Wir wissen alle nicht, wie sich Kundinnen und Kunden in fünf oder zehn Jahren verhalten. Besonders trifft dies bei umwälzenden technischen Innovationen zu. Gerade das Thema Embedded Finance (eingebettete Finanzservices) wird vieles in der Finanzbranche umkrempeln, da ist sich Rino Borini, Gründer von Scarossa am Swiss Payment Forum in Zürich sicher. «Wir müssen lernen, vorauszuschauen, was die Technologie bewegen kann.» Die Technologie entwickle sich exponentiell. Als Beispiel führt Rino Borini Chat GTP an: «Denken Sie, in nur zwei Monaten kam diese KI auf 100 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Ich glaube, es ist nötig, eine Vorstellung davon zu bekommen, wohin uns das führen kann.»
Die Apple Card als Pionier
Die Apple Card hat beim Thema Kreditkarten schon sehr früh gezeigt, was man unter Embedded Payment versteht. Die beliebteste Karte in den USA ist momentan die Apple Card. Sechs von zehn Besitzern bezeichnen die Apple Card als ihre erste Kreditkarte. Das Angebot ist attraktiv, da die Karte voll in die App integriert ist. «Und ich empfehle Ihnen, wenn Sie im Kartengeschäft oder im Finanzbereich tätig sind, schauen Sie nicht, was Ihre Konkurrenten tun. Beobachten Sie stattdessen, was Apple tut, wenn es um die Customer-Experience geht», ruft Borini in den Saal.
Zentral ist die Customer-Experience
Um die einfache Integration von Zahlungen, darum gehe es. Zudem bringe die Apple Card einige Vorteile für die Kundschaft: Tiefe Verzugszinsen, keine Auslandgebühren. «Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn in der Schweiz alle Banken ihre Karten ohne Auslandgebühren anbieten würden», fordert Borini seine Zuhörerinnen und Zuhörer auf.
Warum macht Apple das? Um Kunden näher an sich zu binden. Alles ist integriert in das Smartphone. Es entsteht ein eigenes Ökosystem, das Kundenbegeisterung auslöst und Kundinnen und Kunden an sich bindet. «Apple ist nicht billig, doch die Kunden akzeptieren dies. Banking oder Finance darf offenbar etwas kosten. Es muss einfach geil gemacht sein», stellt Borini nüchtern fest. Die simpel in der Apple-App integrierten Tools für die Kunden seien extrem gut und übersichtlich gemacht.
Banking ohne Banklizenz
«Es ist gar nicht toll, heute eine Bank zu betreiben, nicht zuletzt wegen all dieser Lizenzen. Viel besser ist es, die Services einzukaufen. Also Banking ohne Bankbilanz zu betreiben. Das ist heute möglich und extrem spannend», meint der Scarossa-Gründer. Es gebe ganz neue Use-Cases von Nicht-Banken, die plötzlich Banking betreiben. Borini zeigte den Zuhörerinnen und Zuhörern ein paar Beispiele auf.
Der Startschuss von 1934
Doch zunächst ein Rückblick in erste Embedded Payments: Bereits 1934 hat American Airlines die Air Travel Card lanciert. Da ging es darum, dass Kundinnen und Kunden ihr Ticket sofort kaufen konnten. Bezahlt wurde später mit ihrem Guthaben. Wer sich eine Air Travel Card kaufte, bekam einen Discount von 15 Prozent. Heute nennen wir das «buy now, pay later». Die Air Travel Card wurde 1934 ein Riesenerfolg. Innerhalb von zehn Jahren haben 17 amerikanische Airlines mitgemacht. In dieser Zeit hat die Air Travel Card rund die Hälfte aller Einnahmen der US-Fluggesellschaften eingeflogen. Borini stellt fest: «1934 reden wir schon von Embedded Finance.»
Einfachheit siegt bei den Kunden
Apple bringt das in die heutige Zeit. Apple ist auch eine Bank. In den USA bietet Apple bereits ein Sparkonto neben allen anderen Services rund um seine Karte und die Wallet an. «Auch das ist ganz gut gemacht. Supersmart. Einfach schön dargestellt», schwärmt Borini und kritisiert hiesige Banken und deren Lösungen: «Versuchen Sie mal, ein PDF-Dokument einer traditionellen Schweizer Bank auf dem Smartphone zu lesen.» Apple mache das zusammen mit Goldman Sachs geschickter und für Kunden sehr attraktiv und übersichtlich.
Viele Benefits und höhere Sparzinsen
Es gibt Cashback. «Das finden die Leute cool», kommentiert Borini. Zudem werde auf das Sparkonto 4,15 Prozent Zins gezahlt – der höchste Zinssatz in den USA. Die Einfachheit des Apple-Angebots siegt: Innert dreier Monate habe Apple 10 Milliarden Dollar an Assets eingesammelt. Ob Apple damit Geld verdiene oder nicht, spiele keine Rolle, da man zunächst einen Markt erobern will. Apple möchte ausserdem die Kundinnen und Kunden stärker an sich binden – ohne deswegen gleich eine Bankbilanz erarbeiten zu müssen.
Bigtechs fressen unseren Lunch auf
«Auf solche Big Techs müssen wir achten, weil sie an unserem Lunch fressen. Um mitzuspielen, müssten wir uns ändern, aus Technologiesicht denken und echte Kundenzentriertheit leben», warnt Borini vor der versammelten Payment-Branche.
Neue Anwendungen auch bei Versicherungen
In UK oder auch in Amerika sei das Engagement in Embedded Insurance extrem vorangetrieben worden. Das sehe man auch, wenn man die Zahlen betrachte, meint Borini. Der Finanzdienstleister Revolut etwa hat eine Tierversicherung, mit der man schöne Umsätze generiert. Bei 25 Millionen Kundinnen und Kunden müsse Revolut nur einen Push auf ihrer App machen, um ihre Kunden zu fragen: «Hast du einen Hund? Oder eine Katze? Ich habe die Versicherung dazu.» Embedded Finance ist also nicht für Banken eine Lösung. Auch für andere Dienstleister und Finanzinstitute können eingebettete Dienstleistungen umsatzfördernd sein.
Jede technische Innovation wird auch bei den Finanzdienstleistungen einen Impact haben. Und warum ist das bei Finance so einfach umsetzbar? «Heute sind wir in der API-Welt und wir sind Cloud-basiert. Und deswegen kann man solche eingebettete Dienstleistungen nahtlos in einer Infrastruktur anlegen», betont Borini.
Mehr Mut für neue Geschäftsmodelle im Banking
Fazit: Neue Geschäftsmodelle, die hocheffizient skalieren, werden die verwöhnte und träge Finanzbranche in den nächsten Jahren unter Druck setzen. Bei Banken und in der traditionellen Schweizer Finanzindustrie herrsche jedoch noch immer reines Sicherheitsdenken vor. «Wir müssen mit ein bisschen Mut testen, was Kundinnen und Kunden wollen. Wir müssen von «safe money to make money» kommen, weil Innovation selten in der bestehenden Industrie stattfindet», mahnt Borini. «Die Finanzbranche muss sich an den Big Techs und Startups orientieren, weil diese das moderne Kundenverhalten verstanden haben. Zudem wissen sie, wie die neue Technologie funktioniert.»