In seinem konjunkturellen Outlook zur Lage der Weltwirtschaft wirft Kevin Thozet, Mitglied des Investment Committee bei Carmignac, auch einen Blick auf die Schweiz: Die hiesige Wirtschaft sei vorteilhaft aufgestellt. Sie wird voraussichtlich besser wachsen als Ökonomien in vielen anderen Ländern Europas: 0,7 Prozent in diesem Jahr, voraussichtlich 1,5 Prozent im nächsten. Die Schweiz hat aktuelle BIP-Daten veröffentlicht: plus 0,5 Prozent für das erste Quartal 2024. Das entspreche 2 Prozent auf Jahresbasis, betont Thonet: «Die einzigen Volkswirtschaften, denen es besser geht, sind momentan Spanien und Polen.» Ganz Europa erhole sich.

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China als Joker mit Vorbehalten

Doch der eigentliche konjunkturelle Joker sei China, das seine «Schulden-Deflationsangst» angehe. Man versuche die chinesische Wirtschaft wieder anzukurbeln, indem staatliche Stellen den Produktionssektor subventionierten. Ausserdem werde mit Hochdruck an der Lösung der Immobilienproblematik gearbeitet.

Dazu würde unter anderem die Zentralregierung Anleihen in beträchtlicher Höhe von rund 1 Billion Renminbi ausgeben. Je nach Multiplikator sind das rund 1 Prozent des chinesischen BIP. Thozet zweifelt an einem Erfolg: «Wir glauben nicht, dass es ausreicht, um das Ausmass des Problems vollständig anzugehen.» Es steht eine Stabilisierung an, ein gewisses Abwärtsrisiko bleibe dennoch bestehen.

Für China erwartet Carmignac trotz aller Probleme ein für dieses Land historisch gesehen tiefes Wirtschaftswachstum von 5 Prozent: «Wir sind da ein bisschen vorsichtiger als der Konsens.»

Die Probleme im Immobiliensektor würden durch einen Aufschwung bei den Industrieinvestitionen kompensiert. Die chinesische Regierung subventioniert Elektrofahrzeuge, Solarpanels und exportiert so viel wie möglich. Das neue Wirtschaftsmodell Chinas beruht darauf, mehr und auch zu besserer Qualität zu produzieren. Thozets Prognose: Dieses Modell ist nun möglicherweise an seinem Ende angelangt, verliert aber zumindest an Dynamik.

Binnenkonsum hilft den USA

Ein Grund für die starke und sehr widerstandsfähige US-Wirtschaft ist bisher der anhaltend hohe Konsum der Verbraucherinnen und Verbraucher. «Die Amerikaner geben Geld aus, als gäbe es kein Morgen», resümiert der Carmignac-Manager mit Blick auf die Statistiken.

Betrachtet man die Sparraten, liegen sie in den USA bei 3 Prozent. Zum Vergleich: In Europa sind es 14 Prozent. Der US-Privatkonsum mache 70 Prozent des BIP aus. Für 2025 erwartet er wegen der Inflation, hohen Kosten für Hypotheken, Kreditkartenschulden und wegen der Autokredite einen Rückschlag.

US-Konsumenten plündern ihre Reserven

Verbraucherinnen und Verbraucher hätten spätestens im kommenden Jahr ihre überschüssigen Ersparnisse nahezu aufgebraucht. Dieser Trend zeichnet sich schon heute ab: Unternehmen wie Starbucks und McDonald’s, die sich an einkommensschwache Bevölkerungsgruppen wenden, veröffentlichten Ergebnisse, die unter den Erwartungen liegen. «Das sind Anzeichen dafür, dass Verbraucher weniger bereit sind, Geld auszugeben», warnt Thozet. Auf lange Sicht sinke die Lohnsumme und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen nehme ab. 

Doch momentan geht es den USA trotz Inflationsschüben wirtschaftlich gut. Die US-Ökonomie soll in diesem Jahr um 2,5 Prozent wachsen. Für die Zeit nach der US-Präsidentschaftswahl sieht Thozet eine Abschwächung voraus: «Nichts Dramatisches, wir bei Carmignac erwarten keine Rezession.»

