bankwesen liegt in der Familie
Der jüngere Bruder (57) ist ebenfalls in der Finanzbranche tätig, er arbeitet bei der Berner Kantonalbank. Der ältere (64) ist leitender Geologe beim Basler Ingenieur- und Planungsunternehmen Gruner. Beide sind ihren Firmen seit mehr als 17 Jahren treu. So viel Loyalität übertrifft nur einer: Thomas ist seit bald 25 Jahren bei der SNB.
Auch Jordans erwachsene Söhne scheren nicht aus. Der Jüngere (24) hat gerade seinen Master in Banking and Finance an der Hochschule St.Gallen (HSG) abgeschlossen. Der Ältere (26) hat seinen HSG-Master in Accounting and Finance schon etwas länger in der Tasche und arbeitet mittlerweile bei der Privatbank Julius Bär.
Dass Papa Jordan seine Söhne durchaus gefördert hat, beweist die Maturaarbeit des Zweitgeborenen, die das Ziel hatte, ein Lehrmittel über den Zahlungsverkehr zu erstellen. Die Arbeit wurde als eine der besten im Kanton Zürich ausgezeichnet – nicht zuletzt dank väterlicher Unterstützung. Um die Abläufe hinter einer Kreditkarten- oder Debitkartenzahlung zu verstehen, hatten dem Sohnemann «Interviews mit Experten der Schweizerischen Nationalbank» geholfen.
Hartnäckig und wissbegierig
Im Gegensatz zu seinem Nachwuchs gab Jordan seinerzeit den Wirtschaftswissenschaften den Vorzug. Er immatrikulierte sich an die Universität Bern, wo er auf Ernst Baltensperger (79) traf, bis heute eine Koryphäe der Geldpolitik. Dem heute emeritierten Professor für Volkswirtschaftslehre fiel Jordan schon als Student auf: «Er stellte anspruchsvolle Fragen und war hartnäckig in ihrer Verfolgung. Wenn ihn eine Antwort nicht überzeugte, hakte er nach, bis die Frage zufriedenstellend beantwortet war», so Baltensperger.
Der Nationalökonom wurde Jordans Doktorvater. 1993 publizierten sie gemeinsam eine Arbeit mit dem Titel «Die Schweiz und die Bestrebungen zur Bildung einer Europäischen Währungsunion». Ihr Fazit: Die Schweiz ist mit einer eigenen Geldpolitik am besten aufgestellt.
Blitzkarriere, Arbeitstier, «Kontrollfreak»
Zur Nationalbank kommt Jordan 1997 und klettert die Karriereleiter rasch hoch. Baltensperger erklärt das so: «Einerseits ist er blitzgescheit und unglaublich kompetent, aber auch im zwischenmenschlichen Bereich stark.» Im Gegensatz zu manchem Hochbegabten sei Jordan ausserordentlich umgänglich. «Zwar selbstbewusst, gleichzeitig aber auch bescheiden.»
In aller Munde ist auch Jordans Arbeitsethos. Sein ehemaliger Direktoriumskollege Danthine zu diesem Aspekt: «Thomas Jordan ist ein wahrhafter Staatsdiener, der sich rund um die Uhr für das Wohl des Landes einsetzt. Er arbeitet unglaublich viel, ist sehr detailversessen und extrem fokussiert.»
Einer, der ihn seit Studienzeiten kennt, bestätigt dies: «Thomas arbeitet auch dann noch, wenn er nach Hause geht.» Von Kollegen und Untergebenen werde das jedoch nicht nur positiv beurteilt: «Er hat Mühe, Dinge abzugeben, und will zu jedem Thema alles wissen. Dadurch mutiert er mitunter zum Kontrollfreak.»
Konsens statt Dissens
Den schwierigsten Moment seiner Karriere erlebte Jordan 2015, als die SNB den Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken überraschend aufhob. Für die Export- und Tourismusbranche war das ein Schock. Hans Hess (67), damals Präsident des Industrieverbands Swissmem, kritisierte die Nationalbank scharf. Dies sei an Jordan nicht spurlos vorübergegangen: «Er nahm diese Kritik ernst und durchaus persönlich, das merkte man. Dennoch hat er sich nie vor uns versteckt, unsere Sorgen angehört und die Überlegungen der Nationalbank erläutert.»
