Wenn bei der Fussball-Europameisterschaft am 23. Juni die Schweiz auf Deutschland trifft, dann spielt der Neunzehnte gegen den Sechzehnten der aktuellen Fifa-Weltrangliste. Sportlich dürfte es somit ein enges Duell werden, auch wenn die deutsche Elf den Heimvorteil auf ihrer Seite hat.

Wären auch gesamtwirtschaftliche Kennziffern relevant für den sportlichen Erfolg – was manche Analysten immer mal wieder nachzuweisen versuchen –, wäre die Schweiz hingegen der klare Favorit. Die Schweiz liegt praktisch überall vorn: Die Wirtschaft wächst stärker, die Inflation ist geringer, die Staatsfinanzen sind solider, und zudem sieht es bei der wirtschaftlichen und persönlichen Freiheit für die Schweizerinnen und Schweizer viel besser aus als für die Deutschen.

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Dazu ein paar Zahlen: Während Deutschlands Wirtschaft im vergangenen Jahr leicht geschrumpft ist, ist die Schweizer Wirtschaft moderat gewachsen. Für das laufende Jahr sehen die Prognosen die Schweiz erneut um einen runden Prozentpunkt vorn, auch wenn sich Deutschland über eine leichte Konjunkturerholung freuen darf. Bei der Teuerung hatte die Schweiz im Gegensatz zu Deutschland keinen echten Schock zu verdauen: Mit plus 3,4 Prozent in der Spitze blieb der Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) weit hinter dem deutschen Spitzenwert (plus 11,6 Prozent) zurück. Zudem liegt die Inflationsrate längst wieder im Zielbereich der Schweizerischen Nationalbank, also bei weniger als  2 Prozent. In Deutschland und in der Euro-Zone rangiert die Teuerung immer noch ein Stück oberhalb der 2-Prozent-Marke. Auch bei den Staatsfinanzen sieht es in der Schweiz mit einer Schuldenquote von knapp 40 Prozent besser aus. Zwar ist die deutsche Schuldenquote mit rund 65 Prozent im internationalen Vergleich ebenfalls niedrig, aber innerhalb der Euro-Zone muss Deutschland immer damit rechnen, in Notfällen finanzpolitisch für andere Mitglieder der Währungsunion mit einspringen zu müssen.

Über den Autor

Jörn Quitzau ist Chefökonom der Schweizer Privatbank Bergos AG.

Das gleiche Bild ergibt sich bei den weicheren Standortindikatoren. Beim Human Freedom Index des Fraser Institute belegt die Schweiz Platz 1 vor Neuseeland und Dänemark. Deutschland liegt auf Platz 21. Beim Economic Freedom Index der Heritage Foundation liegt die Schweiz auf Platz 2 hinter Singapur, Deutschland auf Platz 18. Und auch beim World Happiness Index der Vereinten Nationen landet die Schweiz vor Deutschland.

Diese Datenauswahl zeigt, dass die Schweiz strukturell besser aufgestellt ist als Deutschland. Solche strukturellen Unterschiede sind das Ergebnis unterschiedlicher (wirtschafts-)politischer Ausrichtungen. Sie lassen sich nicht im Handumdrehen beseitigen. Um zur Schweiz wieder aufzuschliessen, bräuchte es in Deutschland eine grundlegende Neuausrichtung der Politik.

Kurzfristig bleibt Deutschland hingegen die Hoffnung auf einen unerwarteten Konjunkturschub. Damit sind wir wieder bei der Fussball-EM. Manche Beobachter glauben, dass das Grossereignis dem Gastgeber Deutschland einen Schub für Stimmung und Konjunktur bringen könnte. Zunächst einmal klingt das plausibel. In den Wochen der EM dreht sich sehr viel um das Thema Fussball. Kaum ein anderes Thema schafft es, medial ähnlich viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und das Strassenbild so stark zu prägen. Volle Stadien und Fanmeilen, Public Viewing und private Grillabende – der von der Europameisterschaft ausgelöste Konsum ist nicht zu übersehen.

Hinzu kommt die Erinnerung an die Fussball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Dank überraschend guter Leistungen der deutschen Nationalmannschaft mit Platz drei in der Endabrechnung, dank «Kaiserwetter» und dank der Euphorie auf Deutschlands Strassen, die im Ausland das Bild von den Deutschen dauerhaft positiv verändert hat, blieb die WM als Sommermärchen in Erinnerung. 2006 war rückblickend ein Jahr der Veränderung, auch konjunkturell. Zuvor war Deutschland jahrelang problembeladen und hatte sich wirtschaftlich regelrecht durchgequält. 2006 sollte dann das mit Abstand stärkste Konjunkturjahr seit langem werden. Mit einem BIP-Wachstum von 3,8 Prozent legte die deutsche Wirtschaft etwa so stark zu wie im gesamten Zeitraum 2001 bis 2005 zusammengenommen. Wer eins und eins zusammenzählte, kam schnell zu dem Ergebnis, dass die Weltmeisterschaft für den Konjunkturschub verantwortlich sein musste. So plausibel die Rechnung wirkt, so ist sie doch falsch.

Die Daten zeigen, dass der private Konsum nicht während der WM-Monate angesprungen war. Stattdessen kam der Konsumboom erst im vierten Quartal 2006. Da war die WM längst vorbei. Die Erklärung für den Boom am Jahresende ist gleichwohl einfach: Neben der ohnehin anstehenden zyklischen Erholung war es vor allem die Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent zum 1. Januar 2007. Der bevorstehende Teuerungsschub führte dazu, dass Käufe auf das vierte Quartal 2006 vorgezogen wurden, um noch vom geringen Mehrwertsteuersatz zu profitieren.

Die wirtschaftlichen Profiteure der EM sind auf einzelwirtschaftlicher Ebene zu finden. Bierbrauer, Sicherheitsdienste, Hotels, Gaststätten und viele mehr dürfen sich freuen. Dabei wird die Nachfrage durch die EM aber oft nur verschoben. Wer auf den Fanmeilen Bier trinkt, isst nicht gleichzeitig im Kino Popcorn. Die Zusatznachfrage, die eine EM auslöst, fällt viel geringer aus, als es der gesellschaftliche Stellenwert des Fussballs vermuten lassen würde. Deshalb ist die Hoffnung auf eine «Sonderkonjunktur Fussball» auf Sand gebaut. Um den Standort Deutschland wieder auf Vordermann zu bringen, braucht es mehr als nur ein neues Sommermärchen.

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