Obwohl in den Jahren 2024 und 2025 weniger Privatkonsum zu erwarten sei, verfüge die US-Wirtschaft über eine gewisse Widerstandsfähigkeit. Der Schwerpunkt verlagere sich einfach vom Konsum auf die Investitionen, da unter anderem für die Dekarbonisierung und Verteidigung viel Geld benötigt werde.

Weltweite Produktion erholt sich

«Wir sehen, dass sich die Produktion erholt. Ich veranschauliche das anhand der USA, aber ich könnte auch die globalen PMI-Indikatoren für das verarbeitende Gewerbe heranziehen, die sich insgesamt verbessern», erläutert Thozet anhand diverser Grafiken. 

In Europa sehen die Carmignac-Analystinnen und -Analysten in führenden Ländern des verarbeitenden Gewerbes, etwa in Schweden und Norwegen einen starken Aufwärtstrend. Der ganze Euro-Raum habe zudem seit einem Jahr an Zugkraft gewonnen. Und das sei ein gutes Zeichen.

Zinsdifferenz USA–EU schrumpft

Ein weiteres gutes Zeichen ist: Die Differenz der Zinssätze zwischen dem Euro-Gebiet und den USA schrumpft. «Euro-Zinsen sollten niedriger sein als die US-Zinsen» –  und das hilft dem Euro-Raum, ist Thonet überzeugt. «Wir haben einen Kontext, in dem wir ein gutes und sich verbesserndes Wirtschaftswachstum und niedrigere Zinssätze haben.» Deshalb bezeichnet Kevin Thozet Europa als den wirtschaftlichen Sweet Spot. Ein Aufschwung und eine wirtschaftliche Erholung in der EU sei zu erwarten. 

Indien lockt wegen gebildeten jungen Leuten

Auch in Asien prosperiert die Unternehmenswelt: Das indische Wirtschaftswachstum lag im Durchschnitt bei 6 Prozent. «Und es verbessert sich. Es beschleunigt sich. Das sind gute Nachrichten für Aktien», zeigt sich Kevin Thozet begeistert.

Indien wird auch aus einem anderen Grund interessant: Viele Unternehmen haben eine sogenannte China-plus-eins-Strategie eingeführt. Unternehmen diversifizieren, um ein Klumpenrisiko zu vermeiden. Die Firmen bleiben zwar in China engagiert, produzieren aber auch anderswo.

Indien ist so zu einem starken Konkurrenten Chinas geworden. Thozet nennt noch andere Argumente für Indien: «Sehr junge, fähige und sehr gut ausgebildete Arbeitskräfte locken Unternehmen zunehmend nach Indien, etwa in die High-Tech-Metropole Bangalore.»

Zudem profitiert Indien von hohen Investitionsausgaben und einem starken Wachstum. «Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Indien weniger stark von der globalen Welt abhängig ist und auch über einen starken internen Verbrauchermotor verfügt», bilanziert Thozet.

«Unsere indischen Aktien weisen für das nächste und übernächste Jahr ein durchschnittliches Gewinnwachstum von 15 Prozent pro Aktie auf», verspricht der Carmignac-Manager. 

China bietet Chancen für Rosinenpicker

Die chinesischen Aktienmärkte sind seit 1993, also seit der Schaffung des MSCI China, um 40 Prozent gefallen. Gleichzeitig ist das chinesische BIP um das 30-Fache gestiegen.

Thonet sieht Investment-Chancen bei sogenannten «Deep-Value-Aktien». Besonders kleine Unternehmen, die zwischen 7 und 20 Milliarden Dollar Umsatz machen, haben die Carmignac-Assetmanager im Auge. Alle diese Unternehmen machen Geld, die freien Cashflow-Renditen sind «ziemlich anständig» wie Thozet betont: «Diese Unternehmen haben enorme Barmittel in ihrer Bilanz, 15 bis 75 Prozent der Marktkapitalisierung. Das ist riesig.» Die Investment-Chancen in China ergeben sich also nicht aus starken Fundamentaldaten, sondern aus teilweise unterbewerteten Aktien.

Risiko Taiwan spielt bei Bewertung mit

Auf das Risiko eines militärischen Einmarsches Chinas in Taiwan angesprochen, räumt Thozet ein: «Das ist genau der Grund, warum wir diese Art von Bewertung bei gewissen Aktientiteln haben. Einige Leute glauben, dass in China nicht investiert werden kann. Aber wir halten es für möglich.»