Danthine sagt es so: «Thomas Jordan ist sicher kein Fan der grossen Debatten. Meinungsunterschiede und Kritik hält er zwar aus, er bevorzugt aber den Konsens.» Oft habe er eine klare, fundierte Meinung. Er sei aber durchaus bereit, diese zu ändern, wenn ihn die Argumente seines Gegenübers überzeugen.
In der Öffentlichkeit geschieht das so gut wie nie. Viele empfinden Jordan deshalb als konservativ, sogar als stur. Ob es um die Transparenz von SNB-Sitzungen geht, ethische und ökologische Prinzipien der Anlagepolitik oder neue Regeln zur Gewinnverwendung – Jordan ist erst einmal dagegen. «Mit dieser reflexartigen Abwehrhaltung übersieht er manchmal auch gute und sinnvolle Lösungen», so ein ehemaliger Mitstreiter.
Jordan unangefochten
Alles in allem sitzt Jordan dennoch so fest im Sattel wie nie. Die SNB wird von der Politik zwar immer mal wieder getadelt, Fundamentalkritik aber bleibt aus. Der Respekt vor der Nationalbank und ihrem Präsidenten ist gross.
Innerhalb der SNB ist Jordan sowieso stärker denn je. Mitte 2022, wenn Vizepräsident Fritz Zurbrügg in den Ruhestand geht, dürfte seine Vormachtstellung gar noch wachsen. Für Beobachter ist klar: «Er dominiert diese Notenbank fast nach Belieben.»
Das dürfte noch ein paar Jahre so bleiben. Ende 2020 wurde Jordan vom Bundesrat für die nächste Amtsperiode wiedergewählt. Wenn er will, darf er bis Juni 2027 bleiben. Dann wäre er 64 Jahre alt.
Verhindern können das eigentlich nur gesundheitliche Probleme. Gänzlich ausgeschlossen ist dies nicht. Vor wenigen Monaten musste sich der SNB-Chef einem Eingriff am Herz unterziehen. Mittlerweile soll er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte sein.
Ein Skandal – undenkbar
Dass Jordan über einen Skandal stolpern könnte wie sein Vorgänger Philipp Hildebrand oder andere Grössen aus der Finanzbranche, kann sich kaum jemand vorstellen. Das Privatleben des SNB-Chefs scheint so unspektakulär, dass es nicht einmal für «Inside Paradeplatz» etwas hergibt. In dem Finanzportal, das selbst die Eskapaden zweit- und drittrangiger Banker ausbreitet, findet Jordan kaum statt.
Eine einzige kleine Extravaganz wurde 2018 bekannt: Jordan zügelte vom steuergünstigen Küsnacht ZH an der Zürcher Goldküste ins steuerlich noch attraktivere Zug. Dort lebt er zwar mit bester Aussicht auf See und Alpen, sein Haus jedoch steht mitten in einem stinknormalen Wohnquartier. «Eine graue Maus», urteilte einst ein ehemaliger Bundesrat. Es war als Kompliment gemeint.
Dieser Artikel erschien zuerst am 09.01.2022 auf Blick.ch unter dem Titel «Der eintönigste Mann der Schweiz tritt ab». Aus aktuellem Anlass wurde er aktualisiert und übernommen.
1 Kommentar
Es ist eine ernüchternde Tatsache, dass die Bedeutung der Zentralbanken in diesem Jahrhundert mit einer allgemeinen Tendenz zu mehr und nicht zu weniger Inflation einhergeht. Wenn das übergeordnete Ziel die Preisstabilität ist, haben wir mit dem Goldstandard des 19. Jahrhunderts und passiven Zentralbanken, mit Währungsgremien oder sogar mit „Free Banking“ besser abgeschnitten.“ Die wirklich einzigartige Macht einer Zentralbank ist schließlich die Macht, Geld zu schaffen, und letztendlich ist die Macht, Geld zu schaffen, die Macht, zu zerstören.
Paul Adolph Volcker