Kein Wunder: Was an jenem 23. Januar eher unfreiwillig und vermeintlich provisorisch geschah, nahm damals auch kaum jemand als Staatsstreich wahr. Putschistin contre coeur war die Schweizerische Nationalbank. Nach kurzer telefonischer Rücksprache mit dem zuständigen Bundesrat teilt sie den Banken um 08.30 Uhr mit, dass sie «heute darauf verzichtet, ihre Interventionen am Dollarmarkt aufzunehmen. Sie wird sich vom Markte fernhalten, bis eine Beruhigung eingetreten ist». Die Nationalbank verkündete also, dass sie den Kurs des amerikanischen Dollars vorläufig nicht weiter durch Dollarkäufe stützen würde. 

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Damit verabschiedete sie sich als erste Notenbank einstweilen aus der renommierten internationalen Währungsordnung der Nachkriegszeit, der Währungsordnung von Bretton Woods. Durch den Ausstieg konnte sie den Ankauf weiterer Dollarmillionen und eine massive Inflation gerade noch knapp verhindern. Die anderen europäischen Notenbanken folgten kurz darauf. Damit begann im Januar 1973 das Zeitalter der flexiblen Wechselkurse.

Die Herrschaft über den Schweizer Franken ging vom Bundesrat, der bis dahin die Parität des Frankens zum Gold fixiert hatte, zur Nationalbank über. Und diese gewann dadurch – erstmals seit ihrer Gründung im Jahre 1907 – die Kontrolle über die schweizerische Geldmenge. Sie erhielt die Verantwortung für die Preisstabilität, das heisst: auch für Deflation oder Inflation. Zwar war das kein Staatsstreich im eigentlichen Sinne, aber es führte zur grössten Verschiebung von Macht und Verantwortlichkeit innerhalb der Schweiz seit dem Zweiten Weltkrieg. 

Urs Birchler

Urs Birchler ist emeritierter Professor für Banking am Institut für Banking und Finance (IBF) an der Universität Zürich. Zuvor war er mehrere Jahre Direktionsmitglied bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die er auch im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht vertreten hat.

Aus «vorläufig» wurde ein Dauerzustand. Somit beginnt im Januar 1973 das Zeitalter der unabhängigen Notenbanken. Rund vierzig Jahre später, im Juli 2012, kündigt der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, an, alles zu tun, um den Euro zu retten. Mit diesem «all in» unterzieht er die 1973 gewonnene Macht der Notenbanken einem historischen Experiment: Lässt sich mit der Kontrolle des Geldes die Wirtschaft stabilisieren und gegen Krisen schützen? Oder führt der Versuch früher oder später zu einer massiven Inflation, weil die Notenbank bei jeder Krise tonnenweise neues Geld in Umlauf bringt und dadurch das Geld an Wert verliert?  

Wenn das Experiment erfolgreich ist, spricht das deutlich für eine staatlich-demokratische Lenkung des Geldes. Wenn das Experiment hingegen scheitern sollte, würde das die Herrschaft staatlicher Notenbanken über das Geld diskreditieren. Was dann? Müssten wir zurück zu einer Goldwährung? Findet sich im Heuhaufen der 22’000 verschiedenen Kryptoeinheiten eine goldene Nadel als Alternative? Wird uns künstliche Intelligenz vom Geld befreien? Oder müssen wir dennoch, trotz seiner Unvollkommenheit, weiter mit staatlichem Geld leben? Solche Fragen stellen sich in der direkten Demokratie der Schweiz allen Stimmberechtigten. Die Beispiele Freigeldinitiative (1954), Goldinitiative (2014), Vollgeldinitiative (2018), Bargeldinitiative (2023) und die verschiedenen Verfassungsänderungen auf dem Gebiet des Geldes zeigen, dass das Volk die Leitplanken des Geldwesens mitbestimmt und mitbestimmen will. 

Dennoch fehlt es in der Schweiz, oder im deutschen Sprachraum allgemein, an einer verständlichen, aber wissenschaftlich fundierten Einführung ins Geldwesen – für Stimmberechtigte, Schulen und Medienschaffende. Mein im hep-Verlag erschienenes Buch «Das Einmaleins des Geldes» versucht, diese Lücke zu schliessen. Fünfzig Jahre nach dem Staatsstreich ist es dafür vielleicht nicht zu früh. 

Denn, kurz bevor das Buch fertig war, folgte ein erneuter Staatsstreich: Der Bundesrat verkündete Notrecht, um die Rettung der Grossbank Credit Suisse durch die noch grössere UBS zu ermöglichen. Unter dem Schirm des Notrechts musste die Nationalbank Liquiditätshilfe versprechen ohne die vom Gesetz geforderte Deckung.

Die 1973 errungene Unabhängigkeit der Nationalbank wurde dadurch arg strapaziert. Und sie bleibt eingeschränkt: Bund und Nationalbank bleiben gefangen in einer stillschweigenden Garantieverpflichtung gegenüber dem aus UBS und CS entstandenen Gebilde. Fünfzig Jahre nach der Befreiung vom Joch des Dollars endet der Schweizer Franken unter dem Joch künftiger Bankenkrisen. Und wie damals: unfreiwillig und vermeintlich provisorisch. 

Dieser Text wurde zum ersten Mal publiziert im Buch «Das Einmaleins des Geldes» von Urs Birchler, hep-Verlag, ISBN: 9783035523188, 29 Franken.