Herr Palahi, ich möchte mit Ihnen über die Waldbrände in Kalifornien sprechen, die eine enorme Verwüstung angerichtet haben. Doch zunächst zu Ihrer Expertise: Sie sind Chief Nature Officer bei der Privatbank Lombard Odier. Ein seltener Titel in einer Bank – wie kamen Sie dazu?

Ich bin Wissenschaftler und habe 25 Jahre lang in der Welt der Wissenschaft gearbeitet, bevor ich zu Lombard Odier kam. Meine wissenschaftliche Arbeit war immer an der Schnittstelle von Ökologie und Wirtschaft, Biodiversität und Klimawandel angesiedelt. Ich habe zehn Jahre lang das Europäische Forstinstitut geleitet und mein Hauptziel war es, wissenschaftliche Rahmenbedingungen zu entwickeln – von einer extraktiven und auf fossilen Rohstoffen basierenden Wirtschaft hin zu einer neuen, kreislauforientierten, biologisch basierten Wirtschaft.

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Und worin besteht Ihre Aufgabe bei der Bank?

Ich liefere Argumente und wissenschaftliche Fakten, wie wir Investitionen so umschichten können, dass sie für die Natur positiv werden. Und wirtschaftlich zu argumentieren, dass solche Investitionen gute Renditen bringen können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Eine der ersten Strategien, die wir in diesem Jahr anstreben, befasst sich mit der Umsetzung naturfreundlicher Lösungen, um die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, zu überdenken. 

Einer unserer Schwerpunkte wird Kaffee sein. Wir setzen Kapital ein, um sicherzustellen, dass wir von Kaffee-Monokulturen, die zu CO2-Emissionen führen und die biologische Vielfalt zerstören, zu einer neuen Art der Kaffeeproduktion übergehen können, die biologische statt chemisch-synthetische Inputs verwenden.

Es gibt eine Reihe von Investmentgesellschaften, die zum Beispiel in Emissionsgutschriften und Biodiversitätsgutschriften investieren. Das war bisher die modische Art, in die Natur zu investieren. Wir haben einen anderen Ansatz. Wir wollen in die Natur investieren, um die Wirtschaft umzugestalten, und nicht, um ihr Versagen auszugleichen.

Das Versagen der Wirtschaft ausgleichen – könnten Sie das konkretisieren?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ein Unternehmen, das Schokolade aus Ghana und der Elfenbeinküste bezieht, Emissionsgutschriften kauft, hilft das nicht, das Problem der Kakaofarmen und deren schwacher Widerstandsfähigkeit zu lösen. Wir müssen also in die Farmen investieren.

Marc Palahi

«Es geht darum, unsere gesamte Wirtschaft im Hinblick auf die Natur zu überdenken», sagt Palahi. 

 

Quelle: Handout
Zur Person Marc Palahi:

Marc Palahi ist ein Experte für Wälder, zirkuläre Bioökonomie und globalen Wandel. Er verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Leitung wissenschaftlicher Initiativen und war unter anderem Direktor des Europäischen Forstinstituts und ist Chief Nature Officer bei Lombard Odier Investment Managers. Zudem führt Palahi den Vorsitz der Circular Bioeconomy Alliance, die von King Charles gegründet wurde.

Wie Sie bereits erwähnten, befassen Sie sich – etwa taten Sie das im Forstinstitut – mit Wald-Ökosystemen. Über die letzten Wochen machten vor allem Waldbrände in Kalifornien Schlagzeilen. Was gilt es denn aus wirtschaftlicher Sicht gegen solche Katastrophen zu tun?

Winde, strukturelle Trockenheit, schlechte Stadtplanung – so kommt es zu diesen grossen Waldbränden. Die Wirtschaft bezahlt bereits dafür. Wir müssen also eine völlig neue Wirtschaft aufbauen, die dem Klimawandel standhält, aber auch durch wirtschaftliche Aktivitäten zur Eindämmung des Klimawandels beiträgt, indem wir von fossilen auf erneuerbare Energien umsteigen. Und dies sollte ein sektorübergreifender Wandel sein. Es geht nicht nur darum, das Energiesystem zu ändern, sondern auch darum, von Beton und Stahl auf biologische Materialien umzusteigen, also von einer synthetischen Landwirtschaft, die synthetische Düngemittel und Pestizide verwendet, zu einer regenerativen Landwirtschaft überzugehen. 

Es handelt sich um einen Paradigmenwechsel, ein Überdenken der Art und Weise, wie wir unsere Städte bauen, indem wir grüne Infrastrukturen anstelle von grauen Infrastrukturen nutzen. Es geht nicht darum, die eine oder andere Industrie zu reparieren. Es geht darum, unsere gesamte Wirtschaft im Hinblick auf die Natur zu überdenken und die Ökologie unseres Planeten zu verstehen.

Was wäre denn in Bezug auf die Waldbrände die kurzfristige Lösung, damit das Problem nicht im nächsten Jahr wieder auftaucht? 

Bei Problemen wie Waldbränden ist die beste kurzfristige Lösung die langfristige. Eines der Probleme, die wir an Orten wie Kalifornien, aber auch in Spanien, Italien und Portugal in Bezug auf Waldbrände hatten, ist, dass wir hauptsächlich in die Brandbekämpfung und nicht in die Brandverhütung investiert haben. 

Wenn man zu viel in die Brandbekämpfung investiert, schafft man ein noch grösseres Problem, weil man dann sehr effektiv Brände mit geringer Intensität stoppen kann. Aber weil man diese kleinen Brände unterdrücken kann, sammelt sich in den Landschaften viel Brennmaterial an, und zwar dort, wo es keine Bewirtschaftung gibt, weil die ländlichen Gebiete aufgegeben wurden. Kommt dann ein schlechtes Jahr, wie dieses Jahr mit starken Winden und grosser Trockenheit, sind die Brände unaufhaltsam.

Es gibt also keine schnelle und einfache Lösung?

Nein. Wissen Sie, das Problem ist, dass wir in einen Teufelskreis geraten sind, denn die schnelle Lösung für Kalifornien wird darin bestehen, im nächsten Jahr das Budget für die Brandbekämpfung zu erhöhen, aber das wird das Problem nicht lösen. Vielleicht werden die Behörden im nächsten Jahr in der Lage sein, Brände zu stoppen, aber man wird das Problem immer weiter vergrössern.

Wir haben einen Wendepunkt in unserem Wirtschaftssystem erreicht, wo es keine schnellen Lösungen mehr gibt. Wir brauchen strukturelle Veränderungen.

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