Von der Informatikerin bis zur (künftigen) Verwaltungsratspräsidentin – das klingt nach einer amerikanischen Karriere, aber es handelt sich um den Berufsweg der Schweizerin Marianne Wildi. Sie hat 1984 bei der Hypothekarbank Lenzburg in der Informatikabteilung angefangen, amtet seit 2010 als deren Geschäftsführerin und peilt nun den Posten als Verwaltungsratspräsidentin an. Geplant war diese Karriere nicht, es habe sich halt so ergeben, sagt Marianne Wildi. Schuld daran sei wohl ihr grosser Wissensdurst und die Aversion gegen repetitive Tätigkeiten. Solche müssten zwar in jedem Job auch erledigt werden, aber das sei nach wie vor nicht ihre Stärke, gesteht sie. Sie investiert ihre Zeit lieber in die Weiterbildung. «Ich finde es spannend, immer wieder etwas Neues zu lernen. Und erst eine gute Ausbildung verschafft einem die Freiheit, das zu tun, was man wirklich mag», sagt Marianne Wildi. So hat sie sich nach der Handelsdiplomschule das Wissen und die Kompetenzen als Informatikerin on the job angeeignet und das Rüstzeug als Bankmanagerin mit diversen Nachdiplomkursen (eidg. dipl. Betriebsökonomin FH und eidg. dipl. Bankfachexpertin). Parallel dazu hat sie sich auch ein grosses Netzwerk via die Verbandsarbeit aufgebaut. 

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Allerdings räumt sie auch ein, dass Fachwissen nicht das einzig Entscheidende ist. Fast ebenso wichtig sei die Art des Umgangs mit anderen. «Ich nehme Menschen, so wie sie sind, und achte auf ihre jeweiligen Stärken, denn jede Person hat ihre eigenen Stärken und Schwächen», sagt Marianne Wildi. Sie ist davon überzeugt, dass die menschlichen Eigenschaften in Zukunft noch wichtiger werden. Denn je weiter die Digitalisierung voranschreitet, desto näher rücken Banking und Technik zusammen. «Was dann herausstechen wird, ist der Mehrwert, den nur der Mensch bieten kann», sagt sie. Wenn Kommunikation beispielsweise an vielen Orten künftig nur noch mit Chatbots möglich sei, würde die Wertschätzung dessen, was den Dialog mit Menschen ausmacht, steigen. Es sei wie bei der Texterstellug mit Chat GPT: Marianne Wildi hat diese KI erst kürzlich damit beauftragt, ihre Rede zum ersten August zu entwerfen. Das Ergebnis sei «geschliffen oberflächlich» ausgefallen und daher absolut unbrauchbar gewesen. Sie hat die Rede dann selber geschrieben. 

Dass sie als Frau sowohl in der Informatik als auch in ihrer Rolle als Bankchefin eher eine Ausnahmeerscheinung ist, war ihr nie so bewusst. «Es hat mir keiner gesagt, dass die IT nur was für Männer sei oder dass Männer die besseren Geschäftsführer seien», sagt sie. Heute engagiert sich die Hypothekarbank Lenzburg aktiv in der Rekrutierung junger Nachwuchstalente und unterstützt zu dem Zweck die ICT-Scouts an den Schulen, um junge Menschen spielerisch an die Welt der Programmierung und digitalen Gestaltung heranzuführen. Da sei das Verhältnis von Mädchen und Jungen ziemlich ausgewogen, sagt Marianne Wildi. Auch deshalb, weil die ICT heute sehr viele verschiedene und auch sehr viele kreative Aufgaben umfasse, von Frontend-Design bis hin zur Gestaltung der gesamten Customer-Journey. Für vier Talente, die die ICT-Scouts in der Vergangenheit ausfindig gemacht haben, hat die HBL inhouse neue Lehrstellen geschaffen. «Wir können ihnen ja nicht sagen, ihr seid besonders begabt, und sie dann einfach ziehen lassen», sagt Marianne Wildi. Ihr Rat an alle jungen Leute, die am Anfang ihres Berufswegs stehen – egal welchen Geschlechts – lautet: «Sich die Freude am Lernen und Ausprobieren bewahren; Mut haben, den eigenen Weg zu gehen, und zugeben, wenn man etwas nicht kann.»

Sie selbst kannte sich bislang noch nicht so gut in Sachen Verwaltungsrat aus. Daher war ihre letzte Fortbildung eine CAS-Ausbildung für angehende Verwaltungsräte und -rätinnen. Denn nach 14 Jahren an der operativen Spitze der Regionalbank hält sie 2024 die Zeit für gekommen, das Zepter zu übergeben und sich selbst auf die strategische Führung der Bank zu konzentrieren. Die Suche nach einer oder einem neuen CEO läuft bereits. Ihr oder ihm hinterlässt Marianne Wildi die digitalste Banken des Landes. Dank ihrer Kompetenz für die technische Seite des Bankwesens hat sie früh die Notwendigkeit offener Schnittstellen erkannt und das eigene Kernbankensystem Finstar so weiterentwickelt, dass sich andere Banken und Unternehmen anbinden können. Dem ist es zu verdanken, dass die Hypothekarbank Lenzburg heute die Partnerbank vieler Fintech-Unternehmen ist und Kooperationspartner von Coop und Neon. 

Im Jahr 2025, wenn Marianne Wildi ihren sechzigsten Geburtstag feiert und im Verwaltungsrat alles planmässig läuft, will sie sich als Präsidentin des Gremiums zur Wahl stellen. «Und wer weiss, vielleicht übernehme ich dann noch weitere VR-Mandate von Unternehmen aus anderen Branchen – so kann ich auf diesem Weg auch wieder viel Neues lernen», sagt sie und lacht.

Name: Marianne Wildi
Funktion: Vorsitzende der Geschäftsleitung der Hypothekarbank Lenzburg AG
Jahrgang: 1965
Familie: ledig
Ausbildung: 
Diplom Betriebsökonomin FH (damals noch HWV). 
Eidgenössisches Diplom für Bankfachexperten
Advanced Executive Program an der Swiss Banking School 
Essentials of Management an der School of Management, Technology and Law der Universität St. Gallen 
Advanced Management Diploma beim Verein für Unternehmensführung SKU 


Karriere: 
Nach der Handelsdiplomschule an der Alten Kantonsschule Aarau stieg Marianne Wildi 1984 bei der Hypothekarbank Lenzburg ein – als Programmiererin im Informatikteam der Bank. Ab 1995 agierte sie als Projektleiterin sowie Business-Analystin bei der Hypothekarbank Lenzburg als auch bei Drittbanken. Von 2001 bis 2006 war Wildi stellvertretende Informatikchefin. Von 2007 bis 2017 war sie Geschäftsleitungsmitglied des Bereichs Dienste, Informatik und Logistik. 2010 wurde Wildi zudem zur Vorsitzenden der Geschäftsleitung der «Hypi» Lenzburg ernannt. Unter ihrer Leitung investierte die Bank vermehrt in technische Innovationen, was ihr 2016 die Auszeichnung «digitalste Bank der Schweiz» von der Branchenplattform «Finews» einbrachte. Auf März 2024 will Wildi vom Vorsitz der Bank zurücktreten und in den Verwaltungsrat wechseln. Später soll sie dann zu dessen Präsidentin gewählt werden.

Netzwerk: 
Gründungsmitglied von Swiss Fintech Innovations
Gründungsmitglied der Swiss Blockchain Federation
Präsidentin der Aargauischen Industrie- und Handelskammer 
Vorstandsmitglied von Economiesuisse und des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes
Vizepräsidentin des Verbands Schweizer Regionalbanken 
Mitglied des Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg). Sie ist dort aktuell die einzige Frau.

Unternehmen:
Die Hypothekarbank Lenzburg ist eine stark im Kanton Aargau verankerte Schweizer Regionalbank. Sie beschäftigte Ende Juni 2023 teilzeitbereinigt 356 Mitarbeitende und hatte eine Bilanzsumme von 6,8 Milliarden Schweizer Franken. Das Unternehmen ist an der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange kotiert und ist aktiv im Retail Banking, Hypothekargeschäft, Private Banking, KMU-Geschäft und Krypto-Banking. Im Banking-as-Service-Geschäft stellt sie Drittanbietern von Finanzdienstleistungen und anderen Unternehmen Bank-Services zur Verfügung. Unter der Marke HBL Asset Management bietet die Hypothekarbank Lenzburg zudem professionelle Vermögensverwaltung an. Das bankeigene Kernbankensystem Finstar wurde 2017 mit einer offenen Schnittstellenarchitektur ausgestattet. Für die Weiterentwicklung und den Betrieb des Kernbankensystems ist die Finstar AG, eine Tochtergesellschaft der Hypothekarbank Lenzburg, verantwortlich.

Ihr Motto: «Erst eine gute Ausbildung verschafft einem die Freiheit, das zu tun, was man wirklich mag.»

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Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Banking, und ihr Bankenexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die Schweizer Bankenszene bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt anmelden!
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